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Was war. Was wird. Von Drosten und Daten.

Kommunikation ist so eine Übung, die nicht jedermanns oder jederfraus Sache ist. Und wenn dann noch Daten gefragt sind, dann wird's ganz übel, meckert Hal Faber

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Manches Mal wundert man sich, wenn die Angst um Privatsphäre in eine Angst vor Daten mutiert. Bis zu einem Level, auf dem die Datenangst zur Lebensangst wird, ausgerechnet bei denen, die einen souveränen Umgang mit Daten zu ihrem Alltag zählen. Die Behauptung, dass so nebenbei Leben gefährdet werden, mag manchen polemisch erscheinen. Auf jeden Fall wird der Datenschutz mit der Datenangst tatsächlich zu einem Verhinderungsinstrument. Ganz abgesehen davon: So ein bisschen Polemik kann einer lange schon festgefahrenen Debatte auf die Sprünge helfen.

(Bild: Yurchanka Siarhei / Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Eine Wochenschau ist eigentlich kein "Zahlen, bitte!", wie es Dienstag für Dienstag um 13:37 erscheint und den Nerdhorizont mit Nerdwissen bereichert. Dennoch muss ich heute ein paar Zahlen loswerden: 165 Seiten ist das Corona-Gutachten des Sachverständigenausschusses nach dem Infektionsschutzgesetz lang, das in dieser Woche vorgestellt wurde. Nach der Lektüre kann man sich kopfkratzend fragen, wo wir wirklich schlauer geworden sind. 234 Mal findet sich das Wort Daten in verschiedenen Zusammensetzungen wie Datenlücke und Datenmangel oder mit hübschen Adjektiven kombiniert zur "imperfekten" oder "lückenhaften" Datenlage, von dem schlichten "unzureichenden Daten" ganz zu schweigen. Nur das von Journalist:innen gern gebrauchte Wort vom Datenloch fehlt, denn das wäre gar zu blamabel.

Naja, ein paar Daten gibt's dann doch noch.

(Bild: Eine Grafik aus dem Evaluationsbericht zu den Corona-Maßnahmen,von der Corona-Datenplattform )

Bekanntlich befinden wir uns auf dem Weg zur großen Digitalisierung, wo alle mit Siebenmeilenstiefeln nach Digitalien laufen oder gar sprinden, und dann das: ein klaffendes Datenloch, von dem wir nicht einmal die Ränder kennen. Der Virologe Christian Drosten hatte recht, als er im April den nach politischen Präferenzen zusammengestellten Ausschuss verließ, der jetzt ein kümmerliches Gutachten ablieferte. "Besonders bitter stößt auf, dass über die Wirksamkeit der Schließung von Schulen und Kitas kein Urteil gefällt werden konnte. Eine Maßnahme mit gravierenden psychosozialen Folgen für viele Kinder und ihre Familien." Auch anderswo klingt es ganz besorgt darüber, wie ausgerechnet die Schulen im Herbst erneut in die große Ungewissheit segeln: "Wenn es zudem um die Schulen geht, ist die wichtigste Frage kaum, ob sie wieder geschlossen werden müssen. Eher muss man fragen, was sich in den Schulen eigentlich getan hat. Gibt es jetzt überall Luftfilteranlagen? Erhalten Kinder gezielte Unterstützung, wenn der Unterricht ausfällt? Haben alle einen Rechner und Internet – was nicht erst so sein sollte, wenn ein Virus den Betrieb lahmlegt?" Keine Antwort, nirgends.

