Bundestag: Gutachter warnen vor "Welt ohne Bargeld"

Münzen und Scheine sind laut Forschern unschlagbar, etwa beim Datenschutz. Setzten sich Trends im Zahlungsmarkt fort, könnte eine Grundversorgung nötig sein.

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(Bild: Jacob Lund/Shutterstock)

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Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) hat in einer neuen Studie Veränderungen der klassischen Banken- und Bezahlsysteme sowie des damit einhergehenden Machtgefüges analysiert. Es warnt im Resümee vor einer "Welt ohne Bargeld" und dem zunehmenden Einfluss von Big-Tech-Konzernen aus den USA und China auf das Finanzwesen. Damit werde sich künftig "stärker die Frage nach der Erhaltung der Handlungsfähigkeit des europäischen Bankenwesens stellen".

"Gegenüber unbaren Zahlungsmitteln bildet Bargeld ein wichtiges Korrektiv im Zahlungsverkehr", betonen die Forscher vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), die das TAB betreiben, zusammen mit ihren Kooperationspartnern. Keine Debit- oder Kreditkarte und schon gar nicht Bitcoin und andere virtuelle Münzen erreichten "ein ähnlich hohes Inklusionsniveau". Auch der Schutz der Privatsphäre sei keineswegs vergleichbar.

"Trotzdem nimmt die Nutzung unbarer Zahlungsmittel auch in Deutschland weiter zu", ist den Wissenschaftlern nicht entgangen. Der Rückgang der Bargeldnutzung um 14 Prozentpunkte zwischen 2017 und 2020 auf 60 Prozent sei beträchtlich. Dieser könnte aber "im Wesentlichen durch pandemieinduzierte Nachholeffekte bewirkt worden sein". Dann dürfte sich das Minus in den nächsten Jahren wieder auf die üblichen ein Prozent pro Jahr einpendeln.

Von besonderer Bedeutung sind laut der Untersuchung aktuell kartengestützte Zahlverfahren. Diese erfolgen entweder direkt mit der Debit- oder Kreditkarte am physischen Verkaufspunkt oder mit einer virtuellen Lösung beim mobilen Bezahlen und bei Internetlösungen, "über die unbare Zahlweisen im Hintergrund abgewickelt werden". Treiber seien neben der Corona-Pandemie etwa Preis, Verfügbarkeit und Verbreitung von Basistechnologien, Verbraucherwünsche und innovative Bezahlansätze.

Vorteile unbarer Zahlungslösungen sehen die Autoren bei deren Einsetzbarkeit im E-Commerce sowie im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr und bei Schutzmechanismen. Das Sicherheits- und Datenschutzniveau der jeweiligen Ansätze sei aber sehr unterschiedlich. So könne das Bezahlen mit Debitkarten im Vergleich zu vielen anderen unbaren Zahlweisen als relativ sicher bewertet werden. Auch die Privatsphäre werde dabei nicht so stark ausgehöhlt. Kreditkarten schnitten in beiden Punkten schlechter ab.

Bei neueren Online-Varianten wie Paypal & Co. sowie mobilem Bezahlen sei der Datenschutz wiederum noch niedriger als bei Kartenzahlungen, arbeiten die Verfasser heraus: Hier würden auch Informationen erhoben und verarbeitet werden, "die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Bezahlvorgang stehen". Beim Mobile Payment kämen zusätzlich zu generellen Authentifizierungsmechanismen aber zumindest Tokens zum Einsatz, was Missbrauch etwas einschränke. Ein zusätzlicher Sicherheitsfaktor sei gegeben, wenn biometrische Merkmale zur Entsperrung des Smartphones notwendig sind.

"Bei manchen unbaren Bezahlverfahren wie Sofortüberweisung wird der Grundsatz systematischer IT-Sicherheit verletzt", kritisiert das TAB. Demnach sollten "für jeden Anmeldeprozess und Diensteanbieter neue Zugangsdaten verwendet werden", die für keinen anderen Service oder Dritte bekannt sind. Nach der zweiten EU-Zahlungsdiensterichtlinie (PSD2) sei dies aber zulässig.

Große Unternehmen mit etablierten Tech-Plattformen wie Alibaba, Amazon und Facebook sind laut der Untersuchung "inzwischen etablierte Akteure im Zahlungsverkehr". Ihre Motive für den Markteintritt und die verfolgten Geschäftsmodelle seien vielfältig. Sie reichten von der Datengewinnung für Werbezwecke über das Ziel, Kunden möglichst lang im eigenen Ökosystem zu halten, bis zum Einstreichen von Entgelten durch das Angebot einschlägiger Produkte. Da Bezahlen dabei "mehr und mehr zu einer integrierten Funktion wird, laufen Banken Gefahr, zu Abwicklern im Hintergrund zu werden und damit ihre Sichtbarkeit beim Kunden zu verlieren".

