Chatkontrolle: Bürgerrechtler laufen Sturm gegen EU-weite Massenüberwachung

39 zivilgesellschaftliche Organisationen warnen die EU-Kommission vor dem geplanten Gesetz für Kinderpornografie-Scans und einem Angriff auf Verschlüsselung.

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(Bild: Den Rise/Shutterstock.com)

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Die Initiative European Digital Rights (EDRi) und 38 weitere Organisationen der Zivilgesellschaft haben am Donnerstag einen Brandbrief an die EU-Kommission geschickt. Sie fordern darin, dass das geplante EU-Gesetz zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern mit den Grundrechten und -freiheiten im Einklang steht. Sie zeigen sich ernsthaft besorgt, dass die bereits im Vorfeld heftig umstrittene Initiative "nicht den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit und Legitimität entspricht".

Das auch als "Chatkontrolle" bekannte Vorhaben könnte einen "gefährlichen Präzedenzfall für die massenhafte Ausspähung privater Kommunikation schaffen", betonen die Verfasser. Es drohe ein breiter Angriff auf sichere Verschlüsselung, mit dem der Austausch privater Nachrichten "zum Kollateralschaden" verkommen würde.

Zu den Unterzeichnern des offenen Briefs gehören etwa das Center for Democracy & Technology (CDT), der Chaos Computer Club (CCC), der Deutsche Anwaltverein (DAV), die Deutsche Vereinigung für Datenschutz (DVD), Digitalcourage, Digitale Gesellschaft, die Electronic Frontier Foundation (EFF) und Privacy International.

Die Kommission wird den Entwurf voraussichtlich Ende März präsentieren. Dem Vernehmen nach will sie im Kampf gegen Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs alle Anbieter von E-Mail-, Chat- oder sonstiger Kommunikationsdienste verpflichten, vollautomatisiert und flächendeckend nach verdächtigen Nachrichten zu suchen und diese an die Polizei weiterzuleiten.

Die Auflagen dürften insbesondere auf WhatsApp, Signal, Threema & Co. mit durchgehender Verschlüsselung zielen. Eine umfassende Inhaltekontrolle ist bei diesen derzeit nicht möglich. Sie müssten daher möglicherweise ihre kryptografischen Verfahren aufweichen oder andere umstrittene Lösungen wie einen Hashabgleich oder Scans direkt auf den Endgeräten ("Client-side Scanning") einführen.

Die Organisationen fordern die Kommission nachdrücklich auf, sicherzustellen, dass der Vorschlag keine Bestimmungen enthält, die zu einer Massenüberwachung führen oder diese erzwingen könnten. Gestattet werden dürften "nur gezielte Eingriffe auf gesetzlicher Grundlage und unter richterlicher Aufsicht". Die Kommission müsse auch gewährleisten, dass die Maßnahmen "eng begrenzt sind und so wenig wie möglich in die Privatsphäre eingreifen". Alles andere würde den EU-Grundrechten, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit zuwiderlaufen.

Die Entstehung von "Child sexual abuse material" (CSAM) müsse mit sozialen und menschlichen Mitteln von vornherein verhindert werden, verlangen die Beteiligten. In einer Mitteilung beklagt EDRi, dass der Vorschlag "das Wesen der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung untergraben" und "die EU zum Weltmarktführer bei der Massenüberwachung ganzer Bevölkerungen machen würde". Die Staatengemeinschaft könnte dann nicht mehr glaubwürdig ihre Stimme erheben, wenn undemokratische Regimes die gleichen Methoden nutzten.

Federführend bei dem Dossier ist Innenkommissarin Ylva Johansson. EDRi moniert, dass die Schwedin das Ersuchen nach einem Treffen mit Mitgliedern der Dachorganisation abgelehnt habe. Daher sei das Schlimmste zu befürchten, auch wenn Johansson versichert habe, dass die Initiative Verschlüsselung "nicht verbieten oder generell schwächen werde". Der schwarze Peter dürfte dann aber bei den Diensteanbietern liegen.

Der springende Punkt ist laut den Unterzeichnern, dass die Kommission davon ausgehe, die Technologie könne eine schnelle Lösung für ein Problem bieten, das in Wirklichkeit sehr komplex sei. Sie betonen: "Es gibt keine Möglichkeit, den Strafverfolgungsbehörden einen außergewöhnlichen Zugang zu Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation zu gewähren, ohne Schwachstellen zu schaffen, die Kriminelle und repressive Regierungen ausnutzen können." Maßnahmen, die Verschlüsselung brechen oder untergraben wie Client-side-Scanning, schafften immer weit mehr neue Probleme als Lösungen.

Die EU-Innenminister begrüßten im November die im Raum stehende Chatkontrolle. Das Vorhaben könne die Internetindustrie "in ihren Bemühungen zur Verhinderung und Bekämpfung" einschlägiger Verbrechen unterstützen. 20 EU-Abgeordnete fast aller Fraktionen hatten zuvor Alarm geschlagen: Sie befürchten einen ähnlichen Ansatz wie bei den früheren, nicht weniger umkämpften "SpyPhone"-Plänen von Apple. Damit drohten chinesische Verhältnisse.

(bme)