Wie Bitcoin-Mining fast eine Stadt in den USA zerriss

Enorm hohe Strompreise, schlecht fürs Klima: In Plattsburgh, New York, zeigt sich, welche Auswirkungen der Krypto-Hype auf Kommunen haben kann.

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(Bild: Gabriela Bhaskar)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Lois Parshley
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Wenn Sie vor einigen Jahren leicht ins Risiko gegangen wären und eine vergleichsweise neue digitale Währung namens Bitcoin gekauft hätten, wären Sie heute womöglich mehrfacher Millionär. Doch während die Krypto-Branche einigen Menschen satte Gewinne beschert hat, haben Kommunen, in denen das sogenannte Mining stattfindet, nicht selten einen hohen Preis dafür gezahlt.

Kryptowährungen werden von Computern erzeugt, die komplizierte – aber letztlich komplett sinnlose – mathematische Gleichungen lösen, ein Prozess, der so richtig in Schwung kam, nachdem ein chinesisches Unternehmen namens Bitmain 2016 mit dem Verkauf eines Servers mit speziellen Anwendungsprozessoren begonnen hatte, die es ermöglichten, diese speziellen Berechnungen viel schneller durchzuführen. "Fast über Nacht", sagt Colin Read, Professor für Wirtschaft und Finanzen an der State University of New York in Plattsburgh, "begann ein Krypto-Mining-Wettrüsten".

Firmen begannen, weltweit nach billigen Energiequellen zu suchen, um direkt vor Ort große Bitcoin-Mining-Farmen zu betreiben. Kryptowährungen verschlingen notorisch viel Strom. Jede Bitcoin-Transaktion verbraucht 1173 Kilowattstunden – mehr als der Durchschnittsamerikaner in einem Monat benötigt. Im Jahr 2020 verlangte das weltweite Krypto-Mining nach mehr Energie als die gesamte Schweiz. Zu dieser Zeit verfügte die Kleinstadt Plattsburgh über eine der günstigsten Stromversorgungen in den Vereinigten Staaten: Dank der billigen Wasserkraft der Niagara Power Authority.

Es dauerte nicht lange, bis eine Tochtergesellschaft des bekannten Mining-Unternehmens Coinmint ein verlassenes Family Dollar-Geschäft in Plattsburgh anmietete. Der Bauinspektor der Stadt, Joe McMahon, erinnert sich, dass der Mann, der den Mietvertrag unterzeichnete, Prieur Leary, alles besonders schnell erledigen wollte. "Er wollte schon über Nacht ausreichend Strom haben", sagt McMahon. "Uns machte das etwas unruhig, wir wussten aber nicht, was das letztlich für Folgen haben würde."

Coinmint füllte das kleine Gebäude mit Servern und ließ sie dann 24 Stunden am Tag laufen. Als die Miner in ein nahe gelegenes Einkaufszentrum expandieren wollten, sagte ihnen Bill Treacy, der Leiter der Stadtbeleuchtung in Plattsburgh, dass sie dafür 140.000 Dollar in eine neue Infrastruktur investieren müssten. Er war überrascht, dass sich Cointmint davon nicht entmutigen ließen. Schon bald bezog das Unternehmen regelmäßig über 10 Megawatt – genug Strom für etwa 4000 Haushalte.

Andere Miner folgten schnell. Treacy erinnert sich, dass ein Bitcoin-Schürfer bei ihm anrief, um zu erfahren, ob er denn fünf Gigawatt bekommen könne. "Ich sagte ihm: Sorry, das wäre ein Viertel dessen, was der Staat New York an einem Tag verbraucht!" Bald erhielt Plattsburgh fast jede Woche eine größere Anfrage einer Kryptofirma.

Im Januar 2018 gab es einen Kälteeinbruch in der Region. Die Menschen drehten ihre Heizung auf und schlossen zusätzlich elektrische Heizgeräte an. Die Stadt überschritt schnell ihr gebuchtes Kontingent beim Wasserkraftversorger, so dass sie gezwungen war, anderweitig Strom zu viel höheren Preisen zu kaufen. McMahon sagt, dass die Energierechnung für sein Haus in Plattsburgh um 30 bis 40 Dollar pro Monat gestiegen ist. "Die Leute spürten, dass es ein Problem gab, wussten aber nicht, worauf sie es zurückzuführen hatten", sagt er.

