Die Offshore-Windkraft – ein Baustein zur Energieunabhängigkeit

Mit der Energiekrise wird unsere Energieerzeugung genauer unter die Lupe genommen, auch die Offshore-Windkraft. Was passiert eigentlich in der Deutschen Bucht?

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(Bild: heise online/Johannes Börnsen)

Lesezeit: 30 Min.
Inhaltsverzeichnis

(This article is also available in English)

In Deutschland und Europa geht angesichts fortwährender Diskussionen um Energie-Engpässe infolge des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine die Sorge vor einem Blackout um. Die Energiewende in Deutschland gilt, je nach Betrachtungsweise, als verzögert oder auch gescheitert. Vielerorts werden Schreckensszenarien skizziert.

Wir haben beschlossen, nach vorne zu blicken und uns genauer anzusehen, was als einer der großen Faktoren für das Gelingen der Energiewende gilt: die Offshore-Windkraft. Um einen genaueren Einblick zu erhalten, was tatsächlich Offshore passiert, installiert und gepflegt wird, haben wir die WindMW GmbH besucht, die sowohl auf Helgoland, als auch in Bremerhaven und Zossen tätig ist.

Diese Artikelserie umfasst mehrere Teile, die wir von Dienstag bis Freitag dieser Woche veröffentlichen.

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Strahlender Sonnenschein, bunte Buden und diese leicht salzig schmeckende Luft, die die Nordsee umgibt. Die Wimpel, die die Fußgängerzone bunter machen sollen, wehen beständig im Wind. Die sogenannte Hochseeinsel Helgoland zeigt sich meinem Foto- und Videokollegen Johannes Börnsen und mir zur Begrüßung von ihrer besten Seite. Helgoland soll allerdings nicht nur Touristen erfreuen, Helgoland soll auch einen wichtigen Beitrag leisten, die Energieunabhängigkeit Deutschlands durch die Windenergie zu sichern.

Um einen genaueren Einblick zu erhalten, was tatsächlich Offshore passiert, besuchten wir die Firma WindMW. Zur WindMW gehört der Windpark Meerwind Süd | Ost. Der Park ist einer der ersten deutschen projektfinanzierten Offshore-Windparks, der komplett durch private Investoren finanziert und zugleich auch einer der ersten "Hochsee"-Windparks, die nach einigen Near-Shore-Anlagen genehmigt und gebaut wurden.

Die Offshore-Windkraft zeigt sich im Vergleich zur Onshore-Windkraft in Deutschland als wesentlich jüngere Industrie, auch wenn sich einige Firmen schon um die Jahrtausendwende zunehmend auf den Offshore-Ausbau und -Betrieb konzentrierten.

Onshore ist man mittlerweile schon mit dem Repowering von alten Anlagen beschäftigt, die etwa eine Lebensdauer von 20 bis 30 Jahren haben. Für Offshore-Repowering sind die Anlagen aber in der Regel noch zu jung. Die ersten Near-Shore-Anlagen wurden ab 2004 realisiert. Zwischen verschiedenen Projekten lagen teils mehrere Jahre. Laut einer Informationsseite der Offshore-Windindustrie folgte der erste "Hochsee"-Park 2010 mit dem Offshore-Testfeld alpha-ventus. Erst seit dieser Zeit kam der Aufbau der Offshore-Windkraft – auch mit größeren Leistungen – in der deutschen Bucht langsam in Fahrt.

Die Offshore-Windkraft soll möglichst effizient Strom aus einer Quelle holen, die nicht versiegt, und deren Gewinnung vergleichsweise kaum Emissionen mit sich bringt – also vergleichsweise mit konventionellen Kraftwerken, die ebenso errichtet, gewartet und repariert werden, für deren Betrieb aber auch stetig Rohstoffe abgebaut oder erschlossen, transportiert und dann in der Regel verbrannt werden. Die Emissionslast ist hier also dauerhaft höher.

