Bundestag verabschiedet sich vom Ausschuss für Netzpolitik

Der in der vergangenen Legislaturperiode eingerichtete Unterausschuss Neue Medien fällt Ränkespielen zwischen Regierung und Opposition zum Opfer -- Koalitionspolitiker, Verbände und Forscher protestieren.

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Netzpolitische Themen wie E-Government, E-Demokratie oder Zensur des Internet werden im Bundestag in Zukunft kein eigenes Forum mehr haben. Der erst im Frühjahr 2000 eingerichtete Unterausschuss Neue Medien, der sich übergreifend mit der Ausgestaltung der viel beschworenen Informationsgesellschaft beschäftigte, soll nach Informationen von heise online am heutigen Mittwoch unsanft beerdigt werden. Rot-Grün würde das mit elf Abgeordneten besetzte Gremium, das unter anderem mit seinen turbulenten Anhörungen zu heftig umstrittenen Politikbereichen wie der Telekommunikations-Überwachungsverordnung oder der Sperrungsanordnung für Internetseiten in den USA durch den nordrhein-westfälischen Medienwächter Jürgen Büssow auf sich aufmerksam machte, zwar gerne auch in der laufenden Legislaturperiode wieder einsetzen. Doch im entscheidenden "Oberausschuss" Kultur und Medien, dem das parlamentarische "Netzforum" angegliedert war, will sich die CDU/CSU-Fraktion quer stellen.

Die Oppositionspolitiker, die eine 25-prozentige Sperrminorität innehaben, begründen ihre ablehnende Haltung offiziell damit, dass die Diskussionspunkte des Ausschuss-Frischlings doch im Hauptausschuss genauso gut oder sogar besser aufgehoben seien. Medienthemen müssten generell am besten stärker direkt ans Kanzleramt angebunden werden. Ferner sei die erneute Einsetzung des Unterausschusses für Telekommunikation und Post, der sich vom Hauptausschuss Wirtschaft und Arbeit abzweigen soll, so gut wie beschlossen. Auch dort könnten einschlägige Fragen der neuen Medienwelt intensiver behandelt werden. Rot-grüne Abgeordnete gehen dagegen von reinen Ränkespielen aus. Demnach hätte die Union vor allem verhindern wollen, dass der noch jungen medienpolitischen Sprecherin der Grünen, Grietje Bettin, ein "eigenes" Forum überlassen würde. Bettin war als neue Vorsitzende des Unterausschusses im Gespräch.

Besonders empört über den Schachzug ist der bisherige Leiter des Gremiums, Jörg Tauss. Der SPD-Beauftragte für Neue Medien spricht von einem "schweren Schlag" für die Netzgesellschaft, da die für sie relevanten Themen sicher nicht von den bereits mit Arbeit eingedeckten Hauptausschüssen behandelt würden. Die große Chance des Unterausschusses sei es zudem gewesen, leichter "Input von außen" durch Sachverständige zu erhalten. Die Reform des Urheberrechts, die Frage der Einführung von Softwarepatenten oder die Zukunft des Jugendschutzes hätten es fortan noch schwerer als bisher, im Parlament mit dem nötigen Interesse behandelt zu werden. Dass sich der Unterausschuss Post und Telekommunikation mit diesen Gebieten beschäftige, sei kaum zu erwarten. Zudem sei dieser zumindest im nächsten Halbjahr mit der Novelle des Telekommunikationsgesetzes ausgelastet.

Mit heftiger Kritik reagierten auch Vertreter der Wirtschaft und der Wissenschaft bei einem parlamentarischen Abend der Alcatel-SEL-Stiftung in Berlin auf die Nachricht vom abgekarteten Ende des Bundestagsforums, nachdem Tauss davon berichtet hatte. Von einem "fatalen Signal" sprach etwa Wolfgang Dierker, Leiter des Arbeitskreises E-Government beim Branchenverband Bitkom. "Wir erleben seit einigen Monaten eine galoppierende Abnahme des Interesses der politischen Öffentlichkeit an den Bereichen Internet, Telekommunikation und Medien", erklärte der Lobbyist gegenüber heise online. Das trage den Informations- und Telekommunikationstechnologien, die nach wie vor einen wirtschaftlichen Wachstumsmotor darstellen würden, aber keineswegs Rechnung.

Dieter Klumpp, Geschäftsführer der Alcatel-SEL-Stiftung, zeigte sich über den ausgemachten Fall des Ausschusses besonders im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung erschrocken: "Die neuen Mitgliedsstaaten erwarten gerade in Bereichen wie E-Government oder E-Health einiges von der 'Informationsgesellschaft' Deutschland." Das Ende des Querschnittsforums sei da genau das falsche Zeichen. Axel Zerdick, Professor für Ökonomie und Kommunikation am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin, sprach gar von einer "vaterlandslosen Entscheidung". Die Leute, die vom Bundestag aus die Internet-Ökonomie vorantreiben konnten, seien jetzt "verschlissen". Es sei zu befürchten, dass die Politik in der Regulierung der neuen Medien fortan falsche Prioritäten setze. (Stefan Krempl) / (jk)