Wie die Holzernte aktiv zum Klimaschutz beitragen kann

Ist es möglich, Bäume zu fällen und trotzdem das Klima vor zu viel CO₂ in der Atmosphäre zu schützen? Forscher sagen: Das geht durchaus.

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(Bild: Valentin Sabau, gemeinfrei (Creative Commons CC0))

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
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Wälder sollen erhalten und mehr von ihnen unter Schutz gestellt werden. Einerseits. Zugleich sollen sie Holz liefern, um klimaschädlich hergestellte Produkte zu ersetzen. Ein Zielkonflikt.

So fordert die EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 einen stärkeren Schutz der Wälder als Kohlenstoffspeicher und zum Erhalt der Biodiversität. Dieser Strategie stehen aber die Pläne zur Dekarbonisierung entgegen, wie sie die EU-Klimaziele "Fit for 55" beschreiben. Für die sind Wälder nur als Kohlenstoffsenken interessant, die in geerntetem Zustand Kohlenstoff in langlebigen Holzprodukten speichern sollen.

Beides ist durchaus sinnvoll und legitim. Bäume speichern Kohlenstoff solange sie stehen und wachsen. Als Wald schützen sie auch eine vielfach bedrohte Biodiversität. Gefällte Bäume speichern den in ihnen enthaltenen Kohlenstoff aber ebenfalls über viele Jahrzehnte, wenn ihr Holz verbaut wird und vor allem Produkte ersetzt, die bei ihrer Herstellung viel CO2 emittieren.

Holzerzeugnisse können beispielsweise Stahl, Aluminium oder Plastik ersetzen. So emittiert die Herstellung einer Haustür aus Stahl eineinhalbmal mehr CO2 als eine Holztür. Stahlträger, inzwischen oft ebenfalls gut durch Holz ersetzbar, emittieren fast zweieinhalbmal mehr.

Irgendwann sterben und verfaulen die Bäume in Schutzgebieten zwar, Häuser verfallen und Möbel werden verbrannt. Dann gelangt der Kohlenstoff zurück in die Atmosphäre – aber erst nach vielen Jahrzehnten. Beim momentanen Zustand des Klimas geht es aber in erster Linie darum, in sehr kurzer Zeit so viel Kohlenstoff wie möglich zu binden, um den steigenden CO2-Gehalt in der Atmosphäre in Grenzen zu halten.

Die Biodiversitätsstrategie der EU sieht vor, dass alle Länder in Europa mindestens zehn Prozent ihrer Landesfläche für Wälder unter Naturschutz stellen. Für Deutschland bedeutet das, dass rund 40 Prozent der bestehenden Wälder geschützt werden müssen. Bäume dürften dort dann nicht mehr gefällt werden, auch nicht, wenn deren Holz in Bauwerken und emissionsfreien Ersatzprodukten den Kohlenstoff ebenfalls für lange Zeit speichern.

Nach dieser Strategie fließt die Holzernte negativ in die Kohlenstoffbilanzen von Wäldern ein, weil Kohlenstoff entfernt wird. Beim Fällen von Bäumen für langlebige Holzprodukte bleibt der effektive Klimaschutz durch Holzprodukte unberücksichtigt.

Leam Martes und Michael Köhl vom Exzellenzcluster für Klimaforschung CLICCS der Universität Hamburg entwickelten jetzt einen Kompromissvorschlag, bei dem sowohl die Biodiversität erhalten, als auch der Atmosphäre mehr Kohlenstoff entzogen werden kann.

In einer Fallstudie analysierten sie vorhandene Daten von Wäldern in 19 Gemeinden in und um Hamburg, die auf einer Fläche von 550.000 Hektar wachsen. Aus den Informationen zu Größe, Dicke und Arten der Bäume bestimmten sie den gesamten Kohlenstoffgehalt dieser Wälder. Damit fütterten sie ein Rechenmodell, mit dem sie sechs verschiedene Szenarien berechneten: vom kompletten Naturschutz völlig ohne Holzernte bis zur vollständigen Bewirtschaftung durch Holzeinschlag bis zum Jahr 2100.

Danach führt der Erhalt von Wäldern zwar zu einem höheren oberirdischen Kohlenstoffpool, eine materielle Nutzung gleicht jedoch die allgemeine Kohlenstoffbilanz für die Atmosphäre besser aus. Bis 2100 könnten die Wälder im Untersuchungsgebiet 0,583 Millionen Tonnen Kohlenstoff speichern, wenn sie unbewirtschaftet blieben. Würde man dagegen das gesamte Holz dieser Waldgebiete bis zum Ende des Jahrhunderts nutzen und damit beispielsweise Beton und Stahl ersetzen, ließen sich der Atmosphäre immerhin 1,184 Millionen Tonnen Kohlenstoff entziehen. Das ist ungefähr so viel, wie heute in allen deutschen Wäldern zusammen gebunden ist.

"Wir müssen den Klimaschutz dort verbuchen, wo er stattfindet", sagt Leam Martes. "Heute kann eine Firma reklamieren, sie heize klimafreundlich, wenn sie Holz statt Erdöl verbrennt. Aber wo wurde das Holz produziert und damit das CO₂ der Atmosphäre entzogen? Im Wald. Gerechterweise müsste es sich deshalb positiv auf die Bilanz des Waldes niederschlagen."

Die beiden Forstwissenschaftler schlagen vor, alle alten Wälder zu schützen, in denen Bäumen stehen, die älter als 120 Jahre sind. Um Hamburg herum wären das knapp 14 Prozent der Waldflächen.

In Zukunft müssten aber politische Entscheidungsträger und Waldbewirtschafter Bestände für den Schutz ausweisen, die nur ein geringes Potenzial für die Holzproduktion, aber einen hohen Wert für die Biodiversität haben. Damit dieser Ansatz funktioniert, so die beiden Autoren in ihrer Studie, bedürfe es nicht nur intelligenter Methoden zur Flächenauswahl, sondern auch der Umstellung bei der Waldbewirtschaftung. Die sollte sich nämlich auf optimale Substitutionseffekte konzentrieren, also darauf, dass Holz vor allem CO₂-emittierende Produkte ersetzt.

Martes und Köhl regen an, Standards und Leitlinien zu schaffen, um den Bewirtschaftern bei der Entscheidung helfen, ob ein Wald zur Kohlenstoffbindung unter Schutz gestellt oder zur Holzproduktion bewirtschaftet werden sollte. Die Politik dürfe nicht vergessen, dass Wälder neben dem Kohlenstoffausgleich vor allem in ländlichen Gebieten auch einen Beitrag zur lokalen Wirtschaft leisten.

(jle)