Gesichtserkennung: London will straffällige Migranten per Smartwatch überwachen

In Großbritannien sollen Smartwatches mit biometrischer Gesichtserkennung und GPS-Tracking elektronische Fußfesseln bei ausländischen Straftätern ersetzen.

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(Bild: Ryan DeBerardinis / Shutterstock.com)

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Migranten, die wegen einer Straftat verurteilt wurden, sollen nach Plänen der britischen Ministerien für Inneres und Justiz mit einer Smartwatch überwacht werden. Dies schreibt der Guardian unter Berufung auf einschlägige Dokumente. Die vernetzten Geräte am Handgelenk gelten demnach als mächtige Alternative zu elektronischen Fußfesseln: Sie ermöglichen neben dem Verfolgen von Standortdaten per GPS auch eine Kontrolle der Nutzer mithilfe automatisierter Gesichtserkennung.

Ausländische Straftäter sollen dem Bericht zufolge bis zu fünf Mal am Tag ihr Gesicht mithilfe der Smartwatches und zugehöriger biometrischer Erkennungstechnologie scannen müssen. Im Mai beauftragte die britische Regierung demnach die Technologiefirma Buddi mit der Lieferung von "nicht fest montierten Geräten" zur Überwachung "bestimmter Personengruppen" im Rahmen des Satellitenverfolgungsdienstes des Innenministeriums. Das System soll ab Herbst in ganz Großbritannien eingeführt werden und zunächst mit gut sechs Millionen Pfund zu Buche schlagen.

Den Vertrag mit dem Lieferanten, der bislang vor allem für den Vertrieb von Smartwatches mit Hausnotruffunktion bekannt ist, hat das Justizressort veröffentlicht. Die Zahl der bestellten Geräte und die Kosten pro Stück sind darin aber geschwärzt. In den Unterlagen findet sich zudem kein Hinweis darauf, ob die Regierung Risikobewertungen durchführen ließ. Darin hätten Experten ausloten können, ob es angemessen ist, etwa straffällige Asylbewerber mit den vorgesehenen Mitteln zu bespitzeln.

Offenbar führte aber zumindest das Innenministerium Datenschutz-Folgenabschätzungen für die Technik allgemein durch, bevor die Wahl auf einen konkreten Anbieter fiel. Der Guardian verweist auf ein entsprechendes Papier vom August 2021, das die Datenschutzorganisation Privacy International (PI) auf Basis des britischen Informationsfreiheitsgesetzes erlangt habe. Das System soll demnach eine "tägliche Überwachung von Personen" ermöglichen, "die einer Einwanderungskontrolle unterliegen". Auflage sei, jederzeit eine Fußfessel oder eine Smartwatch zu tragen. Andererseits habe das Innenressort beteuert, dass nur verurteilte Straftäter erfasst würden, nicht Asylbewerber generell.

Zusammen mit den Gesichtsfotos sollen den Unterlagen zufolge Informationen wie Name, Geburtsdatum und Nationalität bis zu sechs Jahre lang gespeichert werden. Dazu kommen planmäßig Bewegungsprofile: Die Standorte der Verpflichteten sollen "rund um die Uhr verfolgt" werden, "sodass Daten zur Überwachung von Wegen aufgezeichnet werden können".

Die mit den vernetzten Uhren aufgenommenen Fotos werden mit den biometrischen Gesichtsbildern in einschlägigen Datenbanken des Innenministeriums abgeglichen, heißt es weiter. Schlage die automatisierte Bildüberprüfung fehl, müsse eine händische Kontrolle durchgeführt werden. Die Daten sollen mit den beiden beteiligten Ministerien und der Polizei geteilt werden, wobei letzteres prinzipiell keinen neuen Ansatz darstelle. Auch von Ausgangssperren und Verbotszonen ist die Rede.

In einem Bericht des Rechnungshofs vom Juni erklärte die Regierung, dass sie "die elektronische Überwachung als kosteneffiziente Alternative zur Inhaftierung ansieht". Die Maßnahme trage zu "den Zielen des Schutzes der Öffentlichkeit und der Verringerung der Rückfälligkeit bei". Den Kassenprüfern zufolge war zunächst geplant, die Smartwatches von der Firma G4S zu beziehen, die auch für die elektronischen Fußfesseln zuständig ist. Das Justizministerium monierte bei diesen Geräten aber Schwächen bei der Cybersicherheit.

"Die grundlegenden Veränderungen, die sich durch die Einführung von GPS-Geräten ergeben haben, können gar nicht hoch genug eingeschätzt werden", warnten die PI-Aktivisten in einer Eingabe an die Regierung im Mai. "Sie ermöglichen die Überwachung des Standorts einer Person rund um die Uhr sowie die Live-Verfolgung". Dies bedeute, dass sich die Bewegungen einer Person in Echtzeit verfolgen ließen. Der geplante Ansatz gehe über die bloße elektronische Überwachung von Kautionsverletzungen im gesetzlich zulässigen Rahmen weit hinaus. Die Batterielaufzeit der Fußfesseln sei zudem mangelhaft.

Privacy International hat auch bereits eine Kampagne gestartet, um das GPS-Tracking von Menschen mit Migrationshintergrund zu stoppen. "Gesichtserkennung ist bekanntermaßen eine unvollkommene und gefährliche Technologie, die dazu neigt, farbige Menschen und Randgruppen zu diskriminieren", kritisierte die PI-Rechtsexpertin Lucie Audibert das erweiterte Smartwatch-Vorhaben gegenüber dem "Guardian". Die eingesetzten Algorithmen seien höchst fehleranfällig. Kein anderes Land in Europa setze "diese entmenschlichende" und tief in die Grundrechte einschneidende Technik gegen Migranten ein. Die Londoner Strafrechtlerin Monish Bhatia warnte, dass derart elektronisch Überwachte teils "Symptome von Angstzuständen, Depressionen, Selbstmordgedanken" entwickelten. Ihre psychische Gesundheit könne sich allgemein verschlechtern.

(tiw)