Zahlen, bitte! Patent 643316 – die Magnetschwebebahn nimmt erstmals Gestalt an

Die Transrapid-Grundlagen schuf ein deutscher Ingenieur bereits in den 1930ern. Mehr als 30 Jahre später kam Fahrt in die Sache – mit einem Kuraufenthalt.

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Inhaltsverzeichnis

Mit Magnetschwebebahnen leise und verschleißfrei über spezielle Schienen schweben: Diese Idee existiert schon seit über einhundert Jahren. Jedoch blieb sie lange Zukunftsmusik und kam im Vergleich zur Eisenbahn bisher kaum zum Zuge.

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Die ersten Überlegungen über den Transport durch elektromagnetische Schwebetechnik wurden bereits 1912 aufgestellt. Der in Frankreich geborene und in die USA emigrierte Émile Bachelet ersann eine Apparatur, mit der Briefe sowie kleinere Pakete über eine Magnetbahn transportiert werden sollten.

Den "Levitating Transmitting Apparatus" stellte der Tüftler im Jahr 1914 in London vor. Es handelte sich um eine etwa 11 Meter lange Demonstrationsbahn, auf der ein Versuchsträger einen Zentimeter über der Schiene schwebte. Die Ausstellung wurde gut besucht: Neben Militärs waren Mitglieder des englischen Königshauses und Wissenschaftler aus aller Welt als Zuschauer vor Ort.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Winston Churchill, damals britischer Marineminister, nahm ebenfalls daran teil und schien von dem Gesehenen schwer beeindruckt gewesen zu sein. Überliefert ist die Aussage, dass für ihn das vorgeführte Gerät das Wunderbarste gewesen sei, was er je gesehen habe.

Da die dafür notwendigen Stromnetze noch in den Kinderschuhen steckten, und die Konkurrenz durch die Eisenbahn sehr stark war, wurde die Erfindung trotz des Aufsehens kein Erfolg. In den 1930ern wurde die Idee wieder aufgenommen. Edwin F. Northrup entwickelte verschiedene Modelle, denen jedoch ähnlich der Erfolg versagt blieb, wie den Versuchen von Bachelet.

Die konkreteste Ursprungsidee des Transrapid keimte in Niedersachsen. Verantwortlich war dafür Diplomingenieur Hermann Kemper aus Nortrup im Landkreis Osnabrück. Eigentlich sollte Kemper in die Fußstapfen seines Vaters treten und die Wurstfabrik übernehmen. Er wollte aber nicht nur als Fleischfabrikant arbeiten, sondern war von Erfindungen fasziniert und nahm daher ein Elektrostudium auf. Darin kam ihm bereits 1922 die Idee, die Trag/Führ-Funktionen der Zugräder durch elektronisch gesteuerte Magnete zu ersetzen. Die Idee war da, die Zeit dafür aber nicht – er vollendete zunächst sein Studium und die Idee des neuen Beförderungsmittels geriet in den Hintergrund.

Die Antriebsweise des Transrapid: Linearmotorgetriebene Magnetschwebebahn in Langstatorbauweise. Der linke Teil zeigt Wagon und Trasse im Längsschnitt. Der rechte Teil zeigt den Wagon sowie Trasse im Frontal-Querschnitt. Die gestrichelte Linie zeigt die Stelle des Längsschnitts durch den Wagon und die Trasse an.

Der gelbe Pfeil zeigt die Bewegungsrichtung des Magnetfelds, der graue Pfeil wiederum, dass der Wagon dabei mitgezogen wird. In den Schienen (Langstatorbauweise) befinden sich 3-Phasen-Stator, der den eigentlichen Antrieb nach dem Linearmotorprinzip erzeugt. Die 3 Phasen sind mit dunklen Schattierungen von Rot, Blau und Grün angedeutet. Die roten Führungsmagnete rechts und links (2x2) von der Trasse (rechter Bildteil) dienen der Führung des Wagons. Die roten Elektromagnete (2) unterhalb der Trasse heben den Wagon in den Schwebezustand.

(Bild: Moralapostel )

Erst ab 1932, als er den Betrieb seines Vaters übernahm, nahm er die Entwicklungsarbeit wieder auf, nun aber mit Entschlossenheit. Kemper entwickelte 1933 eine regelbare Schaltung, die das Schweben durch elektromagnetische Anziehung ermöglichte. Das war die Vorarbeit für sein grundlegendstes Werk: Er erhielt im Mai 1934 das Patent für eine "Schwebebahn mit räderlosen Fahrzeugen, die mittels magnetischer Felder an eisernen Fahrschienen schwebend entlang geführt werden". Genau zwanzig Jahre nach den ersten Ideen wurde mit Reichspatentnummer 643316 das Prinzip der Personenbeförderung mit einer Magnetschwebebahn erstmals konkret patentiert.

1938 entwickelte er sein Patent weiter und ersann ein Konzept, das Magnetschwebebahnen mit einer Vakuumröhre verband. Kemper erkannte, dass die Verbindung zwischen einem luftleeren Raum und einer Magnetschwebebahn ideal sei und erfand – ganz nebenbei – die Idee des Hyperloops, die in jüngster Zeit von Elon Musk populär gemacht wurden.

