Affenpocken: Falschinformationen vertuschen Ansteckungsrisiko

Über die Erkrankung, die sich derzeit weltweit ausbreitet, wird viel Fehlerhaftes berichtet – darunter auch explizit homophobes. Das ist ein Problem.

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(Bild: fran_kie / Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Rhiannon Williams
Inhaltsverzeichnis

Affenpocken sind in den vergangenen Monaten in immer mehr Ländern aufgetaucht. Die Viruserkrankung wird von einer Welle von Falschinformationen begleitet, die in sozialen Medien kursieren – und genau die führen dazu, die Eindämmung zu erschweren, wie eine im Auftrag der US-Ausgabe der MIT Technology Review durchgeführte Untersuchung zeigt.

Bis zum 17. Juni wurden weltweit 2.093 bestätigte Fälle des Virus gemeldet. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO wurden sie bisher hauptsächlich bei Männern festgestellt, die Sex mit Männern haben. Hans Kluge, der WHO-Direktor für Europa, dem Epizentrum des aktuellen Ausbruchs, schlug erst kürzlich Alarm und warnte, dass die Behörden mehr tun müssen, um die Ausbreitung zu verlangsamen.

Die oft homophoben Verschwörungstheorien, die durch das Netz wabern, helfen hier gar nicht. Sie verbreiten sich auf allen wichtigen Social-Media-Plattformen, so eine Untersuchung des Center for Countering Digital Hate. Die Falschinformationen erschweren es, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die Affenpocken-Erkrankung jeden treffen kann – und sie könnten Menschen davon abhalten, Infektionsrisiken zu melden.

Einige dieser Fake News überschneiden sich mit bekannten Pandemie-Verschwörungstheorien, in denen Bill Gates und "globale Eliten" attackiert werden oder behauptet wird, das Virus sei speziell in einem Labor entwickelt worden. Vieles davon ist direkt homophob und versucht, der LGBTQ+-Gemeinschaft die Schuld an dem Ausbruch zuzuschieben. In einigen Twitter-Beiträgen wird behauptet, dass Länder, in denen Anti-LGBTQ+-Hassrede verboten ist, jene Gebiete seien, in denen die meisten Affenpockenfälle auftreten. Das Virus wird als "Rache Gottes" bezeichnet. In einem Video, das letzten Monat auf Twitter geteilt wurde, behauptete die US-Kongressabgeordnete Marjorie Taylor Greene aus Georgia fälschlicherweise, dass "Affenpocken wirklich nur durch schwulen Sex übertragen werden".

Homophobe Kommentare zu Artikeln über Affenpocken, die tausende Male auf Facebook geliked wurden, durften bislang online bleiben – wobei ein bestimmter Artikel, der Hunderte von empörten Reaktionen hervorrief, mehr als 40.000 Mal über Telegram geteilt werden konnte.

Ein YouTube-Video auf einem Kanal mit 1,12 Millionen Abonnenten enthielt zahlreiche falsche Behauptungen – etwa, dass Affenpocken vermieden werden können, indem man nicht zu schwulen Partys ("Orgien") geht, sich nicht von einem Nagetier beißen lässt oder sich keinen Präriehund als Haustier zulegt. (Nager und Präriehunde galten in früheren Ausbrüchen als Träger.) Das besagte Video wurde mehr als 178.000 Mal angesehen. In einem anderen Video eines Kanals mit immerhin 294.000 Abonnenten wird weiterhin behauptet, dass Frauen sich mit Affenpocken anstecken, wenn sie "mit einem Mann in Kontakt kommen, der wahrscheinlich auch mit einem anderen Mann Kontakt hatte"; es wurde fast 30.000 Mal angesehen. Facebook, Twitter und YouTube hatten bis zum Redaktionsschluss dieses Beitrags nicht auf Anfragen zur Stellungnahme reagiert.

