Überwachung: EU-Rat drängt auf biometrische Identitätskontrollen "vor Ort"

Europäische Sicherheitsbehörden sollen die Identitäten von Reisenden und Migranten mit mobilen Fingerabdruckscannern und Gesichtserkennung überprüfen können.

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(Bild: PopTika/Shutterstock.com)

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Der EU-Ministerrat wird schon bald eine "ehrgeizige Umsetzung" neuer Vorschriften für die Handhabe europäischer Polizei- und Einwanderungsdatenbanken fordern. Enthalten sein soll die Befugnis für europäische Sicherheitsbehörden wie die Grenzschutzagentur Frontex sowie nationale Polizeikräfte, biometrische Identitätskontrollen "vor Ort" mit mobilen Fingerabdrucklesegeräten und Gesichtsscannern durchzuführen.

Geschäftsreisende, Touristen und Migranten könnten so bald in der ganzen EU sowie im Schengen-Raum, dem etwa auch die Schweiz angehört, jederzeit im öffentlichen Raum von Beamten aufgefordert werden, im Rahmen einer Ausweisprüfung mit Datenabgleich unverzüglich ihren Finger auf einen Scanner zu legen oder sich mit einem Smartphone fotografieren zu lassen. Dies geht aus einem vertraulichen Vorschlag der französischen Ratspräsidentschaft zum Einsatz von EU-Informationssystemen und deren geplanter "Interoperabilität" von Anfang Mai hervor, den die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch veröffentlicht hat.

Die Mitgliedsstaaten sollen demnach auch sicherstellen, dass "alle verfügbaren Daten" aus nationalen Datenbanken wie dem hiesigen automatisierten Fingerabdruckidentifizierungssystem (AFIS) in das Schengener Informationssystem (SIS) aufgenommen werden. Der französische Vorschlag, der im Rat auf wenig Widerstand stoßen dürfte, sieht zudem die Option einer "uneingeschränkten Nutzung" der sensiblen personenbezogenen Informationen für diverse Formen von Kontrollen etwa zur gezielten Strafverfolgung vor.

Dazu gehören soll die besonders tief in die Grundrechte eingreifende Befugnis zur verdeckten Fahndung. Sicherheitsbehörden können damit Verdächtige über das SIS grenzüberschreitend heimlich überwachen. Dabei erfährt die ausschreibende Behörde etwa bei einer polizeilichen Verkehrskontrolle oder einem Grenzübertritt, wohin eine betroffene Person wann und mit wem gereist ist. Ermittler oder Geheimdienste können die entsprechenden Daten speichern und vor einem späteren möglichen Zugriff zunächst zu umfassenden Bewegungs- sowie Kontaktprofilen verdichten. Vor allem Frankreich macht von diesem Instrument regen Gebrauch.

Neben dem SIS steht in dem Papier vor allem das neue Ein-/Ausreisesystem (EES) zur biometrischen Grenzkontrolle im Fokus. Angehörige von Drittstaaten müssen sich dafür künftig bei der Einreise in die 26 Mitgliedstaaten des Schengen-Raums an Land, zu Wasser und in der Luft sowie an den Grenzen Bulgariens und Rumäniens mit vier Fingerabdrücken und Gesichtsbild registrieren lassen. Zusätzlich sollen Identitätsangaben sowie weitere Daten aus Reisedokumenten im EES aufbewahrt werden.

Vorgesehen ist auch ein übergeordnete "Speicher für Identitätsdaten". Dieses auf persönlichen Informationen wie Geburtsdatum oder Passnummer basierende Werkzeug soll Auskunft darüber geben, ob eine Person in verschiedenen Datenbanken unter verschiedenen Identitäten registriert ist. Dazu kommt ein gemeinsamer Abgleichdienst, der die Grundlage des geplanten virtuellen Zusammenschlusses sämtlicher EU-Datenbanken in den Bereichen Sicherheit, Grenzmanagement und Migrationssteuerung darstellt.

Ziel des unter dem Aufhänger "Interoperabilität" laufenden Großprojekts ist es, auch das SIS mit seinen derzeit rund 90 Millionen Einträgen in 26 separaten Informationskategorien, das Visa-Register (VIS) und die Eurodac-Datei, in der vor allem Fingerabdrücke von Asylbewerbern gespeichert werden, von 2023 an über ein Suchportal zu verknüpfen. Dazu kommen soll etwa das künftige Europäische Reisegenehmigungssystem (ETIAS). Grenzschützer und Polizisten könnten so bald Ausweise einfacher mit einem Klick überprüfen.

Laut dem Dokument sollen die EU-Länder nun auch dafür sorgen, dass sie eine Abfrage des gemeinsamen Identitätsspeichers mithilfe biometrischer Daten ermöglichen. Dabei gehe es insbesondere darum, "die korrekte Identifizierung von Personen" zu ermöglichen, wie es in Artikel 20 der geplanten Interoperabilitätsregeln heißt. Die Mitgliedsstaaten sollen ferner prüfen, "ob ihr nationales Recht biometrische Abfragen des SIS unterwegs zum Zwecke der Identitätsfeststellung" etwa für Operationen im Rahmen der öffentlichen Sicherheit und der Bekämpfung der illegalen Einwanderung zulässt, wenn es dafür keine anderen Mittel gibt.

Dem Vorhaben stehen aber noch praktische Hindernisse im Weg. Eine Übersicht der EU-Kommission vom Juni 2021 legt nahe, dass "viele Mitgliedstaaten bei den 'notwendigen rechtlichen Anpassungen', die eine Kontrolle nach Artikel 20 ermöglichen würden, nicht sehr weit fortgeschritten sind". Weniger als die Hälfte der beteiligten Länder hatte demnach bis voriges Jahr geprüft, ob die nationale Gesetzgebung überarbeitet werden müsste. Auch aufgrund der technischen Komplexität des Vorhabens kommt es zu Verzögerungen.

Die Verfasser eines Statewatch-Berichts vom Februar warnten, dass die laufende Einführung mobiler biometrischer Identifizierungsgeräte das Anlegen ethnischer Profile ("Racial Profiling") verstärken könnte. Abgesehen von allgemeinen Verweisen auf die Gewährleistung "eines zufriedenstellenden Gleichgewichts zwischen den Zielen der Verordnung und dem Schutz der Grundrechte und -freiheiten" enthält der französische Entwurf nichts Konkretes zu diesem Thema.

Die EU-Agenturen Europol und Frontex haben parallel vorgeschlagen, im Rahmen der anstehenden Verknüpfung der Datenbanken im Sicherheitssektor die Möglichkeiten zur Vorabüberprüfung von Geschäftsreisenden und Touristen zu verbessern. Für jede Person, die eine europäische Außengrenze übertreten will, soll automatisch ein Profil angelegt werden. Die in dieser Datei von Reisenden enthaltenen Informationen könnten dann einer Risikoanalyse mithilfe von Systemen Künstlicher Intelligenz (KI) unterzogen werden.

Diese Initiative findet sich im ebenfalls von Statewatch veröffentlichten Abschlussbericht einer "Zukunftsgruppe für Reiseaufklärung und Grenzmanagement", in der sich Europol und Frontex mit weiteren Experten aus Polizeien, Geheimdiensten sowie Grenz- und Zollbehörden zusammengeschlossen haben. Die vorgesehene Plattform taufte die Gruppe auf "Europäisches System zur Kontrolle von Reisenden". Eine weitere Kontrolle über dieses European System for Traveller Screening (ESTS) soll anhand spezieller "Überwachungslisten" mutmaßlicher Gefährder erfolgen.

(bme)