Zwar erhielt Kemper noch 1939 den Auftrag, an der aerodynamischen Versuchsanstalt in Göttingen (AVA) eine Magnetschwebebahn zu entwickeln. Der Zweite Weltkrieg jedoch durchkreuzte diese Pläne. Die nationalsozialistische Führung sah die Technologie als nicht kriegswichtig an und versagte ihr später weitgehend die Unterstützung.

Nach dem Krieg verlor Kemper die Entwicklung der Magnetschwebebahn erst einmal aus den Augen, zumal noch einige technischen Probleme zu lösen waren. Er behielt die Idee aber stets im Hinterkopf. Der Zufall wollte es so, dass 1966 ein Kuraufenthalt den Tüftler mit dem richtigen Mann zusammenbrachte. In Bad Wörishofen traf Kemper im Erholungsurlaub auf den Industriellen Ludwig Bölkow, später Mitbegründer des Luft und Raumfahrtkonzerns Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB).

Der Industrielle hörte sich die Ideen des Erfinders genau an und initiierte mit Bundesverkehrsminister Georg Leber 1969 eine Machbarkeitsstudie. Nun kam Bewegung in die Entwicklung. Ein erstes Miniatur-Demonstrationsmodell namens Transrapid 01 entstand noch im selben Jahr.

Am 6. Mai 1971 feierte das MBB-Prinzipfahrzeug Weltpremiere. Das Versuchsfahrzeug war die erste Magnetschwebebahn, die prinzipiell zum Personentransport geeignet war. Sie erreichte auf der 660 Meter langen Versuchsstrecke im bayrischen Ottobrunn bis zu 90 km/h.

Verschiedene Baumuster wurden entwickelt. Transrapid 05 beförderte 1979 über 55.000 Messegäste während der Internationalen Verkehrsausstellung (IVA) in Hamburg im Pendelverkehr zwischen dem Messegelände und dem Ortsteil Heiligengeistfeld. Er fuhr pro Fahrt bis zu 68 Messegäste und das im 10-Minuten-Takt.

Ein Jahr später begannen in Niedersachsen die Bauarbeiten zur Transrapid-Versuchsanlage Emsland. Sie wurde 1983 teils in Betrieb genommen und 1988 wurde nach kompletter Fertigstellung der Teststrecke der Regel-Versuchsbetrieb gestartet. Die Teststrecke ist 31,5 Kilometer lang und besteht aus einem Geraden, einem 12 Kilometer langen Hochgeschwindigkeitsbereich und zweier Schleifen: Eine im Norden mit 1690 Meter- und der Südschleife mit einem 1000 Meter-Durchmesser.

Transrapid 09 in einer Testfahrt im Emsland, die letzte in deutsche Transrapid-Entwicklung. Er wurde später an die Fleischwarenfirma der Familie des Erfinders verkauft und seitdem dort ausgestellt.

Im Juni 1993 erreichte der Transrapid 07 auf der Strecke die Rekordgeschwindigkeit von 450 km/h. Spätestens mit dem 1999 Transrapid 08 galt die Magnetschwebebahn als serienreif und es wurden im Inland mehrere Strecken geplant. Eine Strecke zwischen Hamburg und Berlin wurde geplant, aber sie scheiterte an den ausufernden Kosten: Mehr als 6,1 Milliarden Euro wollte der Bund nicht übernehmen. Im selben Jahr verkündete der Bahnchef Hartmut Mehdorn das Aus der Strecke. Ähnlich erging es Projekten wie die Ruhrgebietlinie und der Linie zwischen dem Münchener Flughafen und dem Hauptbahnhof.

Neben den Kosten setzten auch die mittlerweile ausgebaute Bahn- und Fluginfrastruktur dem Transrapid-Konzept zu. Dann kam es auf der Teststrecke am 22. September 2006 zu einem schweren Unfall, als die Fahrdienstleitung fälschlicherweise der Bahn die Fahrgenehmigung erteilte, obwohl sich noch ein Werkstattwagen auf der Strecke befand. 23 Menschen kamen bei der Kollision ums Leben.

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In China wurde im Jahr 2002 die Transrapid-Strecke zwischen einem Außenbezirks Shanghai nahe dem Messegelände und dem Flughafen Pudong eröffnet. Ein weiterer Ausbau der bisher 30 Kilometer langen Strecke scheiterte bisher an der zu geringen Auslastung. Dazu kamen zwei weiteren Strecken für andere Bahntypen. Außerdem plant China einen weiteren Ausbau, wobei manche Planungen ähnlich scheiterten wie in Deutschland.

Shinkansen-Baureihe L0, seit April 2015 mit 603 km/h Rekordhalter für die schnellste Magnetschwebebahn. Er ist für die Strecke Chūō-Shinkansen geplant, die Tokyo mit den Metropolen Nagoya und Osaka verbinden soll.
mit Tokyo,

Sind die bisherigen Strecken eher kurz, wollen Japan und China mit Megaprojekten auf sich aufmerksam machen. Japan plant, die Hauptstadt Tokio mit der 286 Kilometer entfernten Großstadt Nagoya zu verbinden. Die eigenentwickelte Magnetschwebebahn soll dabei über 600 km/h erreichen. China wiederum plant Schanghai und der östlichen Hafenstadt Ningbo zu verbinden.

Insgesamt kam wieder Bewegung in die Idee der Magnetschwebebahn. Ob sie mehr leisten kann, als nur für Prestige-Projekte herzuhalten, wird die Zeit zeigen.

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(mawi)