Energiesparen mit schlauen Thermostaten nicht zielführend

EU-Kommission und US-Regierung wollen digitale Thermostate fördern, die Dena verlangt eine Einbaupflicht. c't-Redakteur Sven Hansen findet beides unsinnig.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Sven Hansen
  • Andrijan Möcker
Inhaltsverzeichnis

Es ist kein Ende des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine in Sicht und Putin kurbelt weiter nach Belieben an den Ventilen der Pipelines Richtung Europa. Angesichts des nahenden Herbstes wollen die Deutsche Energie-Agentur (Dena) sowie die US-Regierung und die EU-Kommission die Verbreitung smarter (internetgebundener) oder digitaler Heizkörperthermostate fördern. Mit den Geräten sollen Haushalte automatisch bedarfsgerechter heizen und so den Gasverbrauch reduzieren – und damit die Abhängigkeit von Russland mindern.

Aktuell sind in vielen Haushalten rein mechanische Thermostate im Einsatz. Das Prinzip: Eine Masse im Inneren dehnt sich bei Erreichen der Zieltemperatur langsam aus und drückt den Ventilstift hinein – die Warmwasserzufuhr wird gestoppt. Ob Bedarf besteht, spielt dabei jedoch keine Rolle; in der Konsequenz wird weiter geheizt, wenn man vergisst, das Thermostat herunterzuregeln.

Digitale Thermostate, also solche mit elektrischem Stellmotor und einem Mikrocontroller, können immerhin zeitgeführt steuern, sodass etwa zur Arbeitszeit außer Haus automatisch abgesenkt wird. Sie laufen in der Regel mit zwei Rundbatterien (AA) und sind ab etwa 20 Euro erhältlich.

Umgangssprachlich als "smart" bezeichnete Thermostate funktionieren ähnlich, besitzen aber zusätzlich eine Funkschnittstelle, über die sie entweder direkt oder mittels Umsetzer (Bridge) mit dem Internet verbunden sind. Das erlaubt schicke Apps, mit denen das Einstellen von Zeitplänen wesentlich mehr Spaß macht als am Bedienfeld der Heizungstherme oder des digitalen Thermostats.

Außerdem kann man die Heizung abhängig von der Position des Smartphones steuern. So sinkt die Temperatur automatisch, wenn man die Wohnung verlässt und steigt bei der Rückkehr wieder. Wie das Geofencing in Kombination mit GPS-Trackern funktioniert, erklärt der Beitrag Smart Home: Energie sparen mit virtuellen Zäunen.

Geofences erlauben, die Heizung positionsgeführt hochzufahren und abzusenken. Das kann viel Energie sparen, setzt aber Thermostate mit Internetanbindung voraus.

Einen Vorstoß machten am 27. Juni EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und US-Präsident Joe Biden in einer gemeinsamen Stellungnahme am Rande des G7-Gipfels. Im Rahmen der Ende März gegründeten Arbeitsgruppe für europäische Energiesicherheit möchten die beiden die EU-Länder sowie europäische und US-amerikanische Firmen "dazu ermutigen", bis zum Winter 1,5 Millionen smarte Thermostate in europäischen Haushalten zu installieren.

Wie das konkret ablaufen soll, lässt die Stellungnahme, die die Europäische Kommission und das Weiße Haus auf ihren Websites veröffentlichten, offen. Auf Basis der Empfehlungen der Arbeitsgruppe wollen sich Biden und von der Leyen in den nächsten Tagen mit nationalen Regierungs- und Interessenvertretern treffen.

Mit ihnen wollen sie "umsetzbare politische Empfehlungen” zur Beschleunigung der Thermostat-Installation sowie der Einführung und Produktion von Wärmepumpen erörtern. Es gelte zu gewährleisten, dass das Angebot an wichtigen Energieeffizienzlösungen die wachsende Nachfrage decken könne. Trotz Beteiligung des US-Präsidenten geht es dabei wohlgemerkt nur um europäische Haushalte.

Die Deutsche Energie-Agentur (Dena), ein bundeseigenes Dienstleistungsunternehmen für die Energiewende, möchte noch einen Schritt weiter gehen: Sie schlug – noch vor dem Vorstoß von EU-Kommission und US-Regierung – vor, Hauseigentümer gesetzlich zum Einbau digitaler Heizkörperthermostate zu verpflichten.

Andreas Kuhlmann, Chef der staatlichen Energie-Agentur Dena, schlägt vor, Hauseigentümer zum Einbau digitaler Heizkörperthermostate zu verpflichten. Ein Förderprogramm soll das Vorhaben begleiten.

(Bild: Dena)

Dena-Chef Andreas Kuhlmann sagte laut Pressemitteilung vom 17. Juni: "Der Schlüssel für erhebliche Einsparungen bei der Heizenergie heißt Transparenz. Die Technologien sind vorhanden: Digitale Thermostate und Messsysteme müssen in einer konzertierten Aktion massiv in den Einsatz gebracht werden. Und zwar jetzt, damit in der nächsten Heizperiode ausreichend viele Haushalte versorgt sind." Das Einsparpotenzial liege bei über zehn Prozent.

