Mitarbeiterbindung: Interessante Aufgaben statt Tischkicker und Obstkorb

Die Versuchung ist groß und das Angebot zum Unternehmenswechsel ist üppig für IT-Fachkräfte. Wie hält man sie im Betrieb?

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(Bild: shurkin_son/Shutterstock.com)

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Von
  • Peter Ilg
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Ralph Rixner ist ein erfahrener Senior Manager in IT-Unternehmen. Seit 35 Jahren ist er im Job und zurzeit zwischen einem Arbeitgeberwechsels. In seinem letzten Job bei einem globalen IT-Dienstleister hat er eine neue Geschäftseinheit aufgebaut mit aktuell etwa 45 Mitarbeitenden. Schon allein die zu finden war eine Herkulesaufgabe. "Jeder in der Branche weiß wie schwierig es ist, gute IT-Fachkräfte einzustellen", sagt Rixner. Hat man sie glücklicherweise gefunden, ist die Gefahr groß, dass sie Headhunter abwerben. Ein Abwerbeversuch pro Woche ist ganz üblich, auch dies ist kein Geheimnis.

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Mit den Fachleuten wandern Wissen und Kompetenzen ab. Die müssen bei den Nachfolgern erst wieder aufgebaut werden. Das kostet Geld. Ebenso neue Mitarbeiter zu suchen. "Die Beschäftigten fest an das Unternehmen zu binden, ist deshalb die wirtschaftlich vernünftigste Lösung", sagt Rixner. Viele Unternehmen würden zwar meinen, dass sie dies bereits tun. Aber mit Tischkickern, kostenlosen Getränken und Obstkorb bindet man keine Beschäftigten an eine Firma. "Das zieht heutzutage nicht mehr", sagt Rixner. Die Unternehmen müssen mit den richtigen Paradigmen arbeiten, dann funktioniert Mitarbeiterbindung auch.

Richtig sei es emotional und authentisch zu führen, sie als Individuum anzusehen und deren Aufgaben an ihren Interessen auszurichten. "Nur die wenigsten Führungskräfte sind aber dazu in der Lage, denn das haben sie nicht gelernt und das werden sie in einer Dreitageschulung auch nicht lernen können", sagt Rixner. Emotionales Führen erfordert ein Umdenken auf der Führungsebene mit einem anschließenden Veränderungsprozess, der bei der Firmenkultur beginnt.

Rixner ist überzeugt, dass solche Prozesse bald einsetzen müssen, weil die Unternehmen gezwungen sind zu reagieren, "sonst laufen ihnen die Mitarbeiter weg und sie finden durch den demografischen Wandel und das anhaltende Wachstum keine Neuen". In letzter Konsequenz müssen unternehmenskritische Projekte wegen Personalmangel verschoben oder ganz abgesagt werden. Das ist ein ziemlich düsteres Bild, das Rixner zeichnet. Er hat sich aber auch intensiv mit der Mitarbeiterbindung auseinandergesetzt und darüber vor zwei Jahren das Buch geschrieben ‚IT-Talente finden und binden‘.

Der Titel ist äußerst aktuell, denn die Fluktuation in der IT-Branche ist doppelt so hoch wie in der Wirtschaft insgesamt. Fluktuation ist der Fachbegriff für das Ausscheiden von Mitarbeitenden aus einem Unternehmen, etwa durch Kündigung oder Renteneintritt. Laut Statistischem Bundesamt lag die Fluktuationsrate 2019 im Durchschnitt aller Branchen bei 33 Prozent. In der IT sind es 60 Prozent gewesen. Das bedeutet: Mehr als jeder zweite Beschäftigte in der IT-Branche hat im Laufe des Jahres mindestens einmal die Stelle gewechselt.

Fluktuation steigt, wenn die Beschäftigungsperspektive und die wirtschaftliche Lage gut sind. "Deshalb gingen während der Pandemie die durchschnittliche und die Fluktuation in der IT-Branche leicht zurück", sagt Oliver Stettes, Leiter Kompetenzfeld Arbeitsmarkt und Arbeitswelt am Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Es ist davon auszugehen, dass beide Werte wieder steigen, wenn die Pandemie vorbei ist und damit die Wechselbereitschaft der Beschäftigten sich erhöht.