Solche Stigmatisierung hat reale Folgen. Infizierte, die nicht über ihr Sexualleben sprechen wollen, melden ihre Symptome seltener. Das macht es schwieriger, neue Fälle aufzuspüren und die Krankheit wirksam zu bekämpfen. In Wirklichkeit kann das Virus jeden befallen und ist unabhängig von den sexuellen Aktivitäten der Menschen. Fehlinformationen, nach denen ausschließlich Männer, die Sex mit Männern haben, von Affenpocken betroffen sind, könnten die Menschen davon überzeugen, dass sie ein geringeres Risiko haben, sich anzustecken und die Krankheit zu verbreiten, als es tatsächlich der Fall ist, sagt Julii Brainard, leitende wissenschaftliche Mitarbeiterin an der University of East Anglia, die sich mit der Modellierung von öffentlichen Gesundheitsgefahren beschäftigt. "Viele Menschen werden denken: Das trifft auf mich nicht zu", warnt sie.

Die Tatsache, dass wir immer noch nicht alle Übertragungswege der Affenpocken kennen und auch nicht wissen, warum sie sich derzeit ausbreiten, trägt zur unsicheren Lage bei. Wir wissen zwar, dass das Virus durch engen Kontakt mit einer infizierten Person oder einem infizierten Tier übertragen wird. Aber die WHO hat auch erklärt, dass sie Berichten nachgeht, wonach es in menschlichem Sperma vorkommt, was darauf hindeutet, dass es auch sexuell übertragen werden könnte. Allerdings: Sequenzierungsdaten haben bisher keinen Beweis dafür geliefert, dass Affenpocken wie eine Geschlechtskrankheit übertagen werden. Und es ist auch nicht bekannt, welches Tier als natürliches Reservoir der Affenpocken fungiert – obwohl die WHO vermutet, dass es Nagetiere sind.

Zwar ist noch unklar, wie oder wo der aktuelle Ausbruch begann, doch Experten gehen davon aus, dass sich das Virus außerhalb einiger Länder in West- und Zentralafrika, wo es regelmäßig vorkommt, wohl nach zwei Rave-Veranstaltungen in Spanien und Belgien von Mensch zu Mensch verbreitete – hauptsächlich unter Männern, die Sex mit Männern haben. Während zu den typischen Symptomen der Affenpocken eine Schwellung der Lymphknoten gehört, auf die ein Ausbruch von Läsionen im Gesicht, an den Händen und Füßen folgt, weisen viele Menschen, die vom jüngsten Ausbruch betroffen sind, diesmal weniger Läsionen auf, die sich an Händen, Anus, Mund und Genitalien entwickeln. Dieser Unterschied hängt wahrscheinlich mit der Art des Kontakts zusammen.

Falschinformationen im Zusammenhang mit Affenpocken machen sich häufig die in der Gesellschaft bereits vorhandene Homophobie zunutze, sagt Keletso Makofane, der an der Harvard-Universität im Bereich Gesundheit und Menschenrechte arbeit. Menschen, die Fake News verbreiten, konzentrieren sich oft auf die Art, wie Männer miteinander Sex haben, sagt er. Community-Organisationen, die sich um Männer kümmern, die Sex mit Männern haben, leisten gute Arbeit bei der Vermittlung genauer Informationen, die nicht stigmatisieren. Sie ermutigten die Menschen, auf Veränderungen an ihrem Körper oder dem ihrer Partner zu achten und bei Bedarf nach Hilfe zu suchen.

Auch Anzeigen innerhalb der von Schwulen verwendeten Dating-App Grindr, die Nutzer zu Gesundheitsdienstleistern und weiten Informationen über Affenpocken führen, seien erfolgreich und hätten ein breites Publikum erreicht. "Ich glaube mittlerweile, dass das Bewusstsein unter Homosexuellen [für das Thema Affenpocken] größer ist als außerhalb ihrer Gemeinschaft", sagt Makofane.

Obwohl wir die Bedrohung durch die Affenpocken ernst nehmen sollten, besteht im Moment kein Grund zur Panik, meint Derek Walsh, Professor für Mikrobiologie und Immunologie an der Feinberg School of Medicine der Northwestern University.

"Die Art und Weise, wie sich die Affenpocken verbreiten, bedeutet, dass es unwahrscheinlich ist, dass sie sich wie die COVID-19-Pandemie ausbreiten. Außerdem verfügen wir bereits über wirksame Impfstoffe", sagt er. Die gegen die eigentlich ausradierten "normalen" Pocken greifen zumeist. "Wir müssen nun wirklich nur wachsam sein und dabei vermeiden, jeden, der sich ansteckt, zu stigmatisieren."

(jle)