Wie der Klimawandel den Golfstrom verändert

Fließt er? Fließt er nicht? Der Golfstrom bewegt sich so langsam wie seit tausend Jahren nicht mehr. Forscher suchen nach Ursachen.

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"Porcupine Abyssal Plain Observatory" (PAP) Messbojen wie diese im Atlantik liefern wichtige Informationen über das Strömungsverhalten des Meeres.

(Bild: Timm Schoening, GEOMAR)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
Inhaltsverzeichnis

Seit Jahren debattieren Klima- und Meeresforscher, ob das Schwächeln des Golfstroms schon der menschengemachten Klimaerwärmung zuzuschreiben ist. Immerhin prognostizieren Klimamodelle bei fortschreitender Klimaerwärmung eine erhebliche Verlangsamung dieser gigantischen Atlantischen Meridionalen Umwälzströmung (AMOC), wie Wissenschaftler das komplizierte Golfstrom-System nennen.

Ob die menschengemachte Klimaerwärmung dafür verantwortlich ist, lässt sich derzeit allerdings nur schwer nachweisen. Denn die Strömungsgeschwindigkeit der AMOC verändert sich natürlicherweise in relativ weiten Grenzen und oszilliert darüber hinaus in Zeiträumen von Jahrzehnten und Jahrhunderten. Das macht es schwer, dahinter den menschlichen Einfluss zu entdecken. Die jüngste Verlangsamung des Golfstrom ist allerdings die extremste des letzten Jahrtausends, wie eine Studie von Klimaforschern aus Irland, Großbritannien und vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung bereits vor einem Jahr zeigte.

Über die vielen möglichen Ursachen langzeitiger Schwankungen der AMOC wissen die Ozeanographen noch recht wenig. So beeinflussen beispielsweise Änderungen der Luftdruckverhältnisse über dem Nordatlantik die Strömungen. Bei der sogenannten Atlantischen Multidekadischen Oszillation (AMO) bestimmen Islandtief und Azorenhoch die Druckverhältnisse über dem Meer im Rhythmus von 30 bis 50 Jahren. Auch die monatlichen bis jährlichen Luftdruckänderungen der Nordatlantischen Oszillation (NAO) wirken sich auf die Strömungsgeschwindigkeit des Golfstroms aus.

Die Atlantische Meridionalzirkulation (Atlantic Meridional Overturning Circulation, AMOC) umfasst den gesamten Atlantischen Ozean. Warme (oberflächennahe) Strömungen sind in rot dargestellt, kalte Tiefenströmungen in blau. Die kleinen Kreise zeigen Gebiete mit starker Wirbelaktivität. Die gepunktete Fläche in der Labradorsee zeigt das Gebiet mit Tiefenkonvektion, in dem abgekühlte Wassermassen in Tiefen von mehreren Kilometern absinken.

(Bild: Grafik: C. Böning/M. Scheinert, GEOMAR)

Auch kühlt sich ein Meeresgebiet im Süden der Labrador-See und um die Südspitze Grönlands herum an der Oberfläche ab – im markanten Gegensatz zu den allermeisten anderen Meeresregionen. In diesem Nordatlantischen Wärmeloch (NAWH) sinkt kaltes, schwereres Oberflächenwasser in die Tiefe, ein Vorgang, der ansonsten nur weiter nördlich zwischen Grönland und Island stattfindet. Für die Studienautoren ist das ein messbarer Hinweis darauf, dass die Umwälzpumpe im Nordatlantik in der Tat langsamer wird und damit weniger Wärme nach Norden transportiert. Ursache könnten anthropogene Aerosole sein, die hier die Oberflächeneinstrahlung der Sonne verringern.

Jetzt hat sich eine Forschungsgruppe des Kieler GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung um Mojib Latif die Variationen dieses komplizierten nordatlantischen Strömungssystems seit dem Jahr 1900 genauer angeschaut. Latif ist Leiter der Forschungseinheit Maritime Meteorologie am GEOMAR. Das Ergebnis der Untersuchung veröffentlichte die Gruppe in Nature Climate Change.

