KI: Smarte Kameras sollen Menschen in Schwimmbädern vor dem Ertrinken retten

Bäderbetriebe in München und Wiesbaden testen ein Überwachungssystem mit Bewegungserkennung, das bei verdächtigen Situationen Alarm per Smartwach auslöst.

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Badegäste im Wasser zählen – ein Beispiel des Herstellers Lynxight

(Bild: Lynxight/youtube.com (Screenshot aus Video))

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Künstliche Intelligenz (KI) – dein Freund und Schwimmhelfer: Bäderbetriebe in München und Wiesbaden erproben aktuell ein israelisches Überwachungssystem mit Kameras und Bewegungserkennung, das in Not geratene Schwimmer vor dem Ertrinken retten können soll. Bei verdächtigen Situationen schlägt die integrierte, laut Herstellerangaben auf Maschinenlernen basierende Technik Alarm bei der Badeaufsicht über eine Smartwatch. So sollen Rettungsschwimmer schneller zielgerichtet Hilfe leisten können.

Die Stadtwerke München (SWM) haben Ende Juli im Südbad das Pilotprojekt "Smartes Schwimmbad" gestartet. Während der Revisionszeit sei dort im Zuge der üblichen Instandhaltungs- und Reparaturmaßnahmen "eine neue Technik für alle Becken eingebaut" worden, teilte das kommunale Versorgungs- und Dienstleistungsunternehmen bereits Anfang Juni mit: "Künstliche Intelligenz soll dabei unterstützen, Bewegungsmuster im Wasser auch datengesteuert zu erkennen."

Nach einer mehrwöchigen Testphase sind die Kameras nun scharf gestellt. In einem rund zweijährigen Pilotprojekt wollen die SWM so Erkenntnisse gewinnen, ob die Technik für alle von ihnen betriebenen Bäder "nutzbringend" ist.

Das eingesetzte System stammt von der Firma Lynxight aus Tel Aviv. Es besteht aus zwei Komponenten: Die eingesetzten Kameras sollen im ersten Schritt die Bewegungen im Wasser aufzeichnen. "Sie erfassen keine Echtbilder einzelner Personen – also auch keine Gesichter", betonen die SWM. Details der Aufnahmen rechne die Lösung in Vektordaten um und leite daraus Bewegungsmuster ab. Anschließend würden die Bilder sofort gelöscht. Die Kamerawinkel reichten über die gesamte Wasserfläche.

Gekoppelt sind die elektronischen Augen mit Smartwatches für das Aufsichtspersonal vor Ort. Die intelligenten Uhren sollen in Echtzeit und mit genauer Positionsangabe warnen können, falls die Bewegung im Wasser nach rund 20 Sekunden auf eine ungewöhnliche Lage und mögliche Gefahr hindeutet. Schwimmer können zudem gezählt werden: Die SWM schreiben: "Darüber hinaus ist es möglich, anhand der über längere Zeiträume gewonnenen Vektordaten zu analysieren, wie sich die Auslastung in den Becken darstellt."

Laut dem Münchner Versorgungsbetrieb ist das System mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vereinbar. Die Besucher des Hallenbads in Sendling, bei dem bei schönem Wetter die Tore der Fassade versenkt werden, würden im Eingangsbereich sowie beim Betreten der Schwimmhalle schriftlich über die KI-Kontrolle informiert.

"Noch ist das System nicht fehlerfrei", hat die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) herausgefunden. Die KI befindet sich demnach in einer Lernphase, die rund 60 Tage dauern soll. Bisher könne die Lösung etwa nicht zwischen Personen unterscheiden, die sich im Wasser bewegungslos sonnen, oder Schwimmern, die Hilfe benötigen. Falsche Warnungen seien die Folge. In solchen Fällen könnten die Bademeister über ihre Uhren ein Feedback geben und die KI so trainieren.

"Das System lernt mit jeder Aktion dazu und soll dadurch im Verlauf des Projekts immer konkretere Vorhersagen und Klassifikationen treffen", heißt es bei den SWM optimistisch. So solle die KI die Rettungsschwimmer bald auch in Situationen unterstützen können, "in denen Spiegelungen, Blasen oder Schatten im Wasser oder auch die Menge an Personen die Lage unübersichtlich machen".

Trotz der Anfangsschwächen sei die Aufsicht im Südbad begeistert, zitiert die "SZ" einen SWM-Mitarbeiter. Besonders an vollen Tagen helfe das System schon jetzt sehr, auch wenn es noch keinen richtigen Notfall gegeben habe. Die Besucher hätten die bisher kaum bemerkt. Die von anderer Seite bereits erhobenen Datenschutzbedenken habe noch keiner geäußert.

Das Wiesbadener Frei- und Hallenbad Kleinfeldchen fühlt dem per WLAN vernetzten System schon seit einigen Monaten auf den Zahn. Dortige Betriebsleiter loben es als "drittes Auge", das alle Ecken immer im Blick habe und wertvolle Unterstützung am Beckenrand liefere.

Lynxight rechnet vor: "Die typischen medizinischen Kosten für ein Opfer eines Beinahe-Ertrinkens reichen von 75.000 US-Dollar für die Erstbehandlung bis zu 180.000 US-Dollar pro Jahr für die Langzeitpflege. Die Gesamtkosten bei einer Hirnverletzung in so einem Fall könnten mehr als 4,5 Millionen US-Dollar betragen." Die Überwachung eines Beckens mit der Lösung schlage im Monat dagegen nur mit 800 US-Dollar zu Buche. 85 Prozent der erfassten tödlichen Schwimmunfälle ereigneten sich laut der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) 2021 aber nicht in öffentlichen Schwimmbädern, sondern in Binnengewässern wie Seen und Flüssen.

(tiw)