Als der lange Winter zu Ende war, bemerkten die Anwohner ein neues Problem: Mining-Server erzeugten eine extreme Hitze, die eine umfangreiche Belüftung erfordert, um Abschaltungen zu verhindern. Diese Lüfter erzeugten ein konstantes, hochfrequentes Heulen, sagt McMahon, "wie ein Flugzeug mit kleinem Motor, das sich auf den Start vorbereitet". Es ging nicht nur um die Dezibel, sondern auch um die Tonhöhe: "Es ist in dieser seltsamen Frequenz zu hören, wie bei Zahnschmerzen, die nicht verschwinden wollen." Carla Brancato wohnt auf der anderen Seite des Flusses gegenüber von Zafra, einem Krypto-Mining- und Krypto-Hosting-Unternehmen, das dem in Plattsburgh lebenden Ryan Brienza gehört. Sie sagt, dass ihre Wohnung mehrere Jahre lang durch den von dem Unternehmen verursachten Lärm vibriert habe, als ob jemand im Obergeschoss ständig einen Staubsauger laufen ließ.

Arbeitsplätze schuf der Mining-Boom fast nicht, die Server laufen fast automatisch. "Ich bin für wirtschaftliche Entwicklung", sagt Wirtschaftsprofessor Read, "aber der größte Mining-Betrieb der Stadt schuf weniger Arbeitsplätze als ein neues McDonald's." In Plattsburgh gibt es keine lokale Einkommenssteuer – und die meisten Miner mieten ihre Gebäude, so dass sie keine Grundsteuern zahlen müssen. Elizabeth Gibbs, eine Stadträtin, war schockiert, als sie einen der Betriebe besichtigte. "Ich war überwältigt, wie heiß es war – so heiß und so laut", sagt sie. Sie beschreibt ein Lagerhaus mit Hunderten von gestapelten Servern, die durch nabelähnliche Kabel miteinander verbunden sind, wobei Türen und Fenster weit geöffnet sein mussten, um kühle Luft hereinzulassen.

Read, der 2017 auch Bürgermeister wurde, beschloss, ein Moratorium für neue Krypto-Miner zu verhängen, damit die Stadt herausfinden konnte, was zu tun war. Zunächst schuf die New Yorker Kommission für Infrastrukturdienste (New York Public Service Commission) eine Regelung, über die von Nutzern mit hoher Nachfrage auch höhere Tarife verlangt wurden. Außerdem wurden die Kryptounternehmen verpflichtet, spezielle Infrastrukturen im Voraus zu finanzieren und eine Kaution zu hinterlegen, um sicherzustellen, dass ihre Rechnungen bezahlt werden. Auf der Grundlage eines Stromverbrauchs von zwei Monaten belief sich die Kaution von Coinmint auf 1.019.503 US-Dollar. Das Unternehmen verbrachte zwei Jahre damit, über Anwälte in Berufung zu gehen. "Am Ende haben sie verloren", sagt Treacy. Als nächstes aktualisierte Plattsburgh seine Bauvorschriften und Lärmschutzverordnungen. (Als bereits etabliertes Unternehmen erklärte sich Coinmint immerhin freiwillig zur Zusammenarbeit mit der Stadt bereit.)

Miner Brienza ist der Meinung, dass das Moratorium nicht notwendig war. "Die Stadt hätte eine Menge Business anziehen können", sagt er. Bewohnerin Brancato berichtet, nachdem Plattsburgh mit Brienzas Firma Zafra vereinbart hatte, die Lüfter seit dem letzten Sommer abzuschalten, sei es in ihrem Haus endlich ruhig geworden.

