IT-Fachkräfte:​ Alle suchen Akademiker​

Immer mehr offene IT-Stellen können nicht besetzt werden. Frauen, Umschulung, Bleibe- und Trennungsgespräche sollen dazu beitragen, den Mangel zu mildern.

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(Bild: baranq/Shutterstock.com)

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Von
  • Peter Ilg
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Die IT-Fachkräftelücke wird größer, meldete der Bitkom zu Jahresbeginn und verkündete 96.000 offene Jobs. Das sind 12 Prozent mehr als im Jahr davor. Die Zahl geht aus einer Befragung von rund 850 Unternehmen aller Branchen hervor. Zwei Drittel der Befragten erwarten eine weitere Verschärfung des Mangels an IT-Fachpersonal. Die Bundesagentur für Arbeit geht für 2020 von 854.000 Beschäftigten IT-Fachkräften aus. Das würde bedeuten, dass mehr als jede zehnte Stelle unbesetzt ist.

heise jobs – der IT-Stellenmarkt

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Auf den ersten Blick ist die Situation laut einer Studie des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung KOFA weniger dramatisch. Danach ist die Zahl der offenen Stellen von 2011 bis 2018, also vor Corona, gestiegen, die Zahl der Arbeitslosen ging leicht zurück. "Seit 2016 übersteigt die Zahl der offenen Stellen die der IT-Fachkräfte, die sich arbeitslos gemeldet haben", sagt Studienautorin Dr. Anika Jansen. Auch wenn mit der Coronavirus-Pandemie die Zahl der freien Stellen zunächst gesunken und die Arbeitslosenrate gestiegen ist, bestehen weiterhin Engpässe. Im Jahresdurchschnitt 2021 bestand eine Lücke von 22.300 IT-Fachkräften. Soviel mehr offene Stellen gab es als Arbeitssuchende.

IT-Gehälter 2021

Weil aber nicht jede arbeitslose IT-Fachkraft auf jede offene IT-Stelle passt, ist die tatsächliche Fachkräftelücke größer. 2021 gab es durchschnittlich 48.175 offene Stellen, für die es bundesweit keinen passend qualifizierten Arbeitslosen gab. Das ist ein neuer Höchststand. Aktuell kann fast jede zweite offene Stelle nicht besetzt werden.

"Es fehlen vor allem Hochschulabsolventen und nur wenige Fachkräfte", sagt Jansen. Das liegt an der besonderen Qualifikationsstruktur in den IT-Berufen: etwa 86 Prozent haben eine Tätigkeit, die einen Hochschulabschluss oder eine qualifizierte Weiterbildung erfordert, in 14 Prozent aller Tätigkeiten wird eine duale Ausbildung vorausgesetzt. Die IT-Berufsgruppe ist somit ganz stark von Akademikern geprägt.

Werden nun die Zahlen von Bitkom und KOFA gegenübergestellt, ergibt sich ein völlig unterschiedliches Bild: hier fast 100.000 unbesetzte Stellen, dort eine Fachkräftelücke von etwa der Hälfte. Woher kommt diese Diskrepanz? Der Bitkom macht eine Umfrage. "Wir sind der Meinung, dass man nicht nur die Nachfrage, sondern auch das Angebot berücksichtigen sollte", sagt Jansen. Deshalb stellt sie das KOFA gegenüber und bedient sich der Zahlen der Bundesagentur für Arbeit.

Von dort ist bekannt: je höher die Qualifikation, umso geringer die Meldequote. Bei Experten, das sind Akademiker, beträgt sie 30 Prozent, bei Spezialisten, das sind Bachelorabsolventen ohne Berufserfahrung und IT-Professionals durch Weiterbildung, beträgt sie 45 Prozent. Offene Stellen für Fachkräfte mit Berufsausbildung melden die Firmen in jedem zweiten Fall.

Bitkom hin, KOFA her: ein Mangel an IT-Fachkräften besteht. Wie lässt er sich lindern oder gar lösen? Seit Jahren werden drei Ansätze verfolgt: Frauen, Qualifizierung, Zuwanderung.

Knapp 100.000 Beschäftigte in den IT-Berufen hatten 2020 keine deutsche Staatsangehörigkeit. Ein Drittel kommt aus der EU, zwei Drittel aus Drittstaaten. Damit lag der Anteil international Beschäftigter in den IT-Berufen bei 11,5 Prozent und somit nur leicht über dem Durchschnitt aller Berufe.

Das vor zwei Jahren eingeführte Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist für Adél Holdampf-Wendel, Bereichsleiterin Arbeitsrecht und Arbeit 4.0 beim Bitkom, ein Schritt in die richtige Richtung, obwohl in der Zeit nur etwa 250 Visa erteilt wurden. "Bei deren Erteilung sollte die Berufserfahrung stärker gewichtet werden als formelle Abschlüsse." Dasselbe gilt für Qualifizierung, die ebenfalls ein wichtiger Baustein ist, um die IT-Fachkräftelücke zu schließen. Bei IT-Fachkräften komme es auf praktisches Wissen an, die Behörden achteten aber zu sehr auf formelle Abschlüsse. "Codier-Schools und Boot-Camps sind Alternativen, um sich in kurzer Zeit IT-Know-how anzueignen als Voraussetzung für einen Quereinstieg in die IT-Branche."

Nach Informationen des Statistischen Bundesamts hat sich die Zahl der Informatikstudenten in den letzten 10 Jahren fast verdoppelt und der Frauenanteil in den Erstsemestern ist von 14 auf 20 Prozent gestiegen. Der Bitkom führt eigene Berechnungen durch und geht von einem Frauenanteil unter den Erstsemestern von konstant einem Viertel in den vergangenen Jahren aus. "Hier müssen wir uns noch mehr engagieren", sagt Holdampf-Wendel. Sie fordert Unternehmen dazu auf, in der Personalgewinnung gezielt Frauen anzusprechen und Führungskräfte bei der Frauenförderung in die Pflicht zu nehmen.

Jörg Albold hält Umschulung für den aktuell hilfreichsten Ansatz, um den IT-Fachkräftemangel zu lindern. "Digitalisierung schafft zwar Arbeitsplätze, vernichtet aber auch welche. An dieser Stelle sollten die Unternehmen genau hinschauen und die betroffenen Mitarbeiter für die Jobs der Zukunft qualifizieren." Albold ist der oberste Headhunter für IT-Berufe im Beratungshaus Kienbaum. Sein anderer Tipp ist, regelmäßig Bleibe- und Trennungsgespräche zu führen.

"Bei den Bleibegesprächen soll herausgefunden werden, ob es den Angestellten gut geht oder was verändert werden muss, dass sie sich im Job wohlfühlen", sagt Albold. Trennungsgespräche sind deshalb wichtig, damit das Unternehmen die Gründe erfährt, weshalb jemand gekündigt hat. "Das lässt sich dann zwar nicht mehr umkehren, aber begangene Fehler bei anderen Mitarbeitenden vermeiden", sagt Albold.

Das Trennungsgespräch sollte nicht der direkte Vorgesetzte führen, sondern ein Mitarbeiter aus dem Personalbereich, weil der bald Ex-Kollege dann eventuell ehrlich antworte. Seinem Chef gegenüber wird er das wohl nicht tun. Denn meistens ist er der Grund für die Kündigung.

(axk)