Gesundheitsdatenraum: EU-Kommission will E-Patientenakte in groß für alle

Alle EU-Bürger sollen Gesundheitsdaten wie Befunde, Röntgenbilder oder Rezepte in einem europäischen Datenraum speichern und für Forscher freigeben können.

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Arzt mit Tablet

(Bild: BlurryMe/Shutterstock.com)

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Die EU-Kommission hat am Dienstag ein Paket für einen europäischen Raum für Gesundheitsdaten auf den Weg gebracht. Der European Health Data Space (EHDS) soll ihr zufolge dazu beitragen, dass die EU bei der Gesundheitsversorgung der Menschen in ganz Europa "einen Quantensprung nach vorne" macht. Der EHDS werde es den Bürgern in ihrem jeweiligen Heimatland und in anderen Mitgliedstaaten ermöglichen, ihre sensiblen Gesundheitsdaten zu nutzen, ohne die Kontrolle darüber zu verlieren.

Im Kern entspricht der EHDS laut dem Vorhaben, das einen Verordnungsentwurf und eine Mitteilung umfasst, einer aufgeblasenen, grenzüberschreitend verwendbaren elektronischen Patientenakte (ePA). Nutzer sollen darin – wie beim deutschen Pendant – zunächst vor allem persönliche Befunde, Arztberichte, Röntgenbilder, Rezepte oder Informationen über Vorsorgeuntersuchungen speichern können. Dafür würden ihnen keine Kosten berechnet, betont die Kommission. Alle Bürger hätten zudem unverzüglich Zugriff auf ihre Eingaben in einem elektronischen Format.

Patienten können ihre Daten zudem an Gesundheitsdienstleister ihrer Wahl in der EU und darüber hinaus weitergeben. Sie sollen in der Lage sein, Informationen hinzuzufügen, Fehler zu berichtigen, den Zugang einzuschränken und Informationen darüber zu erhalten, welcher Angehörige der Gesundheitsberufe auf ihre Akte zugegriffen hat.

Ferner will die Brüsseler Regierungsinstitution einen "soliden Rechtsrahmen für die Verwendung von Gesundheitsdaten für Forschung, Innovation, Gesundheitswesen, Politikgestaltung und Regulierungszwecke". Unter strengen Auflagen sollen Forscher, Erfinder, öffentliche Einrichtungen und die Pharmabranche Zugang zu den gesammelten "großen Mengen an Gesundheitsdaten von hoher Qualität haben". Dies sei für "die Entwicklung von lebensrettenden Behandlungen, Impfstoffen oder Medizinprodukten von entscheidender Bedeutung". Ferner könnten so ein besserer Zugang zur medizinischen Versorgung sowie "widerstandsfähigere Gesundheitssysteme" gewährleistet werden.

Wenn Wissenschaftler, Unternehmen oder Einrichtungen auf die Daten zugreifen wollen, müssen sie dem Plan nach vorher eine Berechtigung von den nationalen Gesundheitsbehörden einholen. Eine solche könne nur zu bestimmten Zwecken sowie für den Einsatz in "geschlossenen sicheren Umgebungen" gewährt werden. Die Identität der betroffenen Personen dürfe nicht offengelegt werden. Es sei auch streng verboten, die Daten für Entscheidungen zu verwenden, die sich nachteilig auf Bürger auswirken. So dürften damit etwa keine schädlichen Produkte oder höhere Versicherungsprämien konzipiert werden.

Als Vorteile für die Bürger nennt die Kommission etwa die Möglichkeit, die E-Akte auch im Urlaub bei einem Arzt vorlegen zu können. Diesem sei es anhand der so ersichtlichen Krankengeschichte des Patienten möglich, die erforderlichen Arzneimittel zu verschreiben und dabei etwa Produkte vermeiden, gegen die eine Allergie besteht.