*** Dass Daten fehlen, hat viele Gründe. Einer ist, dass keine Studien in Auftrag gegeben wurden, wie dies in Großbritannien oder Frankreich passierte. Das ficht einen Politiker wie Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) nicht an, der prompt von einem "Datenchaos" fabulierte und die Entlassung von Lothar Wieler forderte. Dabei hatte der Präsident des Robert Koch-Institutes sich in zahlreichen Pressekonferenzen den Mund fusselig geredet, um Maßnahmen und das Sammeln aussagekräftiger Daten anzumahnen. Immerhin zeigte Twitter mit #DankeWieler, dass es etliche Menschen gibt, die weiter denken können. Offenbar ist ein Kubicki die Volumen-Maßeinheit für heiße Luft, die beim extra langen Duschen entsteht. Der erste Dank an Wieler stammte übrigens von der grünen Politikerin Katrin Göring-Eckardt: "Lothar Wieler hat in der Pandemie unfassbar viel geleistet. Seine Expertise, die Fachlichkeit, die Standhaftigkeit bei Angriffen vom Wissenschaftsfeinden verdient Respekt." Mit der Standhaftigkeit bei Angriffen von Wissenschaftsfeinden allein ist es nicht getan, es muss auch bessere Kommunikation vom "Team-Vorsicht" geben, wie das der Evaluationsbericht der Sachverständigen in gesetzten Worten verkündet: "Risikokommunikation als staatliche Aufgabe soll die Öffentlichkeit zielgerichtet über die Größe und Eigenschaften des Risikos, über dessen Bedeutung sowie über Entscheidungen und Maßnahmen zur Risikobewältigung aufklären. Überdies soll sie informierte Entscheidungen ermöglichen, schützendes bzw. lebenserhaltendes Verhalten fördern, das Vertrauen in öffentliche Institutionen bewahren und den sozialen Zusammenhalt stärken." Klingt toll, sollte mal jemand machen. Hier konnte man unter der Woche klar und deutlich lesen, das jetzt schon die Hütte brennt. Wayne interessiert's?

*** Apropos Twitter: Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk nutzte das ach so soziale Medium, um in einem deutschen Tweet 21 deutsche Intellektuelle als "bunch of pseudo-intellectual loosers" zu bezeichnen, nur um auf Deutsch fortzufahren, dass sich die Unterzeichner eines Appells zum Teufel scheren sollten. Tatsächlich ist "Waffenstillstand jetzt! ein Dokument des Grauens. Einen Waffenstillstand in einer Woche zu empfehlen, in der ein Einkaufszentrum von einer Luft-Schiff-Rakete(!) getroffen wird, ist bestenfalls zynisch, eine Bankrotterklärung, die an der Realität der Kriegsführung vorbeigeht und die Ziele von Zar Putin der Große verkennt. Da der Gastbeitrag des Historikers Christopher Clarke hinter einer Paywall steckt, sei dieser Abschnitt zur gefälligen Lektüre rausgereicht: "Denn auch Putin hat die Existenz der Ukraine als Staat und als Nation wiederholt geleugnet. Er sieht sie als bloßes Territorium, als Landstrich. Für die Ukrainer ist das nichts Neues. 1848, als ukrainische Patrioten im östlichen Teil der Provinz Galizien eine beschränkte Autonomie innerhalb des Habsburgerreiches forderten, wurden sie – damals von den Polen – mit dem Argument abgewiesen, die Ukrainer seien eigentlich Polen /.../ Auch das ist eine Eigenart des Nationalismus: Er ist imstande, die eigene Nation feierlich als heiliges Erbe aus tiefster Vergangenheit zu empfangen und gleichzeitig die Nachbarn als willkürliches Konstrukt abzutun." Was übrigens auch für Botschafter Melnyk gilt, der in der Folge 580 des Podcasts Jung & naiv über den ukrainischen Faschisten Stepan Banderas herumlavierte. Auch hier hilft uns ein Historiker weiter, diesmal aus Polen und ganz ohne Paywall. "Die Auseinandersetzung mit Bandera könnte ein Beginn einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der Geschichte der Massengewalt, des Holocausts, von Antisemitismus und Faschismus sein. Wegen der aktuellen politischen Lage und auch der Komplexität der ukrainischen Geschichte wird das wahrscheinlich nicht bald geschehen."

