Freelancer wünschen mehr Sicherheit in Scheinselbstständigkeitsprüfungen
Andreas Lutz, Vorsitzender des Verbands der Gründer und Selbstständigen, gibt IT-Einzelunternehmern im Interview Tipps und stellt Forderungen an die Politik.
- Dorothee Wiegand
Selbstständigenverbände fordern mehr Klarheit im sogenannten Statusfeststellungsverfahren, das die Deutsche Rentenversicherung (DRV) auf Antrag oder in Verdachtsfällen der Scheinselbstständigkeit durchführt. Der VGSD vertritt viele IT-Selbstständige in Deutschland – Vorstand Andreas Lutz gibt Tipps und stellt Forderungen.
c’t: Was ist im Hinblick auf das Statusfeststellungsverfahren Ihr wichtigster Rat an Selbstständige?
Dr. Andreas Lutz: Keine falsche Bescheidenheit! Ich würde Selbstständigen raten, ruhig etwas größer aufzutreten, als sie sind: auch als Einzelunternehmer gern mit einem zusätzlichen Fantasienamen und entsprechender Mailadresse. Briefpapier mit Logo ist empfehlenswert, denn die Rentenversicherung prüft anhand der Rechnungen, ob man unternehmerisch auftritt. Auch lohnt sich die Investition, Rahmenvertrag und Auftragsprozedere mit einem Sozialrechtler zu prüfen.
c’t: Welche Fallstricke gibt es für ITler?
Lutz: Gerade ITler neigen zum Beispiel bei der Rechnungsstellung dazu, sehr genaue Angaben zu den einzelnen erbrachten Leistungen zu machen, mitunter sogar minutengenau. Die Rentenversicherung schließt aus solch exakten Zeitangaben regelmäßig, dass der Auftraggeber den Selbstständigen besonders eng überwacht – was wiederum als Indiz für eine abhängige Beschäftigung gewertet wird.
c’t: Raten Sie dazu, freiwillig ein Statusfeststellungsverfahren zu beantragen?
Lutz: Nein. Jedenfalls nicht, ohne den Rat eines Rechtsanwalts eingeholt zu haben, auch nicht ohne Absprache mit dem Auftraggeber, sonst ist man den Auftrag los.
"Ich wünsche mir mehr Respekt vor dieser Lebensentscheidung."
c’t: Wie viel Sicherheit gibt ein positiver Bescheid?
Lutz: Das Problem ist, dass sich ein Bescheid, in dem die selbstständige Tätigkeit festgestellt wird, weder auf die Person noch auf deren Tätigkeit bezieht, sondern immer nur auf einen einzelnen Auftrag. Für künftige Aufträge geben sie also gar keine Sicherheit. Das würden wir uns wünschen: Dass beispielsweise ein SAP-Berater eine Feststellung für alle seine Tätigkeiten als SAP-Berater erhält. Aber die DRV behält sich vor, immer wieder neu und auch rückwirkend anders zu urteilen.
c’t: Ist es nicht richtig, wenn die DRV der sozialen Absicherung einen hohen Stellenwert beimisst?
Lutz: Zum einen: Selbstständige wollen selbst entscheiden, ihr Wissen weitergeben, für unterschiedliche Auftraggeber arbeiten. Ich wünsche mir mehr Respekt vor dieser Lebensentscheidung.
Zum anderen sind die Selbstständigen gerade in der IT für die gesamte Wirtschaft sehr wichtig. Sie tragen neues Wissen in Unternehmen und mildern den Fachkräftemangel. Wenn Know-how fehlt, sagen wir Kenntnisse einer Programmiersprache, dann müsste ein Unternehmen Mitarbeiter erst auf Fortbildung schicken – der Skill wird aber sofort benötigt. Selbstständige füllen solche Lücken.
IT-Arbeitsmarkt: Gute Chancen für Freelancer
Die führenden Vermittler von IT-Fachleuten rechnen mit einem kräftigen Umsatzwachstum. Ende 2020 gab es laut Bitkom 86.000 offene Stellen für IT-Fachleute.
c’t: Wie lauten Ihre Forderungen an die Politik?
Lutz: Aus unserer Sicht sollte nicht die DRV entscheiden, sondern eine Partei ohne Interessenkonflikte. Inhaltlich wünschen wir uns klare Kriterien für die Selbstständigkeit. Nach wie vor wird die Honorarhöhe nicht als Kriterium herangezogen – das halten wir für falsch. Das Verfahren selbst sollte digital abgewickelt werden, gern mit einem Online-Schnelltest. Bescheide sollten Rechtssicherheit geben und bis zu einer Nachprüfung gelten.
Ganz wichtig: Solange die Rechtslage so unsicher ist, dürfen die Sanktionen nicht so drastisch ausfallen. Diese Praxis führt mitunter zu Insolvenzen und dazu, dass große Unternehmen Selbstständige in Deutschland nur noch eingeschränkt beauftragen können. Das gefährdet die dringend nötige Transformation unserer Wirtschaft.
(dwi)