Verlässliche, direkte Messungen der AMOC gibt es erst seit etwa 2004, als die Meeresforscher begannen, den gesamten Nordatlantik mit einem dichten Netz von Sensoren zu überziehen. Dieser kurze Zeitraum macht es allerdings schwierig festzustellen, ob die beobachtete Schwächung Teil eines natürlichen, über Jahrzehnte oder Jahrhunderte hinweg reichenden Musters ist, oder ob der Klimawandel hier schon einwirkt.

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Die Forscher griffen deshalb auf sogenannte Proxy-Daten zurück, von denen sie auf Änderungen früherer Zirkulationsgeschwindigkeiten der AMOC schließen konnten. Das sind natürliche Umweltarchive, wie Eisbohrkerne, Meeresbodensedimente, Korallen, aber auch historische Daten aus alten Schiffslogbüchern. Diese Daten verknüpften sie dann mit Klimamodellen.

Auf die Weise konnten sie in der Tat nachweisen, dass die vom Menschen verursachte globale Erwärmung bereits ein kleines Zeichen zeigt, eine Art Fingerabdruck. Doch die natürliche Variabilität erweist sich derzeit noch als sehr viel stärker.

"Aber es bleibt die Frage, wie lange wir uns noch im Bereich natürlicher Schwankungen befinden und wann der Klimawandel die Kontrolle über die AMOC übernimmt", meint Jing Sun, Meteorologin am GEOMAR und Ko-Autorin der Studie. "Dann verliefe die Entwicklung nur noch in Richtung Abschwächung und Risiken könnten deutlich zunehmen." Wenn sich also die Erde weiter erwärmt, könnte die Strömungsgeschwindigkeit die Untergrenze ihrer natürlichen Variationsbreite überschreiten, mit unabsehbaren Folgen. Im physikalischen Teil des aktuellen IPCC-Berichts vom August vergangenen Jahres hoben die Klimawissenschaftler ein derartiges Szenario denn auch bereits auf eine "mittlere Wahrscheinlichkeit" an.

"Wir sehen im Moment keine sicheren Anzeichen dafür, dass das System sich dramatisch verlangsamt – sondern es schwankt", ergänzt Martin Visbeck, Leiter der Forschungseinheit Physikalische Ozeanographie am GEOMAR, ebenfalls ein Co-Autor. "Aber da sich die neuesten Klimamodelle einig sind, dass eine deutliche Reduzierung eintreten wird, sollten wir wissen, wie lange wir uns noch auf der relativ sicheren Seite natürlicher Veränderungen befinden."

Die AMOC kann man sich als riesiges Förderband vorstellen, das mit seiner Strömung Wärme aus dem Golf von Mexiko gen Norden in Richtung Arktis transportiert. Auf dem Weg dorthin verdunstet Wasser, das zurückbleibende wird salziger und schwerer. Weiter im Norden haben die Wassermassen dann so viel Wärme abgegeben, dass sie kälter und dadurch noch schwerer geworden sind.

Die schweren Wassermassen sinken ab und strömen am Meeresgrund zurück nach Süden. In jeder Sekunde transportiert der Golfstrom 100 bis 150 Millionen Kubikmeter Wasser. Zum Vergleich: Der Rhein spült durchschnittlich gerade einmal 2.230 Kubikmeter Wasser pro Sekunde über die niederländische Grenze.

"Die AMOC sorgt für mildes Klima in Europa und bestimmt jahreszeitliche Regenmuster in vielen Ländern rund um den Atlantik. Wenn sie sich langfristig abschwächt, wirkt sich dies auch auf unser Wetter und Klima aus", erklärt Latif und warnt: "Wir hängen in vielerlei Weise von der AMOC ab – und können trotzdem bisher nur erahnen, wie sie sich entwickelt, und ob und wie stark wir Menschen selbst sie einem Kipp-Punkt entgegentreiben, an dem ein unaufhaltbarer Kollaps seinen Lauf nimmt."

(jle)