*** Zu den besonderen Freuden des Journalismus gehört der Blick auf wissenschaftliche Fakten, die durch irgendeine Statistik oder Korrelation gesichert sind. Lustig wird es immer dann, wenn der Informationsdienst Wissenschaft die "Unstatistik des Monats" veröffentlicht. In dieser Woche war es wieder einmal soweit, die neue Unstatistik beschäftigte sich mit den False Positives bei der Chatkontrolle: "Allein auf WhatsApp und allein in Deutschland werden pro Tag rund 3 Milliarden Nachrichten verschickt. Angenommen, nur 0,0001 Prozent, also insgesamt 3.000 aller dieser Nachrichten, enthalten unangemessene Inhalte. Dann werden 99,9 Prozent davon oder 2.997 Nachrichten entdeckt. Zugleich werden jedoch von den nach wie vor fast 3 Milliarden 'unschuldigen' Nachrichten 0,1 Prozent, also fast 3 Millionen Nachrichten, als unangemessen fehlklassifiziert. Die wären dann mit einem weiteren Algorithmus oder schlimmstenfalls von Menschen erneut zu prüfen. Und das jeden Tag." Hintergrund dieses kleinen Rechenbeispiels ist die Antwort der EU-Kommission auf eine Anfrage der Bundesregierung, wie sicher das Erkennen von Grooming ist, nachzulesen bei netzpolitik.org. Sie ist schwer sicher: "Die Genauigkeit von Grooming-Erkennungstechnologie liege bei etwa 90%. D.h. bei 9 von 10 durch das System erkannten Inhalten handele es sich um Grooming. False-positive Meldungen würden dann durch das EU-Zentrum erkannt und herausgefiltert." Wer sich auf die Suche nach der Quelle der Angabe macht, landet bei der gemeinnützigen Firma Thorn, die sich dem Kinderdatenschutz verschrieben hat. Sie hat die Rechte an der von Microsoft entwickelten Grooming-Suche für die Xbox)$ übernommen und bietet anderen Unternehmen eine "Toolbox" an, damit sie ein Grooming-Aufspürsystem entwickeln können. In ihrem neuen Online Grooming Report finden sich schreckliche Zahlen für die USA. Danach sind 67 Prozent aller befragten "LGBTQ+ minors" in eine ungemütliche Chat-Situation mit einem Erwachsenen geraten, gefolgt von 56 Prozent Mädchen. Im abschließenden Statement zu den Zahlen heißt es denn auch: "Wir müssen alle schlagkräftigen technischen Mittel einsetzen, um das Risiko des Online-Grooming zu reduzieren."

Google, neben seiner Suchmaschine vor allem bekannt für seine Zeitungsbeilagen-Reihe "Aufbruch", hat mittlerweile die 28. Ausgabe über "Mensch und Gesellschaft im digitalen Wandel" veröffentlicht. Schwerpunkt ist diesmal der Klimaschutz, durchexerziert am neuen Maschinenraum in Deutschland, der Arnulfpost in München. Was die Architekten als ikonisches Leuchtturmprojekt in der Tradition des Münchener Olympiaparks feiern, soll 2024 fertig werden. Dabei soll neuer Lebensraum für 17 speziell identifizierte Tierarten geschaffen werden, besonders für den in München vom Aussterben bedrohten Haussperling. Während das Beipackblatt mit mehreren Artikeln den Einsatz von KI für den Kampf gegen die Klimakrise würdigt, wird auch Kritik laut.

Der neue Maschinenraum von Google in Deutschland

(Bild: Google)

Franziska Brantner, die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, rügt den unglaublich energieintensiven Einsatz von KI-Modellen und hat auch gleich einen praktischen Vorschlag parat: [i]"Wir brauchen mehr Transparenz zur Energieintensität. Bei einem Kühlschrank haben die Verbraucherinnen und Verbraucher heute inzwischen die Wahl: Wollen sie lieber die Variante B oder die sparsamere A+++ kaufen? Die sogenannte Energieeffizienzklasse schafft Orientierung. Eine derartige Bewertung fehlt aber bislang beim Softwarekauf, auch etwa bei Apps." Na denn. Diese kleine Wochenschau wurde wie immer mit Gedit geschrieben, Energieklasse 3.36.2.

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