Grünes Label für Atomkraft und Erdgas: EU-Parlament hat keinen Einwand

Das Plenum des EU-Parlaments legt keinen Einwand gegen den Vorschlag der EU-Kommission ein, Atomkraft und Erdgas als nachhaltig einzustufen.

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Französisches Atomkraftwerk Cattenom.

(Bild: EDF)

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Das Europäische Parlament hat am Mittwoch keine Einwände gegen den Vorschlag der EU-Kommission für eine Taxonomie-Verordnung eingelegt, die Atomkraft und – vorübergehend – Erdgas als nachhaltig einstuft. Ein vom Umwelt- und Wirtschaftsausschuss des Parlaments vorgeschlagener Einwand fand bei 328 Gegenstimmen und 278 Ja-Stimmen bei 33 Enthaltungen keine Mehrheit. Um einen gültigen Einwand zu erheben, wären 353 Ja-Stimmen nötig gewesen.

Ein delegierter Rechtsakt wie dieser, den die EU-Kommission am Silvesterabend 2021 vorgestellt und Anfang Februar in letzter Fassung vorgelegt hatte, bedarf nicht der Zustimmung der EU-Mitgliedsstaaten und des Europäischen Parlaments, sie können ihn lediglich durch Einspruch blockieren. 20 der 27 Mitgliedsstaaten, die mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten, müssten bis 11. Juli 2022 ihr Veto einlegen, um die Verordnung zu stoppen. Das gilt als unwahrscheinlich. Österreich hat bereits angekündigt, vor dem Gerichtshof der Europäischen Union gegen die Taxonomie klagen zu wollen.

Die Taxonomie ist als Klassifikationssystem gedacht, das private Investitionen in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten lenken und so den Kampf gegen den Klimawandel unterstützen soll. Dabei sollen manche Aktivitäten aus dem Bereich Atom- und übergangsweise Erdgasenergie in die Liste der ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten aufgenommen werden. Die EU-Kommission will so grüne Investitionen stärken.

Für Unternehmen ist die Taxonomie bedeutend, weil sie die Investitionsentscheidungen von Anlegern beeinflussen und damit zum Beispiel Auswirkungen auf Finanzierungskosten von Projekten haben könnte. Investoren sollen zudem in die Lage versetzt werden, Investitionen in klimaschädliche Wirtschaftsbereiche zu vermeiden.

In der Debatte im Plenum des EU-Parlaments am Dienstag zeigten sich sowohl Gegner als auch Befürworter überzeugt, die Sache für sich entscheiden zu können. Gegner argumentieren unter anderem, Anreize für Investitionen in den Bau neuer Gaskraftwerke stünden in starkem Kontrast zu den Bemühungen, unabhängig von russischem Gas zu werden. Insbesondere vor dem Hintergrund möglicher Risiken aus Ländern wie Deutschland, Österreich und Luxemburg kam scharfe Kritik am geplanten Umgang mit der Atomkraft.

EU-Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness sagte im Plenum, einige EU-Länder benötigten Gas in der Übergangsphase, um sich von schmutzigen fossilen Brennstoffen abzuwenden. Atomkraft sei kohlenstoffarm und damit auch Teil des Energiemixes für eine Übergangsphase. "Ich möchte betonen, dass kein Mitgliedstaat verpflichtet ist, in Kernkraft oder Gas zu investieren", sagte McGuinness.

Der EU-Parlamentarier Markus Pieper (CDU) argumentierte im Deutschlandfunk am Mittwoch, es gehe nicht darum, Erdgas und Atomkraft dauerhaft als nachhaltig zu bewerten. Die Abgeordneten der CDU und CSU, die als Zünglein an der Waage galten, wurden von der deutschen "Fridays for Future"-Aktivistin Luisa Neubauer aufgerufen, geschlossen gegen das Projekt zu votieren.

Mitte Juni hatten der Umwelt- und der Wirtschaftsausschuss des EU-Parlaments mit 76 zu 62 Stimmen bei 4 Enthaltungen Einwände gegen den Vorschlag der EU-Kommission erhoben. Atomkraft und fossiles Gas seien wichtig für eine stabile Energieversorgung während des Übergangs zu einer nachhaltigen Wirtschaft, meinten die EU-Abgeordneten. Sie meinten aber auch, dass die vorgesehenen Screening-Standards die Kriterien für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten der Taxonomie-Verordnung nicht einhalten.

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Die Abgeordneten forderten dazu in einer Resolution, über die nun im Plenum abgestimmt wurde, dass alle neuen oder geänderten delegierten Rechtsakte Gegenstand einer öffentlichen Konsultation und Folgenabschätzung sein sollten, da sie erhebliche wirtschaftliche, ökologische und soziale Auswirkungen haben könnten. Die Abgeordneten monierten, dass die EU-Kommission ihren Taxonomie-Entwurf am 31. Dezember 2021 den EU-Mitgliedsstaaten ohne Anhörung des EU-Parlaments übermittelt hatte.

In einem ersten Schritt wurde im vergangenen Jahr entschieden, die Stromproduktion mit Photovoltaik, Wasserkraft oder Windkraft als klimafreundlich einzustufen. Zudem wurden Kriterien für zahlreiche andere Wirtschaftsbereiche festgelegt. Sie regeln beispielsweise, dass der Personen- und Güterzugverkehr ohne direkte CO₂-Abgasemissionen als klimafreundlich eingestuft werden kann. Den delegierten Rechtsakt mit dem grünen Label für Atomkraft und Erdgas schlug die EU-Kommission dann Ende vergangenen Jahres zusätzlich vor. Frankreich sieht in der Atomkraft eine Schlüsseltechnologie für eine CO₂-freie Wirtschaft, Deutschland setzte sich im Gegenzug für ein Erdgas als Übergangstechnologie ein.

(anw)