Hintergrund: Das Microsoft-Urteil und die Konsequenzen

Ein Sieg für die Verbraucher oder ein Freifahrtschein für einen Gesetzesbrecher? Das Urteil im Microsoft-Prozess wirft neue Fragen auf.

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Von
  • Egbert Meyer

"Die Entscheidung bedeutet einen Sieg für die Verbraucher", lobte US-Justizminister John Ashcroft das Urteil im Microsoft-Kartellverfahren. Doch die Entscheidung wirft eine Reihe neuer Fragen auf. Unter anderem ist nicht gesichert, dass der Kompromiss alle juristischen Auseinandersetzungen im Fall Microsoft beendet.

Gestern Abend hatte Bundesrichterin Colleen Kollar-Kotelly in Washington die außergerichtliche Einigung des Softwaregiganten mit dem Justizministerium in weiten Teilen akzeptiert. Forderungen von neun klagenden Bundesstaaten nach härteren Sanktionen lehnte sie dagegen ab. Ob die neun Staaten gegen die Entscheidung in Berufung gehen, steht noch nicht fest. Zumindest aus Kalifornien waren widersprüchliche Aussagen zu hören. Justizminister Bill Lockyer erklärte, er selbst neige nicht dazu, das Verfahren fortzusetzen. Dennoch behalte er sich den Gang in die Berufungsinstanz vor.

"Ein Seriengesetzesbrecher kommt davon", leitet heute Dan Gillmor seine viel beachtete Kolumne bei SiliconValley.com ein. Die Richterin habe Microsoft einen Freifahrtschein für künftiges Fehlverhalten ausgestellt. Traurigerweise seien die Verstöße von Microsoft Teil einer Firmenkultur geworden, in der Gesetze wenig bedeuteten und das Verhalten von dem Motto geprägt sei "Alles, womit man davonkommt, ist akzeptabel".

In diese Kerbe schlägt auch Edmund Mierzwinski von der Public Interest Research Group. "Microsoft hat jede Schlacht verloren, aber den Krieg gewonnen", sagte er zu dem Urteil. Der Konzern werde nicht daran gehindert, Wettbewerber zu verdrängen und die Wahl der Konsumenten einzuschränken. Auch nach Ansicht von Wettbewerbern kommt das Unternehmen Microsoft, dem im ersten Teil des Kartellverfahrens nachgewiesen wurde, seine Vormachtstellung bei Computer-Betriebssystemen rechtswidrig zum Schaden der Verbraucher eingesetzt zu haben, viel zu glimpflich davon: "Mit einer Einigung hat das wenig zu tun", kommentierte Jon von Tetzchner, Chef der norwegischen Softwareschmiede Opera, das Urteil. "Microsoft wurde schuldig befunden. Es gab aber keine wirksamen rechtlichen Schritte, keine echte Bestrafung".

Wie erwartet zeigte sich Microsoft-Gründer Bill Gates mit dem Richterspruch zufrieden. Er sagte nach Verkündigung des Urteils, sein Unternehmen sei erfreut, einen weiteren Schritt in dem Fall hinter sich gebracht zu haben. Ein Firmensprecher nannte den Vergleich einen "harten, jedoch fairen Kompromiss". Der Konzern wisse, dass er jetzt unter strenger Beobachtung stehe. Sowohl die Regierung wie auch die Wettbewerber blickten nun auf Redmond.

Zweifel an der Wirksamkeit der Sanktionen sind allerdings angebracht. "Das Urteil erlaubt Microsoft, sich als kapitalistisches Unternehmen zu verhalten und in neuen Märkten machtvoll aufzutreten, in denen es für Microsoft keine Wettbewerbs-Beschränkungen gibt", sagt etwa Heather O'Loughlin, Analystin von State Street Global Advisors, einem der größten Microsoft-Aktionäre.

Zudem hat Microsoft wichtige Forderungen der Kläger vorweg umgesetzt. Mit der bereits ausgelieferten Software-Aktualisierung Service Pack 1 für Windows XP können Anwender nun selbst entscheiden, ob sie den Internet Explorer oder Windows Media Player als Standard-Software benutzen wollen. Allerdings ist die Funktion so gut versteckt, dass sie längst nicht jedem User auffällt.

Während das Urteil für die Welt der Personal Computer kaum eine Veränderung bedeutet, sind die Auswirkungen auf die neuen Märkten, in denen das Quasi-Monopol von Windows keine gewichtige Rolle spielt, noch nicht absehbar. Hier tut sich der weltgrößte Software-Konzern mit seinem aggressiven Expansionskurs derzeit noch schwer. So konnte das Milliarden-Engagement von Microsoft für die Spielekonsole Xbox die Marktführerschaft von Sony mit der Playstation 2 bislang zu keinem Zeitpunkt gefährden. Microsoft-Gründer Bill Gates und Unternehmens-Chef Steve Ballmer sind in diesen Tagen schon froh, wenn sie Nintendo dauerhaft auf Platz drei im Markt verdrängen können.

Ähnlich sieht es zurzeit auch noch in den Märkten für Mobiltelefone, TV-Boxen oder dem vom deutschen Softwarehaus SAP dominierten Spezialmarkt für Business-Programme aus. Den gigantischen Investments in diesen Bereichen stehen bislang nur wenige Prestige-Erfolge auf dem Markt gegenüber. Bislang nutzt nur der Telefon-Operator Orange in Großbritannien ein Windows-Smartphone. Und beim Vorstoß in die SAP-Domäne hat Microsoft trotz teurer Übernahmen der Software-Häuser Great Plains und Navision noch keinen echten Durchbruch erzielt.

Marktbeobachter gehen aber davon aus, dass Microsoft seine Expansionsstrategie nun viel ungehemmter umsetzen kann. "Das Urteil hat Microsoft von den Fesseln befreit", sagte Don Gher, Chief Investment Officer beim Microsoft-Aktionär Coldstream Capital Management. Jetzt könne Microsoft seine enormen Bargeld-Bestände von über 40 Milliarden Dollar effektiver einsetzen, um beispielsweise andere Firmen aufzukaufen.

Siehe zum Urteil im Kartellrechtsprozess gegen Microsoft auch: (em)