Vernetzte Thermostate in Hitzewelle ferngesteuert, Amerikaner brüskiert

Freiwillige Teilnehmer eines Programms zur Entlastung des Stromnetzes sind sauer, dass sie bei der Entlastung des Stromnetzes helfen. What is an Emergency?

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Farbverändertes Bild eines leuchtenden Heizungsthermostaten, montiert an einer Innenraumwand

Das Symbolbild zeigt einen Thermostaten, der programmierbar sowie vernetzt war, bis der Hersteller zugesperrt und die notwendigen Server offline genommen hat.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

Aufregung in Colorado: 22.000 Haushalte konnten am Dienstag ihre vernetzten Thermostate für eine Stunde nicht verstellen. Ihr Stromversorger Xcel hatte aus der Ferne die Kontrolle übernommen, um einen Zusammenbruch des Stromnetzes zu vermeiden. Ein Kraftwerk war ausgefallen, und die aktuelle Hitzewelle bedingte hohen Stromverbrauch für Klimaanlagen. Diesen einzubremsen, war Gebot der Stunde.

Der Fernsehsender Denver7 verbreitet die Beschwerde eines Betroffenen, der in der Wohnung seiner Freundin den Thermostat kälter stellen wollte, aber nicht konnte, weil der wegen des Energienotfalls gesperrt war. Die Einstellung verharrte bei 26 Grad. Die Freundin des Beschwerdeführers beteiligt sich freiwillig an einem Programm, das genau dazu gedacht ist, in Energie-Notsituationen ("energy emergency") den Strombedarf durch Fernsteuerung ihres Thermostats zu reduzieren. Teilnehmer erhalten eine Einstiegsprämie von 100 US-Dollar, sowie einen jährlichen Bonus von 25 Dollar.

Im Gegenzug erhält der Stromversorger das Recht, in Spitzenlastzeiten in die Thermostateinstellungen einzugreifen. Das Programm läuft seit sechs Jahren. In aller Regel können die Teilnehmer die Vorgaben gleich wieder verändern. Doch in besonderen Situationen darf der Stromversorger das unterbinden. Am Dienstag wurde das zum ersten Mal seit Aufnahme des Programms vor sechs Jahren notwendig, für eine Stunde.

Dutzende Teilnehmer kritisierten den Eingriff in Sozialen Netzwerken. Der Mann, der auf Denver7 seinen Unmut verbreiten durfte, will in einem drohenden Stromausfall keinen Energienotfall erkennen: "Für mich ist ein Notfall etwas wo es um Leben, körperliche Gesundheit oder eine andere Gefahr, wie massive Waldbrände, geht", zitiert der TV-Sender den Mann, "Auch wenn es nur alle Jubeljahre passiert, stößt uns das sauer auf, dass wir den Thermostat in unserem Haus nicht einstellen können."

In Deutschland stellt sich das Problem zu hoher Stromlasten eher im kommenden Winter als im Sommer. Wirtschaftsminister Robert Habeck erwartet kein russisches Gas mehr aus der Pipeline Nord Stream 1. Zur Milderung der Gaskrise empfiehlt Habeck, zwei der drei noch aktiven Atomkraftwerke Deutschlands über die für Jahresende vorgesehene Abschaltung ("Atomausstieg") in Betrieb zu lassen. Sie sollen bis April 2023 bereitgehalten werden, um nötigenfalls das Netz zu stabilisieren.

Ob programmierbare Thermostate den Energieverbrauch fürs Heizen senken können, ist umstritten. Die EU glaubt daran, und möchte noch in diesem Jahr 1,5 Millionen smarte Thermostate eingebaut wissen, um die Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren. c’t-Redakteur Sven Hansen findet diesen Vorschlag nicht nur unsinnig, sondern absolut kontraproduktiv. Energiemangel lässt sich nicht mit digitalen Thermostaten bekämpfen, meint Hansen.

Warum smarte Heizungen hierzulande wenig gefragt sind, hat letztes Jahr eine repräsentative Umfrage des Marktforschungsinstituts Forsa im Auftrag des TÜV-Verbands aufgezeigt: Es sind vor allem Bedenken hinsichtlich der IT-Sicherheit der vernetzten Geräte. Schon vor Jahren haben Hacker gezeigt, wie sie Kontrolle über einen vernetzten Thermostat erlangen können. In großem Maßstab angelegt, könnten Kriminelle damit nicht bloß Eigenheimbesitzer abzocken, sondern ein ganzes Stromnetz erpressen.

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Eine wissenschaftliche Untersuchung hat dieses Jahr einen weiteren Pferdefuß offengelegt: Programmierte Thermostate werden zur schweren Last für das Stromnetz. Denn auch wenn die Werbung es verheißt, sind sie sind alles andere als smart. Die Programmierung führt dazu, dass sehr viele Heizungen morgens gleichzeitig anspringen. Je mehr Heizungen aus Umwelterwägungen elektrifiziert und mit programmierbaren Thermostaten bestückt werden, umso größer die morgendliche Spitzenlast im Stromnetz.

Mit steigender Verbreitung programmierbarer Thermostate an E-Heizungen respektive Klimaanlagen steigt also der Druck auf die Stromerzeuger und Netzbetreiber, etwas gegen teure und manchmal gefährliche Spitzenlasten zu unternehmen: Die Versorger werden immer öfter fernsteuern wollen und vielleicht sogar müssen. Denn dass sich dergestalt vernetzte Thermostate zur kurzfristigen Senkung von Spitzenlasten eignen, ist unumstritten. Deswegen zahlt Xcel den freiwilligen Programmteilnehmern in Colorado die Prämien.

(ds)