Interview zur Offshore-Windkraft: "Das ist eine gewaltige Herausforderung"

Die Offshore-Windkraft soll in den kommenden Jahren massiv ausgebaut werden. Wie das klappen kann, erklärt Staatssekretär Stefan Wenzel aus dem BMWK.

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(Bild: heise online/Johannes Börnsen)

Lesezeit: 23 Min.
Inhaltsverzeichnis

(This article is also available in english)

Dieses Interview ist Teil einer Artikelserie zum deutschen Ausbau der Offshore-Windkraft. Die Serie umfasst mehrere Teile, die wir von Dienstag bis Freitag dieser Woche veröffentlichen w. Hier geht es zum ersten Teil: Wege zur Energieunabhängigkeit – die Offshore-Windkraft


Am 14. September konnte heise online mit Stefan Wenzel aus dem Bundeswirtschaftsministerium über die Lage der Offshore-Windkraft in Deutschand sprechen.

Herr Wenzel, Sie sind Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und für Energie- und Klimapolitik mit zuständig. Sie sind gerade in Dublin gewesen, um mit Anrainerstaaten darüber zu sprechen, wie die Offshore-Windkraft ausgebaut werden kann. Was wurde da genau diskutiert?

Ja, ich habe in Dublin Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vertreten. Dort haben sich die Nordsee-Anrainer getroffen, die "North Seas Energie Cooperation". In dieser sind neben den direkten Anrainern auch Irland, Frankreich und Schweden vertreten.

In Dublin ist intensiv darüber beraten worden, wie man gemeinsam die Offshore-Windkraft ausbauen kann und welche Schritte notwendig sind, um hier eine gute Vernetzung zu erreichen, also den Stromtransport auch zwischen den Anrainerstaaten zu verstärken und damit einen starken Beitrag zur Energieversorgung zu leisten.

Die Ampel-Regierung hat neue Offshore-Ausbauziele ausgegeben. Sie wurden gesteigert auf 30 Gigawatt bis 2030, 40 Gigawatt bis 2035 und mindestens 70 Gigawatt im Jahr 2045. Das soll dann alles über die Offshore-Windkraft in Deutschland erschlossen werden. Wir sind gerade bei 7,8 Gigawatt. Wie soll beispielsweise der erste Sprung zu 30 Gigawatt bis 2030 geschafft werden?

Offshore-Windkraft ist noch eine relativ neue Technologie. Deutschland ist beim Ausbau weit vorn, Großbritannien ist noch ein bisschen weiter, was die Menge angeht. In Deutschland ist es aber bedauerlicherweise in den letzten Jahren wieder zu einem Einbruch gekommen. Im letzten und in diesem Jahr wird fast kein Projekt realisiert. Das hängt damit zusammen, dass die Ausschreibungen sehr lückenhaft waren und es jetzt fast wieder einen Fadenriss gegeben hat.

Deswegen ist es das große Interesse aller Anrainerstaaten, hier eine kontinuierliche Entwicklung einzuleiten, die es ermöglicht, auch die ganzen Rahmenbedingungen, die notwendig sind, um so eine Technologie zu realisieren, voranzutreiben.

Wir haben in Dublin auch mit verschiedensten Branchenvertretern gesprochen – über Kapazitäten, Planungszeiten, über Vorlaufzeiten, über Lieferketten, über die Frage, wie man in Europa auch die Produktionskapazitäten stärkt. Es braucht oft lange Vorlaufzeiten und das ist eine gewaltige Herausforderung – gerade für kleinere Staaten.

Wichtig ist hier die Zusammenarbeit mit den Nachbarn zu suchen. Geplant ist deshalb eine hybride Anbindung. Jeder Windpark würde dann zwei Anbindungen haben. Das heißt beispielsweise, dass es von einem Park auf Bornholm eine Zuleitung nach Dänemark gibt und eine nach Deutschland. Dadurch entsteht ein Netz , was es erlaubt, Windstrom in unterschiedlichen Regionen Nordeuropas besser zu nutzen und die Versorgungssicherheit mit erneuerbaren Strom zu stärken.

Stefan Wenzel, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz

(Bild: Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Kaminski)

Viele Zulieferer der Windkraftbranche sind in den letzten Jahren pleite gegangen. Wollen sie auch mit Subventionen arbeiten, um diese Industrie wieder aufzubauen?