Jetzt nimmt die Stadt wieder neue Anträge von Krypto-Minern entgegen. Doch seit die neuen Vorschriften in Kraft sind, ist das Interesse gering. Stattdessen hat das Mining in der nahe gelegenen Stadt Massena stark zugenommen, wo Coinmint einen langfristigen Pachtvertrag für ein ehemaliges Alcoa-Aluminiumwerk unterzeichnet hat. Im Jahr 2021 hat Massena selbst die Ansiedlung neuer kryptobezogener Unternehmen gestoppt. "Unser Ziel ist es nicht, Geschäfte zu verhindern, sondern dafür zu sorgen, dass der Charakter unserer Stadt geschützt werden und wir sicher leben können", schrieb ein Mitglied des Stadtrats in einer per E-Mail übermittelten Erklärung zu der Entscheidung.

Von 2016 bis 2018 hat das Krypto-Mining im Bundesstaat New York die jährlichen Stromrechnungen für kleine Unternehmen um etwa 165 Millionen Dollar und für Einzelpersonen um 79 Millionen Dollar erhöht, wie eine kürzlich veröffentlichte Studie ergab. "Wenn Sie ein Investor sind, sehen Sie natürlich den Wert von Krypto", sagt McMahon, "aber ich, der ich in dieser Gemeinde lebe? Nein danke."

Der Wirtschaftswissenschaftler Matteo Benetton, Mitverfasser der Studie und Professor an der Hass School of Business an der University of California, Berkeley, sagt, dass Krypto-Mining die lokale Wirtschaft unter Druck setzt. An Orten mit unflexibler Stromversorgung beansprucht der Betrieb Netzkapazitäten, was zu Versorgungsengpässen, Rationierungen und Stromausfällen führen kann. Selbst an Orten mit ausreichender Stromversorgung, wie im Bundesstaat New York, kann das Mining andere potenzielle Industrien verdrängen, die mehr Menschen hätten beschäftigen können. "Es gibt zwar Vorteile für Privatfirmen durch den Strommarkt, aber es gibt auch hohe soziale Kosten", sagt Benetton.

Diese Auswirkungen sind nun im ganzen Land zu spüren. Benetton sagt, dass es starke Gewinnanreize gibt, so viele Server wie möglich in Betrieb zu halten – und er fordert nun eine größere Transparenz des Energieverbrauchs dieser Unternehmen. Das ist keine populäre Meinung in der Branche. Aber, so Benetton, "wenn man wirklich angeblich etwas Gutes tut, sollte man sich nicht scheuen, die Daten offenzulegen".

Die US-Bundesregierung überwacht derzeit nicht den Energieverbrauch des Mining von Kryptowährungen, aber der Vorsitzende der Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission, Gary Gensler, erkennt an, dass es Lücken in der Regulierung gibt. In einer Rede auf dem Aspen Security Forum im Jahr 2021 bezeichnete er die Branche als "Wilden Westen".

Solange das Mining profitabel ist, warnt Read, verlagern Verbote von Kryptowährungen das Problem nur an neue Orte. Als China im Jahr 2021 das Krypto-Mining verbot, um seine Klimaziele besser zu erreichen, nahmen die Aktivitäten an Orten wie Kasachstan zu, wo Strom hauptsächlich aus Kohle gewonnen wird. Infolgedessen, so eine aktuelle Studie, sank die Nutzung erneuerbarer Energien durch Bitcoin zwischen 2020 und 2021 um etwa die Hälfte auf 25 Prozent.

Selbst wenn die Branche in erneuerbare Energien investiert, trägt sie durch ihren schieren Verbrauch erheblich zu den Kohlenstoffemissionen bei. Read weist die Versprechungen zurück, dass grüne Investitionen oder höhere Effizienz dieses Problem lösen können. In einem kürzlich erschienenen Arbeitspapier stellte er fest, dass der Energieverbrauch von Kryptowährungen bis zum Ende des Jahrzehnts um weitere 30 Prozent ansteigen wird, was zusätzliche 32,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr freisetzt. Solange der Preis von Bitcoin steigt, erhöht sich auch der Lohn für das Mining, was den Energieverbrauch antreibt, sagt er. Er bezeichnet diese Situation als "das Bitcoin-Dilemma".

Die 32 Millionen Tonnen Kohlendioxid werden die Klimakrise noch verschärfen, unabhängig davon, ob die Emissionen aus Upstate New York oder Kasachstan stammen. "Darunter leiden wir alle", sagt Read.

(bsc)