Laut einer Berechnung der Firma WindMW von 2014 zu ihrem Windpark Meerwind Süd | Ost "können durch den Betrieb des Windparks jedes Jahr eine Million Tonnen CO₂ gegenüber einer vergleichbaren Menge durch Kohlekraftwerke erzeugten Stroms eingespart werden."

Dass die Offshore-Windkraft von der Bundesregierung als Lösung der aktuellen Energieprobleme, aber auch zur Dämpfung des menschengemachten Klimawandels gesehen wird, wird auch durch die neuen Ausbauziele der Ampelregierung deutlich.

Diese Karte der Deutschen Bucht wurde während unseres Aufenthalts sehr gelobt. Sie zeigt recht akkurat den bisherigen Ausbau der Offshore-Windkraft und auch welche Flächen schon in der Planung sind.

(Bild: Maximilian Dörrbecker, Wikipedia)

Während unter der Vorgängerregierung der Offshore-Ausbau im Jahr 2020 letztlich zum Erliegen kam – es wurden bei der Bundesnetzagentur gar keine Projektflächen mehr ausgeschrieben –, will die neue Bundesregierung bis zum Jahr 2030 mindestens 30 Gigawatt installierte Leistung mit der Offshore-Windkraft realisieren. Bis 2035 soll die Leistung dann in großen Schritten auf 40 Gigawatt anwachsen, für 2045 sollen es mindestens 70 Gigawatt sein. Dies möchte die Ampel insbesondere durch schlankere Planungs- und Genehmigungsverfahren schaffen.

Zum Vergleich: Stand August 2022 sind die bisher vorhandenen Parks mit einer Leistung von rund 7660 Megawatt im Betrieb, also knapp 7,7 Gigawatt. Laut einer Berechnung des Offshore Beratungs- und Service-Unternehmens "Deutsche Windguard" von Ende 2021 sollen bis zum Jahr 2030 bereits weitere rund 13 Gigawatt in Planung beziehungsweise Ausschreibungen für einen Großteil dieser Leistung terminiert sein – wodurch sich eine Ausbaulücke für die Ziele bis 2030 ergibt. (Genauer: für 2,2 GW gibt es bereits eine Investitionsentscheidung, für 1,9 gibt es eine Netzanbindungszusage. Im Flächenentwicklungsplan 2020 des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) sind weitere Ausschreibungen über 8,7 GW terminiert).

Schaut man auf die Onshore-Windkraft, sollen sich die Werte laut dem Osterpaket der Bundesregierung auf 115 Gigawatt installierte Leistung bis 2030 steigern – das vormalige EEG, das noch die vorherige Bundesregierung gestaltete, sah hier nur einen Zielwert von 71 Gigawatt vor. (Die Ausbauziele für Offshore wurden im Osterpaket nicht verändert.)

(Bild: heise online/Johannes Börnsen)

Windguard rechnet, dass bis zum Jahr 2030 eigentlich noch 9,4 Gigawatt zusätzlich ausgeschrieben werden müssen. Fraglich ist also, wie das zukünftig gelingen mag. Wer soll investieren? Welche Flächen werden noch freigegeben – und unter welchen Voraussetzungen?

Die Novellierung des Windenergie-auf-See-Gesetzes (WindSeeG) unter der Ampel-Regierung sieht nun unter anderem ein Bieterverfahren für Flächen vor – in seiner Art den Versteigerungen von Mobilfunklizenzen ähnelnd. Die "Stiftung Offshore Windenergie" goutiert das neue Verfahren nicht. Sie erklärt: "Projektierer müssen künftig – ähnlich wie bei den Versteigerungen der Mobilfunklizenzen – erst Geld auf den Tisch legen, um überhaupt ein Offshore-Windenergieprojekt zu bauen. Statt einem Zuschlag nach den niedrigsten Kosten erhält der Bieter den Zuschlag, der den höchsten Preis für die Nutzungsrechte der Fläche bezahlt."

