Chemieinformatik: Effizientes Wirkstoffdesign für neue Arzneimittel

Chemieinformatiker suchen und modellieren Moleküle, die als Wirkstoffe in Medikamenten verwendet werden können. Der Job erfordert ziemliche Ausdauer.

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(Bild: totojang1977/Shutterstock.com)

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Von
  • Peter Ilg
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Fehler macht jeder, sie korrigieren aber nicht. Farina Ohm, 29, hatte den Mut zu ändern, was notwendig war. Nach dem Abitur studierte sie Lebensmittelchemie. "Das Studium war inhaltlich total spannend, aber tagelang im Labor zu stehen und Chemikalien zu mischen, das war überhaupt nichts für mich." Ohm suchte sich eine Alternative und fand heraus, dass die Universität Hamburg einen Bachelor- sowie anschließenden Master-Studiengang anbietet, der die Chemie mit der Informatik kombiniert. "Mit Chemie wollte ich sowieso etwas machen und das in Verbindung mit Informatik fand ich faszinierend." So fand die junge Frau nach einem Umweg zu ihrem Beruf.

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Ohm studierte zunächst Computing in Science und spezialisierte sich in diesem Bachelor-Studiengang durch Wahlmöglichkeiten in der Chemieinformatik. Das Studium besteht im Wesentlichen aus Vorlesungen in Biochemie, Informatik und Mathe. "Der Studiengang ist ziemlich anspruchsvoll, er erfordert extrem viel Disziplin und hilfreiche Kommilitonen, um das Pensum zu schaffen." Sie schaffte den Abschluss und studierte gleich anschließend den darauf aufbauenden Masterstudiengang Bioinformatik, wieder mit dem Schwerpunkt Chemieinformatik. "Der Master hat im Vergleich zum Bachelor sogar Spaß gemacht, denn ich konnte mein erworbenes Wissen anwenden und vertiefen." 2017 hat Ohm ihr Studium abgeschlossen und fühlt sich "tendenziell als Informatikerin mit gutem Grundverständnis in der Chemie".

Ihr erster Job ist bei Evotec in Hamburg, einem international tätigen Life-Science-Unternehmen, das mit Partnern oder selbstständig an neuen Medikamenten für Menschen forscht. Ohm bekommt aus dem Labor Daten, die aus Zahlen bestehen. "Die Zahlen sind Signale, wie stark oder schwach chemische Stoffe miteinander reagieren." Das kann mal leicht, mal stark sein und dazwischen ganz fein abgestuft. Welche Substanzen für einen neuen Wirkstoff interessant sind und weiterverfolgt werden sollten, entscheidet sie mit ihren Analysen. Dafür nutzt sie Softwarelösungen.

Allein, ob ein Signal hoch oder tief ist, sagt aber nichts aus über die Qualität als Wirkstoff. "Um das zu beurteilen, brauche ich mein Chemiewissen." Ihre Expertise besteht nicht darin, die passenden Buttons in der Software anzuklicken, sondern zu verstehen, was sie damit macht. In ihrem Job ist Kommunikation sehr wichtig. "Ich übersetze das Ergebnis aus der Informatik in die Sprache der Chemie."

Seit 2002 gibt es den Studiengang Bioinformatik an der Universität Hamburg. Erst war es ein Diplom-, dann wurde daraus ein Master-Studiengang. Etwa 30 Studienplätze gibt es, rund ein Drittel wählen aus den vier möglichen Schwerpunkten die Chemieinformatik. Ähnlich ist das Verhältnis bei 20 Studienplätzen im Bachelor-Studiengang Computing in Science, den es seit 2009 gibt. Auch andere Universitäten mit Lehrstühlen in Chemieinformatik bieten diese Wahlmöglichkeit an, etwa die Unis Saarbrücken und Tübingen.

"Chemieinformatik ist im Vergleich zur Bioinformatik aber selten", sagt Prof. Dr. Matthias Rarey, Leiter des Zentrums für Bioinformatik an der Uni Hamburg. Dort lernen die Studenten den Umgang mit Molekülen in IT-Systemen und das Handwerkszeug der Informatik. Die Absolventen arbeiten am Computer und modellieren häufig Lösungen. "Sie suchen und modellieren Moleküle, die als Wirkstoffe in Medikamenten verwendet werden können", sagt Rarey. Chemieinformatiker sind vergleichbar mit Medizin- oder Wirtschaftsinformatikern. Sie alle lösen Probleme in anderen Fachdisziplinen mithilfe der Informatik. Dafür müssen die Chemieinformatiker den Anwendungsfall der Chemie in den Lebenswissenschaften verstehen.

Die Chemie ist komplex, die Informatik kompliziert. "Wer über ein gutes Mathematikverständnis verfügt und sich gleichermaßen für Informatik und Chemie in den Lebenswissenschaften interessiert, den erwartet ein interessantes Studium", sagt Rarey. Wer es nur wegen der sehr guten Berufsaussichten und dem hohen Einkommen macht, wird wahrscheinlich scheitern. Die Allermeisten hängen nach dem Bachelor den Master an und ein Großteil davon promoviert. Das ist in der Chemie und Biologie weit verbreitet.

Jan Dreher, 42, hat nach seinem Diplom als Chemieinformatiker in Hamburg an der Universität Braunschweig in Pharmazie promoviert. Auch er hat zunächst ein anderes Fach studiert: bei ihm war es die Informatik bis zum Vordiplom, dann hat er gewechselt. Nach der Promotion ging er als Post Doc in die Schweiz zum Arzneimittelhersteller Roche. Seit knapp zehn Jahren ist er nun bei Bayer und forscht ebenfalls an neuen Medikamenten. Der Wirkstoff, ein Molekül, soll viele Eigenschaften erfüllen. Die wichtigsten sind: Er soll dort wirken, wo es gewünscht ist, an anderen Stellen aber nicht schaden. "Einen neuen Wirkstoff zu finden ist ein langwieriger Prozess, der sehr viel Geld kostet", sagt Dreher. Zehn bis 15 Jahre und gut eine Milliarde Euro sind Durchschnittswerte für die Entwicklung eines neuen Medikaments.

Dreher designt neue Wirkstoffkandidaten mit Computerprogrammen, Chemiker stellen sie im Labor her und Biologen testen sie. Die Ergebnisse gehen an Dreher zurück, der im nächsten Schritt neue Moleküle vorschlägt. So werden Wirkstoffkandidaten in Zyklen sukzessive verbessert. "Bis ein neuer Wirkstoff gefunden ist, braucht man in der Medikamentenforschung ein hohes Maß an Durchhaltevermögen und Frustrationstoleranz, weil man oft nur in winzigen Schrittchen vorankommt", sagt Dreher. Er arbeitet in globalen Forscherteams mit Biologen und Chemikern zusammen und entwickelt neue Medikamente, die Menschen helfen und Leben retten können. "Das motiviert mich." Aktuell arbeitet er an neuen Medikamenten, die bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen eingesetzt werden sollen.

Seine Werkzeuge sind kommerzielle Softwareprogramme, die er für seine Zwecke anpasst. Er implementiert die Systeme und programmiert auch selbst Anwendungen. Dreher bereitet Daten auf und analysiert Ergebnisse. Und das in mehreren Projekten parallel.

Letztendlich macht Dreher als Chemieinformatiker das, was Informatiker häufig tun: Prozesse mithilfe der IT effizienter zu gestalten. In Fall von Chemieinformatikern geht es um das Design eines Wirkstoffes für ein neues Arzneimittel.

(axk)