Profitieren könnte auch ein Start-up, das ein neues medizinisches Entscheidungshilfeinstrument für Ärzte auf Basis von Künstlicher Intelligenz (KI) entwickle, lautet ein weiteres Beispiel. Die KI vergleiche die Bilder des Patienten mit denen vieler anderer früherer. Durch den EHDS erhalte das Unternehmen einen effizienten und sicheren Zugang zu einer großen Zahl medizinischer Aufnahmen, um den Algorithmus zu trainieren und seine Genauigkeit und Wirksamkeit vor der Marktzulassung zu optimieren.

Für den Aufbau des Datenraums will die Kommission 810 Millionen Euro über bestehende EU-Fonds verfügbar machen. Sie verweist aber darauf, dass auch 10 bis 12 Milliarden Euro für Digitalisierung der Gesundheitswesen in den Mitgliedsstaaten über die Corona-Wiederaufbauprogramme vorgesehen seien und der EHDS eine wichtige Komponente dafür sei. Zugleich betrage das Einsparpotenzial schon über die zehn Jahre hinweg rund 11 Milliarden Euro.

Das ambitionierte Vorhaben, dessen Umsetzung nach dem Beschluss durch das EU-Parlament und den Ministerrat 2025 starten soll, wirft zahlreiche Fragen rund um den Datenschutz und die Machbarkeit auf. Hierzulande kommt die voriges Jahr aufgelegte ePA nicht recht vom Fleck. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) warnte jüngst davor, die ePA automatisch kurzfristig zu aktivieren. Dafür müsste die Akten- und Sicherheitsarchitektur sowie das Kontoverwaltungssystem maßgeblich umgebaut werden. Dies dürfte noch mindestens zwei Jahre dauern.

"Das ist wirklich etwas Großes, wichtig und innovativ", warb Margaritis Schinas, der für den europäischen Lebensstil zuständige Vizepräsident der Kommission, daher für den Vorschlag. Er sprach von einem "Meilenstein der digitalen Wende und einer Revolution in der europäischen Medizingeschichte". Patientendaten seien "das Blut, das durch unser Gesundheitswesen fließt". Damit könnten bessere, individuellere Therapien etwa gegen Krebs und Alzheimer entwickelt werden. Die Initiative komme zur rechten Zeit nach der Pandemie. Dahinter stehe das Team, das schon das EU-Covid-Zertifikat zum Erfolg geführt habe. Er räumte aber auch ein, dass die Politik zunächst Vertrauenskapital aufbauen müsse.

Als "Rückgrat der europäischen Gesundheitsunion" bezeichnete Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides den EHDS. Sie verwies auf "sehr strenge Sicherheitsauflagen", um den nötigen "Respekt für die Bürgerrechte" zu garantieren. Dritten würden Daten nur anonymisiert für konkrete Projekte zur Verfügung gestellt. Generell soll der EHDS auf bestehenden und geplanten Gesetzen wie der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), dem Data Governance Act und der Cybersicherheitsrichtlinie aufbauen. Die Hersteller von Systemen für elektronische Patientenakten sollen die Einhaltung von Normen für Interoperabilität und Sicherheit zertifizieren müssen.

Der IT-Verband Bitkom begrüßte die Initiative, da sie die medizinische Versorgung der Menschen in Europa "massiv verbessern" könne. Sie dürfte nicht zuletzt im Kampf gegen seltene Krankheiten oder bei der Bewältigung globaler Pandemien eine große Hilfe sein. Für Deutschland bedeute das: "Wir müssen jetzt Tempo machen bei der Digitalisierung unseres Gesundheitswesens."

An die Ampel-Koalition appellierte der Bitkom, das geplante Gesundheitsdatennutzungsgesetz schnell und in Einklang mit den europäischen Vorgaben auf den Weg zu bringen. Wichtig sei, dass mit dem EU-Vorhaben der privaten Forschung "ein Antragsrecht auf die Nutzung von freiwillig zur Verfügung gestellten, pseudonymisierten Gesundheitsdaten" gewährt werden solle. Gegen das aufgebohrte hiesige Forschungsdatenzentrum, das einem ähnlichen Zweck dient, haben Bürgerrechtler gerade Klage erhoben.

(fds)