Im Vergleich zur hohen Fluktuationsrate in der IT-Branche ist sie in den IT-Berufen mit etwa 20 Prozent gering und liegt um 10 Prozentpunkte unter dem Durchschnitt aller Berufe. "Die Zahlen zeigen: Mitarbeiterbindung fruchtet bei den IT-Berufen, aber nicht in der IT-Branche", sagt Stettes. Seine Begründung dafür: "Je besser die beruflichen Perspektiven in der Branche, umso höher ist die Bereitschaft zu wechseln." Dasselbe gelte zwar für die IT-Berufe, doch hätten IT-Fachkräfte aufgrund der Knappheit ein ohnehin schon hohes Gehalt und gute Beschäftigungsbedingungen, sodass ein Wechseln nicht wesentlich Besseres bringt. Deshalb bleiben die meisten Beschäftigten bei ihren Arbeitgebern, trotz zahlreicher Angebote von Headhuntern.

Über alle Berufe hinweg ist die Fluktuation bei Facharbeitern am geringsten. "Bei Akademikern ist sie leicht höher und bei Beschäftigten ohne Abschluss deutlich am höchsten", sagt Stettes. Neben der Qualifikation wirkt sich das Alter stark unterschiedlich auf die Wechselwilligkeit aus. "Unter 25 findet ein reger Arbeitgeberwechsel statt, der ab Mitte 30 rapide nachlässt", sagt Stettes. Mit zunehmendem Alter sinkt die Wechselbereitschaft.

Zu einer Bindung gehören immer zwei. "Ein Unternehmen, das sich seinen Mitarbeitenden verbunden fühlt und Mitarbeitende dem Unternehmen gegenüber", sagt der Ökonom und Psychologe Gunther Wolf. Wenn nur einer will, der andere aber nicht, dann klappt eine Beziehung nicht. Wolf ist Managementberater und hat auch ein Buch zum Thema geschrieben mit dem Titel ‚Mitarbeiterbindung‘. Bindung bestimmt den Grad einer Beziehung: "Ist die Beziehung gut, ist die Bindung hoch", sagt Wolf. Wer seinen Job mag, will nicht wechseln.

Das ändert sich, wenn Werte und Ziele nicht übereinstimmen. Etwa der Chef unfair ist, Kollegen nicht hilfsbereit sind, das Unternehmen ausschließlich auf den Gewinn schaut. "Bei solchen Kandidaten haben Headhunter leichtes Spiel", sagt Wolf. Davor schützt, Bindungen zu pflegen. Vorgesetzte haben den größten Einfluss auf Mitarbeiterbindung und Fluktuation. "Die meisten Angestellten verlassen nämlich nicht das Unternehmen, sondern den Chef", sagt Wolf. Gute Vorgesetzte sind nicht der Kündigungsgrund, sondern binden ihre Mitarbeitenden ans Unternehmen.

Tischkicker oder Tischtennisplatte sind keine Gründe dafür, in einer Firma zu bleiben. "Mitarbeiterbindung funktioniert am besten, wenn Vorgesetzte bei der Mitarbeiterführung auf der emotionalen Ebene ansetzen", sagt Wolf. Damit das gelingt, müssen sie wirklich wissen, welche Wünsche die Angestellten haben, welche Aufgaben sie mögen, welche nicht und wie es ihnen geht? "Vorgesetzte, die das wissen, können richtig reagieren", sagt Wolf. Das stärkt die Bindung und senkt die Fluktuation. Mit einer Gehaltserhöhung lässt sich die Bindung nicht steigern. Mehr Geld motiviert weder zum Bleiben, noch zu mehr Leistung. Aber ein zu geringes Gehalt schwächt die Bindung, deshalb sollte es angemessen sein, dann ist es ein neutraler Faktor im bestenfalls emotionalen Beschäftigungsverhältnis.

(axk)