Um Anreize zu schaffen, schlägt die Dena ein Förderprogramm vor, das bis Ende 2022 die Hälfte der Anschaffungskosten deckt, 2023 dann nur noch ein Viertel. Ab dem dritten Jahr soll es dann eine über drei Jahre ansteigende Strafzahlung geben für alle, die der neuen Verpflichtung nicht nachkommen. Die Kosten sollen die Eigentümer tragen und nicht auf Mieter und Nutzer abwälzen.

Eine gesetzlich verankerte Absenkung der Temperatur in Mietwohnungen sieht die Dena kritisch, denn es gebe jetzt schon Auseinandersetzungen zwischen Mietern und Vermietern um die Einhaltung der Heizungstemperatur. Der Vorschlag sei "verbraucherfeindlich" und würde zudem die Akzeptanz für die Energiewende mindern.

Sowohl der Vorschlag von EU-Kommission und US-Regierung als auch die Forderung der Dena lassen viele Fragen offen: Welcher Funktionsumfang vorgesehen ist, also ob nur digital oder auch mit Internetanbindung; woher die innerhalb weniger Monate benötigte große Anzahl an Geräten kommen soll; wie wenig elektronikaffinen Menschen geholfen werden soll, die Einbaupflicht umzusetzen und wie man verhindert, dass die Hersteller sich an den Fördergeldern bereichern.

Kommentar Smarte Thermostate: Viel heiße Luft

Sven Hansen

Für die EU 1,5 Millionen smarte Heizungsthermostate und eine Einbaupflicht für 41,5 Millionen Haushalte in Deutschland? Das klingt nicht schlecht, was sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, US-Präsident Joe Biden und Dena-Chef Andreas Kuhlmann für den anstehenden Winter haben einfallen lassen. Stellt man die 1,5 Millionen Thermostate den rund 200 Millionen EU-Haushalten gegenüber, klingt das EU-US-Vorhaben dann aber nicht mehr ganz so ambitioniert. Wenn dann in einem Haushalt auch noch mehr als ein einzelner Heizkörper hängt – man mag sich die drohenden Verteilungskämpfe kaum ausmalen.

Lassen wir das Problem der schnellen, unbürokratischen Verteilung und Installation der smarten Hardware mal beiseite, bleibt noch die viel wichtigere Frage nach dem Sinn der Maßnahme: Stünden noch Millionen Fensteröffnungssensoren auf der Liste, könnte man vielleicht auf Einsparungen durch ein aktives Ausbremsen der Fraktion dauerheizender Kippfenster-Freunde hoffen. Das Abschalten der Heizung bei offenen Fenstern ist der einzige Anwendungsfall, bei dem sich alle Experten über ein hebbares Einsparpotenzial einig sind.

Die übrigen Vorteile der smarten Thermostate sind eher im Segment „Komfort“ angesiedelt. Die Wunschtemperatur lässt sich per Sprache einstellen, die Heizung im Wochenenddomizil kann man schon aus der Ferne mit dem Smartphone einschalten oder mehrere Heizkörper in der Wohnküche gehorchen einem per Funk angebundenen Wandthermostat. Das hektische Rauf- und Runterregulieren der Temperatur bringt wenig, ein Absenken der Grundtemperatur um 2 Grad im Vergleich aber viel.

Doch damit nicht genug: Eine Pflicht für smarte Thermostate in 41,5 Millionen Haushalten würde Hunderte Millionen neue AA-Batterien bedeuten, denn die meisten Modelle schlucken genau die und laufen damit etwa ein bis zwei Saisons lang – je nach Heizverhalten. Hinzu kommen die vielen unterschiedlichen Ventilanschlüsse, für die man Adapter verteilen muss; welcher davon wie weit verbreitet ist, kann man kaum sicher sagen. Der daraus resultierende Plastikmüll des unnötig produzierten Überschusses ist in Kombination mit riesigen Batteriemengen nichts weiter als die nächste Umweltsauerei an anderer Stelle. Das Fass der umweltschädlichen Luft- und Seelogistik sowie der knappen, konfliktbehafteten Metalle ist dabei noch gar nicht offen.

Der Vorschlag, 1,5 Millionen Thermostate in die EU zu werfen – oder gar eine Einbaupflicht in Deutschland einzuführen – und aufs Beste zu hoffen, ist nichts weiter als eine undurchdachte politische Luftnummer. Wer schon jetzt Vorlauftemperatur und Thermostate mit Bedacht einstellt, braucht keine smarten Thermostate. 200 Millionen Fleecedecken, 50 Millionen Thermoskannen und vor allen Dingen mehr Bildungsangebote in puncto Energie wären sinnvollere Investitionen – Winter is coming.

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(amo)