Wie sich Bürger in autoritären Regimes gegen Netzsperren und Zensur wehren

Internetsperren gibt es nicht erst seit dem Ukraine-Konflikt. Bürger in den betroffenen Ländern greifen zu VPN-Diensten und weiteren Anti-Zensur-Tools.

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Schloss, Zensur, Überwachung

(Bild: Michal Jarmoluk, gemeinfrei)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Ronald Eikenberg
Inhaltsverzeichnis

Das freie und unzensierte Internet, wie wir es kennen, scheint ein Auslaufmodell zu sein: Zunehmend werden Inhalte gesperrt, sei es nun aus politischer Motivation oder aus Jugendschutzgründen. Was in China durch die Great Firewall längst Alltag ist, erreicht nach und nach auch andere Länder wie Russland. Einen guten Überblick über die Situation liefern die Daten des Open Observatory of Network Interference – kurz OONI.

Die Daten zeigen, wann in Russland der Zugriff auf die internationale Berichterstattung von BBC, Deutsche Welle und Voice of America eingeschränkt wurde. Wer will, kann über die OONI-Datenbank auch aktuelle Daten von über 200 anderen Ländern abrufen, die App „OONI Probe“ überprüft auf Wunsch, ob die eigene Internetleitung von Zensur betroffen ist und speist die Ergebnisse in die große Datenbank.

Das Open Observatory of Network Interference (OONI) beobachtet seit Ende Februar Anomalien beim Zugriff auf internationale Websites aus Russland.

(Bild: OONI)

Angesichts der Kriegssituation verwundert es nicht, dass VPN-Apps die Top 10 des russischen App Store dominieren. Offenbar möchten viele Bürger die Internetsperren nicht hinnehmen und greifen zu VPN-Angeboten, um an die gewünschten Informationen heranzukommen. Dabei ist der Einsatz von Methoden, die Sperren umgehen, seit 2017 in Russland verboten – wird aber zumindest bislang wohl nicht merklich geahndet.

Per Virtual Private Network (VPN) baut man über den lokalen Internetzugang eine geschützte Verbindung zum VPN-Server des Anbieters auf. Der Server kann in einem beliebigen Land stehen und von dort aus geht es dann weiter ins Internet – ganz so, als sei man vor Ort. Allerdings ist VPN kein Allheilmittel, denn man muss dem Anbieter vertrauen.

Außerdem ist VPN-Traffic leicht erkennbar anhand der meist öffentlich bekannten IP-Adressen der VPN-Server und auch der genutzten Verbindungsports. Eine Firewall kann solche Verbindungen leicht identifizieren und blockieren.

Die quelloffene Anti-Zensur-Software Psiphon, die aus einem Projekt des Citizen Lab der University of Toronto hervorgegangen ist, nutzt verschiedene Tricks, um auch in restriktiven Netzen eine Verbindung aufbauen zu können. So probiert das Tool mehrere Server und Verbindungsprotokolle durch, bis die Kontaktaufnahme mit dem Psiphon-Netzwerk gelingt. Der Datenverkehr der Nutzer wird durch etliche Server ins Internet geschleust, die auf der ganzen Welt verteilt sind.

Internationale Sender wie BBC und Deutsche Welle (DW), die von den Netzsperren unmittelbar betroffen sind, empfehlen Psiphon, um ungehindert auf deren Nachrichtenangebote zugreifen zu können. In die DW-App „Breaking World News“ ist Psiphon gar direkt integriert.

Die Psiphon-App baut auch unter schwierigen Bedingungen einen Tunnel ins freie Internet auf.

Geht es um maximale Privatsphäre, dann ist Tor nach wie vor das Mittel der Wahl. Der Tor-Client verschlüsselt den Netzwerkverkehr mehrschichtig für die beteiligten Relays. Kritisch ist allerdings das letzte Glied in der Kette, der Exit Node, der den Tor-Verkehr ins normale Internet leitet: Er kann den Traffic Richtung Internet mitlesen und manipulieren.

Daher sollte man bei der Tor-Nutzung ausschließlich verschlüsselt übertragene Protokolle wie HTTPS nutzen. Außerdem nimmt die Signallaufzeit durch die Verschlüsselung und die zusätzlichen Relays zu, was zu deutlich verlangsamtem Aufbau von Webseiten führen kann.

Auch Tor lässt sich blockieren, etwa durch Firewallsperren für bestimmte Ports. Dagegen helfen austauschbare Übertragungsarten (Pluggable Transports), die den Tor-Traffic zum Beispiel als Surfverkehr tarnen. Solche Übertragungsarten kann man in den Einstellungen des Tor-Browsers unter „Bridges“ aktivieren, etwa Snowflake.

Snowflake lebt von freiwilligen Helfern, denn je mehr es davon gibt, desto schwieriger lassen sich die Verbindungen blockieren. Mithelfen kann jeder: Installiert man etwa die Browser-Erweiterung für Chrome oder Firefox, wird der eigene PC zum Snowflake-Proxy, der anderen Nutzern ins Tor-Netz hilft.

Jeder Proxy hat dabei eine eigene IP-Adresse, die ein Zensor auf seine Blacklist setzen muss, oft sind diese auch noch dynamisch. Ständig kommen neue Proxy-IPs hinzu oder werden ungültig – es ist kaum möglich, sie alle zu sperren. (rei)