Erst mal soll es Orientierung geben, was in den nächsten zehn, zwanzig und dreißig Jahren geplant ist. Die Mitglieder der North Seas Energy Cooperation, wozu auch die Europäische Kommission als Co-Chair gehört, planen insgesamt 260 Gigawatt Offshore-Wind. Dazu gehört auch die westliche Küste von Frankreich. Und da ergibt sich ein Problem, das man als Henne-Ei-Problem benennen könnte.

Welche Firma baut Seekabel, wenn sie nicht weiß, ob sie in drei oder in vier Jahren auch einen Kunden hat, der das Kabel braucht. Insofern ist die erste Intention, hier mehr Verlässlichkeit und Transparenz herzustellen, den Akteuren am Markt zu verdeutlichen was die öffentliche Hand plant und in welchem Rhythmus es Ausschreibungen geben wird. Zu welchen Bedingungen diese Ausschreibungen erfolgen ist auch wichtig. Und es kann sicher auch Schritte geben, die direkt darauf abzielen, die Energie-Souveränität Europas insgesamt zu stärken und dafür zu sorgen, dass wichtige Zulieferer sich auch ansiedeln oder in Europa gehalten werden können.

Mehr zu den hybriden Anbindungen und geplanten Energie-Inseln in Nord- und Ostsee lesen Sie hier: Offshore-Windkraft: Inseln sollen als Energie-Verteilstationen dienen

Sie wollen für mehr Planungssicherheit sorgen. In Sachen Genehmigungsverfahren setzt das Wirtschaftsministerium nun auf ein Verschlanken der Prozesse, unter anderem auch beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), das dafür zuständig ist, Flächen zu prüfen und zu schauen, ob diese überhaupt ausgewiesen werden können. Das BSH ist aber gar nicht direkt dem Bundeswirtschaftsministerium zugeordnet, sondern ist ein Geschäftsbereich des Ministeriums für Verkehr und Digitales. Wie wollen Sie diese Prozesse tatsächlich verschlanken, wenn das gar nicht in Ihrem Geschäftsbereich liegt?

Die Bundesregierung arbeitet bei solch zentralen Fragen in aller Regel sehr kooperativ. Auch die Häuser unterstützen sich da gegenseitig. Wir brauchen beispielsweise auch eine leistungsfähige Hafen-Infrastruktur. Wir brauchen Kaimauern, die enorme Gewichte aushalten können. Oder was sich zum Beispiel auch herausgestellt hat: Es ist es gar nicht so einfach, die Versorger-Schiffe und die Errichter-Schiffe zu bekommen. Es gibt nur ganz wenige Werften, die sich bislang auf diesen Bereich spezialisiert haben und auch die brauchen Vorlauf. Wenn heute dort eine Bestellung eingeht, dann dauert es drei, vier Jahre, bis am Ende das Schiff am Einsatzort ist und die Mannschaft ausgebildet ist. Deswegen gehören ganz viele unterschiedliche Akteure dazu und deshalb wollen wir auch mit dem Verkehrsministerium hier gut kooperieren.

Also meinen Sie, dass es gar nicht so schlimm ist, dass die Prozesse und Genehmigungsprozess bei uns so lange dauern, weil die Produzenten ohnehin Probleme haben?

Nein, das nicht. Wir wollen die ganzen Genehmigungsprozess soweit irgend möglich beschleunigen. Das ist ein wichtiger Punkt, sowohl an Land als auch auf See. Der Bundestag hat ja kurz vor den Sommerferien das "Wind an Land Gesetz“ und das "Wind auf See“ novelliert. Es wurde auch das Naturschutzgesetz angepackt, um verlässlicher die Anforderungen im Bereich des Naturschutzes beachten zu können.

Über die Ausschreibungskriterien wird noch diskutiert, um hier bestmögliche und schnellstmögliche Erfolge zu erzielen. Das ist aber noch im FlussUnd in Dublin gab es wirklich eine hohe Dynamik, einen großen Willen, auch hier grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten. Das hat mich sehr gefreut.

Mit der Novellierung wurde auch die Art der Flächenausschreibung bei der Bundesnetzagentur verändert. Es gibt jetzt ein Auktionssystem, wie man es von den Mobilfunklizenzen kennt. Es wird jetzt der höchste Preis für die Nutzungsrechte der Fläche entscheidend sein. Die "Stiftung Offshore Windenergie“ hat das hart kritisiert: So geht das nicht, das müssen Sie anpassen oder streichen, weil sonst werden alle vertrieben, die eigentlich was bauen wollen.