Als zentrale Ideen der Notenbanken in der EU, um Big Tech Paroli zu bieten, haben die Forscher etwa Initiativen für Produkte für unterschiedliche Zahlungssituationen unter einer europäischen Dachmarke ausgemacht, die auf Instant Payments beruhen. Angepeilt würden so Echtzeitüberweisungen, bei denen der Transfer von Geldbeträgen nur wenige Sekunden dauert. Auch ein europäisches Kartensystem sei geplant. Ob diese Vorhaben zeitnah verwirklicht werden könnten, bleibe aber abzuwarten.

Auch die Auswirkungen von Krypto-Vermögenswerten mit Zahlungsfunktion beleuchten die Wissenschaftler. Mit diesen ließen sich etwa schnelle und kostengünstige grenzüberschreitende Transaktionen abwickeln, bislang führten sie aber ein Nischendasein im Zahlungsverkehr. Nicht an den US-Dollar & Co. gekoppelte Kryptowährungen wie Bitcoin erfüllten derweil "durch ihre von Spekulationen verursachte Preisvolatilität nicht die Geldfunktion". Sie eigneten sich vor allem nicht zur Wertaufbewahrung. Aufgrund vieler ihrer wichtigen Eigenschaften würden sie ferner "häufig für kriminelle Zwecke" verwendet.

Die vor allem von Facebook getriebene Aussicht auf eine weltweit verfügbare private digitale Währung hat laut der Studie bei vielen Zentralbanken dazu geführt, Überlegungen zur Einführung eigener digitaler Zentralbankwährungen anzustellen oder bereits existierende Projekte hierzu beschleunigt voranzutreiben. Je nach Ausgestaltung einer solchen Central Bank Digital Currency (CBDC) rund um Anonymität, Datenschutz und Sicherheit könnten solche Ansätze "ähnlich wie Bargeld eine Korrektivfunktion mit Blick auf die Produktkonzeption privater Zahlungsdienstleister haben".

Mit CBDC seien Zahlungsströme besser kontrollierbar, halten die Verfasser fest. Geldwäsche- und Terrorismusbekämpfung würden damit erleichtert. In den Händen autoritärer Regime wie China könnten so aber auch Aktivitäten von Systemkritikern und gewöhnlicher Bürger leichter überwacht werden. Das Reich der Mitte scheine im CBDC-Bereich generell die meisten Fortschritte gemacht zu haben. Mitte 2021 habe aber ferner die Europäische Zentralbank entschieden, die Potenziale eines E-Euros genauer auszuloten. Allgemein wäre die Einführung von digitalem Zentralbankgeld "ein erheblicher Einschnitt in das gegenwärtige Geld- und Banksystem".

Die Forscher können sich auch vorstellen, dass die Erfahrungen aus der Pandemie "die Neugier auf die Vielfalt unbarer Zahlungslösungen und der mit ihnen kombinierbaren Produkte und Dienstleistungen wachsen lässt". In Verbindung mit einer von deutschen Banken gestützten einheitlichen Zahlungslösung für sämtliche Kanäle, einem europäischen Kartensystem nach europäischen Datenschutzstandards und einem perspektivisch verfügbaren digitalen Euro als alternatives gesetzliches Zahlungsmittel könnte dies den Rückgang der Bargeldnutzung deutlich verschärfen.

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Möglicherweise müsste dann von den 2030ern an "über die Notwendigkeit gesetzlicher Standards für eine Grundversorgung mit Bargeld wie in Schweden" nachgedacht werden, lautet das Fazit. Dort spielten Münzen und Scheine kaum noch eine Rolle. Als Reaktion darauf habe die Regierung in Stockholm nicht nur ihr Projekt zur E-Krone vorangetrieben, sondern auch ein Gesetz erlassen, mit dem das Niveau der Bargeldversorgung des Jahres 2017 wiederhergestellt und gewährleistet werden soll. Bei solchen Gegenmaßnahmen tut sich dem TAB zufolge vor allem die Frage nach den Kosten für eine Bereitstellung der Bargeldinfrastruktur inklusive Geldautomaten und deren Übernahme auf.

(bme)