"Grüne" Atomkraft: Deutschland will Veto gegen EU-Taxonomie einlegen

Die Bundesregierung will sich nun formell gegen den Vorschlag der EU-Kommission stellen, Investitionen in Atomkraft als nachhaltig einzustufen.

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Der Kühlturm des stillgelegten AKW Mülheim-Kärlich wurde 2019 zum Einsturz gebracht.

(Bild: RWE)

Update
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Die Bundesrepublik Deutschland will sich wie angekündigt gegen die von der EU-Kommission vorgeschlagene Verordnung für eine Klassifizierung von nachhaltigen Investitionen aussprechen. Diese sieht unter anderem vor, die Energiegewinnung aus Atomkraft als "nachhaltig" einzustufen. Die Bundesregierung habe der französischen Ratspräsidentschaft erklärt, gegen den Rechtsakt ein Veto einzulegen.

[Update 16.5.2022, 10.39 Uhr: Das Bundesfinanzministerium bestätigte gegenüber heise online einen dpa-Bericht dazu vom Wochenende. Die Bundesregierung habe nun gegenüber der französischen Ratspräsidentschaft die Absicht erklärt, Veto gegen den entsprechenden ergänzenden Rechtsakt einzulegen. Entsprechend habe die Bundesregierung dafür votiert, dass der Rat gegen den delegierten Rechtsakt der EU-Kommission Einwand erhebt. "Wenn der Rat oder das Europäische Parlament Einwand erheben, kann verhindert werden, dass der Rechtsakt in Kraft tritt", heißt es aus dem Ministerium. Die Bundesregierung werde aber keine Klage einreichen, weil es darüber keine Verständigung gegeben habe.]

Bei der sogenannten Taxonomie geht es um ein Klassifizierungssystem für nachhaltige Investitionen. Die Einstufung von bestimmten Geldanlagen als nachhaltig soll Investoren anlocken, um die Energiewende voranzubringen. Bislang sind unter anderem erneuerbare Energien in der Taxonomie als klimafreundlich eingestuft.

In ihrem am Silvesterabend 2021 vorgelegten Entwurf für die Taxonomie hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, Investitionen in Erdgas und Atomkraft übergangsweise als nachhaltige Geldanlagen einzustufen. Die Bundesregierung argumentiert, , Atomenergie sei nicht nachhaltig. Schwere Unfälle mit großflächigen, grenzüberschreitenden und langfristigen Gefährdungen von Mensch und Umwelt könnten nicht ausgeschlossen werden. Atomenergie sei teuer und die Endlagerfrage nicht gelöst.

"Erneuerbare Energien benötigen ergänzend flexible Anlagen, die schnell hoch beziehungsweise heruntergefahren werden können, was Kernkraft nicht leisten kann", heißt es weiter von der Bundesregierung. "Je länger Atomkraftwerke laufen, desto größer wird das Problem des Atommülls. Gleichzeitig bietet der Neubau von Atomkraftwerken keine kurzfristige Möglichkeit zum Ausstieg aus dem besonders CO₂-intensiven Energieträger Kohle, da diesbezügliche Genehmigungs- und Bauprozesse in der Regel Jahrzehnte in Anspruch nehmen."

Die Bundesregierung stellt sich auch gegen neue Reaktorkonzepte wie Small Modular Reactors (SMR), wie sie etwa in Großbritannien und Frankreich ins Auge gefasst werden. Sie seien nicht ausgereift, brächten ähnliche Probleme mit sich und könnten deshalb nicht als nachhaltig eingestuft werden. Aus alle dem ergäben sich rechtliche Bedenken, da es zweifelhaft sei, ob die Aufnahme von Atomenergie mit den Vorgaben der Taxonomieverordnung vereinbar ist. "Bei einer realistischen Berücksichtigung der Risikokosten (ohne Staatshaftung) würde kein privates Geld in Atomkraft investiert", schreibt die Bundesregierung.

Zu dem Vorschlag der EU-Kommission müssen sich noch das EU-Parlament – das im Juli darüber abstimmen will – und die EU-Mitgliedsstaaten verhalten. Der EU-Rat kann mit 72 Prozent, also mit mindestens 20 Mitgliedsstaaten Einwände erheben. Bisher ist außer von Deutschland von Österreich, Spanien, Luxemburg und Dänemark Widerstand gegen die Taxonomie bekannt geworden. Im EU-Parlament reicht eine einfache Mehrheit für Einwände.

Frankreich sitzt derzeit dem EU-Rat vor. Dem Magazin Politico zufolge hatte die Ratspräsidentschaft die EU-Mitgliedsländer bis Freitag zu einer Stellungnahme gebeten, wie sie sich zur Taxonomie verhalten wollen.

Aus Regierungskreisen hieß es laut dpa, die Bundesregierung erwarte nicht, dass das deutsche Votum die Taxonomie aufhält. In der Koalition sei festgelegt worden, dass Deutschland nicht wie Österreich gegen den Rechtsakt klagt. Dies sei teilweise gefordert worden.

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Im Gegensatz zur Atomkraft befürwortet die Bundesregierung den Vorschlag der EU-Kommission, Erdgas in der Taxonomie zu berücksichtigen. Langfristig sei der fossile Energieträger nicht nachhaltig, allerdings könne er "in hochmodernen und effizienten Gaskraftwerken für einen begrenzten Übergangszeitraum – bis zur Umstellung auf einen auf erneuerbaren Energien beruhenden Energiesektor – eine Brücke" darstellen, um den schnellen Kohleausstieg zu ermöglichen und dadurch kurzfristig CO₂-Einsparungen zu erreichen.

Gaskraftwerke müssten die schnelle Umstellung auf erneuerbare Energien und die Reduktion der Emissionen im Energiesektor insgesamt unterstützen, die erneuerbaren Energien ergänzen und nicht verdrängen und ihren Betrieb rechtzeitig auf Wasserstoff umstellen. "Gaskraftwerke, die Wasserstoff-Ready sind und damit vollumfänglich mit erneuerbarem Wasserstoff betrieben werden können, bieten die Möglichkeit zur kurzfristigen Umstellung auf eine nachhaltige Energiegewinnung mit erneuerbaren Energieträgern", meint die Bundesregierung. Dafür müssten schnell Investitionen ermöglicht werden.

(anw)