Neben der monetären Komponente soll es auch qualitative Kriterien geben, die über eine Vergabe entscheiden. Also zum Beispiel: Ist das in der Nähe hergestellt? Ist das recycelfähig? Auch Stahlqualitäten könnten mitberücksichtigt werden. In der Tat gibt es Vorbehalte gegen die finanzielle Komponente. Nach der ersten Ausschreibung wird man die Erfahrungen auswerten. Wir wollen natürlich sichergehen, dass dann auch investiert wird.

Wieso ist man überhaupt von der alten Regelung weggegangen?

Das müsste ich prüfen.

Aber wie sehr beschränkt man nun auch nach der Novellierung den Naturschutz? Momentan schaut man bei den Voruntersuchungen welche Flora und Fauna es gibt, wann Brutzeiten sind, wo Fressgründe liegen. Das wird normalerweise über längere Zeiträume geprüft, oft über zwei Jahre, um genau herauszufinden, wo sich Tiere aufhalten und was sie dort tun. Kann man bei diesen Untersuchungen also überhaupt Streichungen vornehmen? Lässt sich schnell sagen: "So wichtig ist dieser Teil der Nordsee nicht für die Ökologie des ganzen Meeres"?

Nein, das wird sehr ernst genommen werden. In der Nordsee sieht man sehr unterschiedliche Nutzungen. Wir haben Flächen, wo Rohstoffabbau ist, wir haben Flächen, die militärisch genutzt werden. Wir haben Flächen, die von der Schifffahrt genutzt werden. Und wir haben eben auch Flächen, die dem Naturschutz vorbehalten sind und die nicht für Windkraft genutzt werden. Und in dem Zusammenhang gab es im Bundestag eine Diskussion über den Flächenbedarf, weil die Umweltverbände gesagt haben: Wenn mehr als 58 Gigawatt errichtet werden , dann gäbe es einen ernsten Konflikt mit dem Naturschutz.

In der Nordsee gibt es allerdings auch sehr viele Verkehrsflächen, die man möglicherweise neu konzipieren kann. Wenn man sich die Landkarte anguckt, stellt man fest, dass da durchaus Optimierungen möglich wären. Auch beim Rohstoffabbau sollte man nach den vielen Jahren jetzt mal diskutieren: Was braucht man davon noch? Wer nutzt das? Diese Fragen müssen bei der Raumordnung also auf jeden Fall gestellt werden. Das steht auch im Interesse aller Nordsee-Anrainerstaaten an.

Blickt man zum Beispiel auch auf die Umwelteinflüsse während der Bauzeit von Parks, kann man auch Alternativen und neue technische Optionen prüfen. Beispielsweise zur Geräuschreduktion bei Rammarbeiten.

Aber es gibt natürlich auch wichtige Punkte, wo sich diese beiden Fragen – Ausbau und Umweltschutz – gegenseitig unterstützen. Wenn wir zum Beispiel sehen, wie sich die Versauerung der Meere in den letzten Jahren beschleunigt hat, dann stellen wir fest, dass diese Versauerung nur dadurch reduziert werden kann, dass wir auf Erneuerbare Energien umsteigen. Der Umstieg dient also auch unmittelbar dem Meeresschutz, denn die Versauerung beeinträchtigt alle Lebewesen, insbesondere auch die, die Schalen- bzw. Kalkskelette haben.

John Kerry, der Klimaschutz-Beauftragte der USA, hat kürzlich darauf hingewiesen, dass es schon Anzeichen gibt, dass die Menge der Sauerstoff produzierenden Organismen im Meer abnimmt. Und das kann zum Beispiel mit Veränderungen der Temperatur oder dem ph-Wert als Mass der Versauerung zusammenhängen. Wir müssen Klimaschutz unter Hochdruck weiter vorantreiben. Die Meere spielen dabei eine ganz zentrale Rolle.

Insofern stehen wir hier vor der Herausforderung Klimaschutz zu gewährleisten, da der Klimawandel massive Auswirkungen auf unsere Biosphäre und insbesondere unsere Meere hat. Wir müssen aber bei allen Baumaßnahmen immer wieder die Biodiversität vor Ort im Blick haben. Dazu gab es auch eine eigene Arbeitsgruppe in Dublin.

