Forscher: Energie-Versorgungssicherheit braucht keine Atomkraft

Zu teuer, zu unsicher, zu schädlich: Im Vergleich zu Erneuerbaren Energien schneiden Atomkraftwerke in Studien für Deutschland und die Schweiz schlecht ab.

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Ein Kühlturm des stillgelegten AKW Philippsburg sackt nach einer Sprengung in sich zusammen.

(Bild: ENBW)

Lesezeit: 5 Min.

Der Energiemarkt ist wegen des Ukraine-Kriegs äußerst unwägbar und CO₂-arme Energie ist wegen des Klimawandels dringend notwendig. Da bietet es sich für nicht wenige Menschen an, Atomkraft einzusetzen. Forschende versuchen nun mit zwei Studien, starke Gegenargumente zu setzen: die Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) mit einer Metaanalyse bereits bestehender Untersuchungen für Deutschland und das deutsche Wirtschaftsforschungsinstitut DIW mit einer Analyse der Schweizer Energie-Versorgungssicherheit.

Die AEE kommt durch einen Studienvergleich zu dem Schluss (PDF), Energiewende und Klimaschutz seien auch ohne Atomkraft realisierbar. "Es existieren verschiedene Pfade zum Erreichen der Klimaziele – der deutsche Atomausstieg 2022 wird in keiner Studie in Frage gestellt. Auch werden keine alternativen 'Atom-Szenarien' durchgespielt", schreibt die AEE. Sie hat unter anderem die "Klimapfade 2.0" des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), die Leitstudie "Aufbruch Klimaneutralität" der Deutschen Energie-Agentur (DENA) sowie die Langfristszenarien des deutschen Wirtschaftsministeriums (BMWK) untersucht.

Die Studie der AEE einhält einen Szenarienvergleich für die Jahre 2030 und 2045 der nach Ansicht der Agentur meistdiskutierten Studien der aktuellen Energiewende-Debatte. Dabei beschäftigt sie sich mit den Kernaussagen der genannten Szenarien, wie Energiewende und Klimaschutz auch ohne Atomkraft funktionieren. Es habe sich gezeigt, dass bereits viele Studien untersucht hätten, wie eine Vollversorgung aus Erneuerbaren Energien aussehen kann.

Die Klimaschutzziele zu erreichen, hänge von den Eneuerbaren Energie ab, schreibt die AEE weiter. Vor allem die kostengünstigen und potenzialreichen Technologien Windenergie und Photovoltaik müssten dynamisch ausgebaut werden. Bis 2045 müsse die installierte Leistung aus Wind und Solar laut den verglichenen Szenarien auf etwa 433 bis 704 Gigawatt (GW) gesteigert werden. 2021 stammten 238 TWh des in Deutschland erzeugten Stroms aus Erneuerbaren Energie.

Die AEE weist Wasserstoff im zukünftigen Energiesystem eine wichtige Rolle zu. "Es müssen geeignete Rahmenbedingungen für die Erzeugung und Nutzung von Wasserstoff und anderen synthetischen, strombasierten Energieträgern aufgebaut werden, damit diese rechtzeitig in ausreichender Menge und zu vertretbaren Kosten zur Verfügung stehen."

In den ausgewerteten Studien bestehe ein klarer Konsens darüber, dass Klimaschutz und Versorgungssicherheit nur mit den Erneuerbaren Energien sichergestellt werden könne. Zudem zeige sich, dass die Atomkraft auch kurzfristig keine Abhilfe schaffen könne. "Es fehlt an Brennelementen, Personal und Sicherheitsvorkehrungen, die sich gar nicht schnell genug beschaffen beziehungsweise umsetzen lassen, um die noch bestehenden AKW einfach weiterlaufen lassen zu können", schreibt die AEE. Die Atomkraft blockiere durch ihre mangelnde Flexibilität und die hohen Kosten eine echte Energiewende. Beim Bau neuer Kraftwerke schneide die Atomkraft gegenüber Solar- und Windkraft wesentlich schlechter ab, wenn es um die Stromgestehungs- und die Umweltkosten gehe.

Für die Schweiz hat das DIW in einer Studie die Rolle der Schweizer AKW für die Stromversorgungssicherheit bis 2035 modelliert (PDF). Sie komme zu dem Schluss, dass die Stomversorgung mit Photovoltaik sicherer sei als mit Atomkraftwerken, schreibt die Schweizerische Energiestiftung (SES).

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Dabei werden Aussagen wie die der Schweizerischen Elektrizitätskommission berücksichtigt, dass ungeplante AKW-Ausfälle das größte Risiko für die Stromversorgungssicherheit der Schweiz darstellten. Die neue Studie untermauere diesen Befund, indem sie atombasierte mit erneuerbaren Szenarien für die zukünftige Stromversorgung der Schweiz vergleicht: "Die Stromversorgung wird resilienter, wenn man statt auf den Weiterbetrieb der alten AKW auf einen beschleunigten Ausbau von Photovoltaik-Anlagen setzt." Das sei umso wichtiger, wenn die Schweiz nicht in den europäischen Strommarkt eingebunden sei.

Dabei verweisen die Schweizer auf das Beispiel Frankreich: Wegen Sicherheitsmängeln würden französische AKW 2022 voraussichtlich rund 80 TWh weniger Strom als geplant liefern. Erstmals seit Jahren habe Frankreich im ersten Halbjahr 2022 mehr Strom importiert als exportiert. "Die Schweiz sollte sich davor hüten, für ihre Stromversorgung einfach auf die alternden Atomkraftwerke zu setzen, solange wir kein Stromabkommen mit der EU haben", urteilt Fabian Lüscher, Fachbereichsleiter Atomenergie bei der SES. "Für die Schweiz gibt es derzeit nur eine Lösung: Den Ausbau der Erneuerbaren stark beschleunigen."

Das sieht auch der Chef des Schweizer Energiekonzerns und AKW-Betreibers Axpo so. Christoph Brand sagte im Februar in einem Interview, Investitionen in neue AKW würden sich nur lohnen, wenn es eine neue Generation gäbe, zum Beispiel Small Modular Reactor. "Die kann man heute aber nicht kaufen." In der deutschen Diskussion über Atomkraft wurden bisher eher befürwortende Stimmen von Christdemokraten oder -sozialen laut, im Juni warf FDP-Chef Christian Lindner ein, es sollte "unideologisch" über AKW-Laufzeiten diskutiert werden.

(anw)