Zum einen könne durch diese Bieterverfahren aus Sicht der Stiftung der Industriestrompreis steigen, zum anderen sei die Wertschöpfungskette Windkraft durch den zuvor ausgebremsten Ausbau geschwächt. Zulieferer und Hersteller mussten aufgrund der politischen Entscheidungen der vergangenen Jahre zum Teil dicht machen oder sich verkleinern.

Es ist also nicht alles rosig für die Windkraftbranche, auch wenn man wegen gesteigerter Ausbauziele volle Auftragsbücher vermuten würde. Die Branche wurde ausgehungert und muss sich jetzt wieder berappeln. Ein schneller Ausbau wird also auch nur dann klappen, wenn die betreffenden Firmen überhaupt da sind, sich Investitionen lohnen und auch die Lieferketten nicht zusammenbrechen.

Zu diesem Thema haben wir Stefan Wenzel (Grüne), neuer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) befragt. Mit Subventionen wolle man hier (noch) nicht direkt eingreifen, schaffe aber durch die schon mit dem Koalitionsvertrag erhöhten Ausbauziele mehr Sicherheit für die Branche, erklärte er.

Um der Branche einen Teil ihrer Arbeit zu erleichtern, will das BMWK auch die Flächenausweisung beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) beschleunigen und andere Verfahren verschlanken. Ob das BSH seine bisherige Vorgehensweise ändert, muss allerdings in der Koalition geklärt werden. Denn das BSH liegt im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) unter Führung von Volker Wissing (FDP). Das Bundeswirtschaftsministerium hat hier zumindest formal eine Zusammenarbeit eingefordert.

Erst wenn das BSH Flächenprüfungen gemacht hat, kann die Bundesnetzagentur überhaupt Flächen für Windkraft-Parks ausschreiben. Wie das BSH das macht, wird in einem Datenportal für die Öffentlichkeit möglichst transparent dargestellt.

Zum ausführlichen Interview mit Stefan Wenzel geht es hier entlang: "Es braucht oft lange Vorlaufzeiten und das ist eine gewaltige Herausforderung"

Blickt man über die Deutsche Bucht hinaus, wird auch klar, dass nicht ohne die Anrainer-Staaten geplant werden kann. Deutsche Interessen in der Nordsee müssen auch immer mit den umliegenden Ländern geklärt werden – Ökosysteme interessieren Landesgrenzen nicht, Schiffsverkehr soll für Im- und Export oder Touristik sowieso über Landesgrenzen möglich sein.

Die Kooperation der Anrainer-Staaten kann bisher als progressiv und Team-orientiert angesehen werden. Zuletzt legten die Nordsee-Anrainer-Staaten Mitte September in Dublin fest, was sie übergreifend in der Nordsee in Sachen Offshore schaffen wollen. Stefan Wenzel war dort als ein Vertreter Deutschlands ebenfalls zugegen.

In einer gemeinsamen Erklärung der Energieministerinnen und Energieminister mit der Europäischen Energiekommissarin wurden Ausbauziele für die Nordsee-Region von 76 Gigawatt bis 2030, 193 Gigawatt bis 2040 und 260 Gigawatt bis 2050 vereinbart. Dieses Ausbauziel entspreche zu mehr als 85 Prozent dem EU-weit erforderlichen Offshore-Ausbau bis 2050, um das EU-Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, heißt es.

Die Energieministerinnen und -minister einigten sich zudem darauf, dass künftig verstärkt hybride Offshore-Projekte angeschoben werden sollten. Parks würden damit an mehrere Länder angebunden, Stromflüsse könnten anders verteilt werden – es wird "volatiler", wenn man das so sagen mag.

"Zusammen mit einer besseren Koordinierung von Flächen- und Netzplanung soll so künftig ein eng verbundenes Offshore-Netz entstehen", erklären die Ministerinnen und Minister. Die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren auf EU- und nationaler Ebene habe man auch beschlossen.

Mehr zu den hybriden Anbindungen und geplanten Energie-Inseln in Nord- und Ostsee lesen Sie hier: Offshore-Windkraft: Inseln sollen als Energie-Verteilstationen dienen