Was ist denn für die Deutsche Bucht vorgesehen? Wurde zum Beispiel auch über schwimmende Windparks gesprochen? Die würden die Arbeiten im Meer ja reduzieren. Norwegen will solche Parks nutzen.

Norwegen plant auf jeden Fall Pilotprojekte mit "Floating Offshore“ – also schwimmenden Windkraftanlagen. Auch Frankreich geht in diese Richtung. Alle Länder, die Küsten haben, wo die Wassertiefe sehr hoch ist, sehen das für sich als eine Option.

Siemens Gamesa hat ein Werk in Cuxhaven an der deutschen Nordseeküste, und das ist das Leitwerk auch für Floating Offshore. Das wird also weltweit zunehmend eine Rolle spielen. In diesem Bereich wird aber auch noch viel Forschung und Entwicklung von Bedeutung sein.Ich bin der Auffassung, dass Floating Offshore zukünftig eine ganz wichtige Rolle spielen kann.

Wie sieht es bezüglich der Ostsee aus? In der Ostsee wird Offshore gar nicht so stark ausgebaut, zumindest nicht im deutschen Teil. Sollte man da überhaupt noch weiter ausbauen, weil gerade die Ostsee große ökologische Probleme hat?

In der Ostsee gibt es ein gemeinsames Projekt mit Dänemark. Und zwar ist geplant Bornholm als Energie-Insel zu nutzen und einen hybriden Anschluss zu schaffen, also eine Verbindungs-Leitung nach Deutschland, Mecklenburg-Vorpommern zu bauen und eine weitere nach Dänemark. Grundsätzlich bin ich der Auffassung, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien – auch der Offshore-Windkraft – am Ende auch dem Meeresschutz hilft.

Kennen Sie Forschungsergebnisse, die sagen: In einem Windpark ist auch Naturschutz möglich beziehungsweise dort entstehen auch neue Ökosysteme?

Ja, auch die Diskussion gibt es. Das muss man weiter beobachten, weil in so einem Windpark etwa die Fischerei eingeschränkt ist oder gar nicht mehr stattfindet. Die Fischerei kann ja durch Überfischung auch massive Auswirkungen auf die Flora und Fauna im Meer haben. In Windparks entstehen deshalb möglicherweise auch Ruhezonen.

Für die Schifffahrt gilt im Übrigen, dass hier Schäden begrenzt werden müssen. Auch hier sind die Klimaziele einzuhalten. Bislang wird auf den Meeren praktisch der gesamte Abfall aus den Raffinerien dieser Welt verbrannt. Da geht praktisch der ganze Abfall aus den Raffinerien in die schweren Schiffsmotoren. Die Grenzwerte sind dort ganz anders definiert als an Land. Jetzt gibt es einige Schiffe, die arbeiten mit sogenannten Scrubbern, also so Rauch-Wasch-Einrichtungen. Die Waschreste werden dann allerdings häufig ins Meer gespült.

Der Großteil dieser Schadstoffe landet also doch im Meer und auch das muss sich in Zukunft ändern. Deswegen diskutiert die Schifffahrt gerade auch, wie sie künftig sicherstellt, dass sie nachhaltige Antriebe hat, ob das Richtung Wasserstoff-Derivate geht oder Einsparungen durch Slow Steaming, Digitalisierung oder auch Windkraft-Unterstützung ist noch offen. Aber da wird vieles kommen, was heute schon technisch möglich ist.

Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass Sie auch über Repowering mehr Leistung auf See bringen und dadurch vielleicht die Flächennutzung begrenzen? Es gibt ja Parks, die ungefähr seit 2015 Strom liefern, ungefähr 2012 gebaut wurden. Es gibt mittlerweile viel leistungsfähigere Anlagen wie etwa von Siemens mit 14 Megawatt oder von Vestas mit 15 Megawatt. Würden Sie jetzt schon Genehmigungsverfahren anstreben, damit auf den bereits genutzten Flächen später auch repowert werden kann?

Die Anlagen sind ja in der Regel auf 20 bis 30 Jahre Lebensdauer ausgelegt. Repowering ist im Moment an Land ein ganz zentrales Thema, auf See momentan weniger. Langfristig wird man das sicher auch machen. Im Moment ist eher die Recycling-Fähigkeit ein Thema.