Informatikstudiengänge für Frauen:​ Kein Problem mit Männern​

In Bremen und Berlin gibt es Informatikstudiengänge für Frauen. Ist das realitätsfremd? Schließlich gibt es auch keine Firmen, in denen nur Frauen arbeiten.

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(Bild: nampix/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Peter Ilg
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Das grammatische Geschlecht der Informatik ist zwar weiblich, dennoch ist in vielen Köpfen der Gesellschaft das Gegenteil verankert: IT ist Männersache. "Bei uns im Studium ist das anders, da gibt es keine Männer, die meinen, Informatik besser zu können als wir Frauen", sagt Sara Nill, 29 Jahre. Während ihrer Schulzeit hatten die Jungs in den Naturwissenschaften das Sagen.

"Wenn wir Mädels uns mal getraut haben, etwas zu fragen, wurden wir von den Besserwissern in der letzten Reihe lässig belächelt." Solche Demütigungen wollte Nill nicht mehr, deshalb studiert sie den Frauenstudiengang Wirtschaft und Informatik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin.

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Nill hat nach dem Abitur Ausbildungen für zeitgenössischen Tanz und Yoga abgeschlossen, anschließend als selbstständige Yogalehrerin gearbeitet. "Im Vergleich zu dem, was ich davor gemacht habe, ist ein Informatikstudium einschüchternd." Die Option, nur mit Frauen zu studieren, hat ihr den Einstieg 2018 erleichtert. Zwischendurch ist sie Mutter geworden und steht jetzt kurz vor dem Beginn ihrer Bachelorarbeit.

Mutter während des Studiums zu werden, sei in einem monoeduaktivem Studiengang definitiv leichter als in koeduaktiven, weil es mehr Akzeptanz dafür und Rücksicht darauf gibt. "Es wird weniger auf die Studiendauer geachtet und die Lehrenden haben kein Problem damit, wenn man sein Kind mal mit in die Vorlesung bringt." Mehrere der Kommilitoninnen von Nill sind während ihres Studiums Mutter geworden.

Ihre Wünsche an das Studium haben sich bestätigt: "Es ist eine angenehme Lernatmosphäre, die nicht von Männern dominiert wird. Ich traue mich, Fragen zu stellen und werde deshalb nicht ausgelacht oder niedergemacht." Nill hat so viel Selbstvertrauen gewonnen, dass sie mit dem Gedanken spielt, einen Master in Informatik mit Männern zu machen. "Oder ich fange in einem sympathischen Softwareunternehmen als Entwicklerin an." Sympathisch bedeutet für sie: diverse Firmenkultur und geschlechterspezifisch ausgeglichen. Gemeinsam mit einer Freundin betreibt Nill einen Podcast, in dem sie Frauen Informatik einfach erklären.

Den Frauenstudiengang in Berlin gibt es seit 2009. "Wir haben ihn gegründet, um die Zielgruppe Frauen für die Informatik zu erschließen", sagt Studiengangsprecherin Professorin Dr. Juliane Siegeris. Aktuell liegt der Frauenanteil unter den Studierenden im klassischen Informatikstudiengang bei einem Fünftel. Die Wortkombination "Informatik und Wirtschaft" bei dem Frauenstudiengang lässt darauf schließen, dass es sich in Berlin um Wirtschaftsinformatik handeln könnte. Dem ist aber nicht so: "Der Informatikanteil ist mit 80 Prozent dominant und das Wort Wirtschaft nimmt der Informatik das abstrakte", sagt Siegeris. Dieser Anwendungsbezug scheint bei Frauen zu wirken, denn generell ist in den Bindestrichstudiengängen der Informatik der weibliche Anteil etwas höher als in der reinen Informatik.

40 Studienplätze und 30 Absolventinnen gibt es jährlich. Die Gruppe ist vielfältig. Es sind Frauen darunter, die schon vorher einen anderen Abschluss und Berufserfahrung hatten. "Sie haben keine Lust darauf, in Vorlesungen zwischen lauter jungen Kerlen zu sitzen", sagt Siegeris. Ein hoher Anteil an Müttern und Migrantinnen ist auch darunter. Dass nur Frauen zugelassen werden, ist rechtlich eine positive Diskriminierung und deshalb zulässig. Es gibt zu wenig Frauen in der IT und wenn man diesen Missstand verbessern will, dürfen sich ausschließlich Frauen immatrikulieren.

Anastasiia Kozlova, 36, hat an der Hochschule Bremen den Frauenstudiengang Informatik Anfang 2020 abgeschlossen. Sie kommt aus St. Petersburg, hat dort an die Universität Journalistik studiert und dann in der Werbung gearbeitet. "Obwohl mich die Informatik interessierte, habe ich mich nicht an diese Disziplin getraut."

Durch Zufall fand sie im Internet das Angebot für Frauen in Bremen. "Ich hatte die Hoffnung, dass Informatik leichter gelehrt wird für uns Frauen." Das trifft nicht zu, aber die Art der Wissensvermittlung ist anders, als im koeduaktiven Informatikstudium. Studiert wird in kleinen Gruppen, es wird viel gefragt und die Vorlesungen sind lebendig. "Das ist wie Privatunterricht." Für Kozlova ist der Frauenstudiengang keine feministische Bewegung, sondern eine Chance für Frauen, die Informatik zu erlernen. Kozlova hat nach ihrem Abschluss bei der Bremer Straßenbahn angefangen. Sie betreut das Intranet und programmiert Prototypen für Fahrdienste, anhand derer externe Dienstleister die Programme schreiben.

Der Frauenstudiengang in Bremen wurde 2000 gegründet. Seit 2016 wird er auch dual angeboten, in beiden Fällen können Frauen mit einem Bachelor abschließen. Von Anfang an war das Studium mit einem Auslandssemester international ausgerichtet. "Wir bieten den Studiengang an, um den desaströsen Anteil von Frauen in der Informatik zu ändern, indem wir sie für die Informatik gewinnen", sagt Professorin Dr. Gerlinde Schreiber, die Studiengangleiterin.

Im Vordergrund steht ein hochwertiges und gut betreutes Studienangebot. Gelernt wird in kleinen Gruppen, es gibt eine tutorielle Betreuung während der ersten beiden Semester in allen Fächern. Außerdem gibt es gemeinsame Veranstaltungen, die den Zusammenhalt der Frauen über alle Semester hin fördern.

Die Studieninhalte orientieren sich an den Empfehlungen der Gesellschaft für Informatik für ein Studium der angewandten Informatik. Einzige Ausnahme ist das Erstsemestermodul zu Hardwaregrundlagen. In dem zerlegen, vernetzen und ergänzen die Studentinnen etwa Computer, um das technische Selbstbewusstsein zu stärken.

Manche mögen meinen, ein Frauenstudiengang sei realitätsfremd, weil es auch keine Unternehmen gibt, in denen ausschließlich Frauen arbeiten. Diese Vermutung sei falsch, sagt Schreiber. "Unsere Studentinnen haben kein Problem mit Männern, sondern damit, eine Minderheit im üblichen Informatikstudium zu sein". In dieser fühlen sie sich ständig beobachtet: von Professoren und Kommilitonen. Das verunsichert.

"Wenn sie den Bachelor abgeschlossen haben, sind unsere Absolventinnen absolut konkurrenzfähig und wissen dies auch", sagt Schreiber. Sie hätten weder im Job noch in einem anschließenden Masterstudium Probleme, sich in der männerdominierten IT-Welt zu behaupten.

(axk)