Bits & Bäume: Klimaschutz kommt in der Digitalstrategie zu kurz

Nicht nachhaltig genug, unambitioniert, zu sehr auf die Industrie gehört: Vertreter der Zivilgesellschaft kritisieren die neue Digitalstrategie der Regierung.

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Die jüngst beschlossene Digitalstrategie der Bundesregierung kam auf einem Panel zur klimaneutralen Netzpolitik auf der Konferenz Bits & Bäume in Berlin am Sonntag nicht gut weg. Das Rahmenprogramm wirke so, als ob einzelne Ministerien ihre Blöcke hineingeschrieben hätten, kritisierte Hendrik Zimmermann, Referent bei der zivilgesellschaftlichen Organisation Germanwatch, am Abschlusstag des dreitägigen Kongresses. So sei es nicht gelungen, Nachhaltigkeit in alle Bereiche zu bringen und zum roten Faden zu machen, obwohl sie eigentlich längst politischer Mainstream sein müsste.

Bei der Mobilität werde als erstes das autonome Fahren genannt, brachte Zimmermann ein Beispiel. "Dabei wissen wir genau, was das für ökologische Folgen hat." Für autonome Fahrzeuge müssten viele Daten erhoben werden; diese Art der Fortbewegung sei von vorne bis hinten nicht klimafreundlich. Auch beim Punkt Open Source heiße es in der Strategie nur, davon werde mehr gebraucht. Es fehle aber der von der Zivilgesellschaft seit Jahren propagierte Ansatz "Public Money, Public Code": Wo staatliches Geld hineinfließe, sollte der Quelltext am Ende offen sein, damit kleine Unternehmen, Bürger und Kommunen Software mitgestalten könnten.

Nur pauschal auf "Innovation" und technische Lösungen zu setzen, sei naiv, führte der Aktivist aus. Es sei längst klar, dass gezielte neue Lösungen etwa bei der Energiewende, Smart Grids und Energiegemeinschaften entscheidend seien, in denen Nachbarn etwa eine Solaranlage gemeinsam nutzen. "Wir wissen genau, wo wir reingehen müssen," hob der Regierungsbeobachter hervor. Da helfe es nichts, nach dem Motto der "Technologieneutralität" hier und da noch etwas auszuprobieren. Vielmehr sollte die Gesellschaft die Frage stellen, aus welchen Technologien "wir rausmüssen". Er nannte hier etwa Verbrennungsmotor und E-Fuels, also strombasierte, synthetisch hergestellte Kraftstoffe. Alle Stromfresser müssten auf die schwarze Liste.

Die Digitalstrategie bleibe zum Teil hinter dem Koalitionsvertrag zurück und wirke "eher unambitioniert", wunderte sich auch die Nachhaltigkeitsforscherin Friederike Rohde. Vertreter der Bundesregierung hätten sich im Vorfeld zwar "ganz oft mit Industrie getroffen", aber nicht mit der Zivilgesellschaft oder der sozial-ökologischen Transformationsforschung. So wirke es, als ob die Regierung den versprochenen stärkeren Beteiligungsprozess nicht ernst nehme und etwas durchpeitschen wolle. Außen vor blieben soziale Innovationen und Neustrukturierungen, ohne die die vielfach geforderte Konsumwende nicht möglich sei.

Anke Domscheit-Berg, Thomas Heilmann und Geraldine de Bastion (Moderation)

(Bild: Stefan Krempl)

Das sei alles nicht verwunderlich, da das Bundesministerium für Digitales und Verkehr die Federführung hatte, so die digitalpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Anke Domscheit-Berg. An dessen Spitze stehe mit Volker Wissing ein FDP-Politiker. So laute die Unterüberschrift der Strategie: "digitale Werte schöpfen", und nicht "Umwelt und Gemeinwohl". Es gehe vor allem darum, für die Wirtschaft das Beste rauszuholen.

Generell würden über Fördertöpfe der Bundesregierung aktuell Hunderte Millionen Euro ausgegeben, so die Politikerin. Davon seien aber nur neun Millionen für Nachhaltigkeit und Digitalisierung bestimmt, 50 Millionen dagegen für Blockchain und digitale Identitäten. Dies sei "einfach Kacke". Die Ampel sollte mit dem Geld "was Sinnvolles finanzieren". An die Zivilgesellschaft appellierte sie, "maximal Druck" zu machen: "Ladet euch selbst ein, schreibt an die Referate der Ministerien, erzwingt die Teilnahme." Die digitale Revolution klimagerecht hinzukriegen, gehe gar nicht ohne soziale Revolution. Nötig sei eine "radikale Umverteilung".

Bei der Digitalstrategie unterschreibe er alle Kritikpunkte, konstatierte Thomas Heilmann aus dem Vorstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Und selbst beim "Werteschöpfen" sei das Papier nicht gut. So bleibe es in der Verwaltung etwa bei "40 verschiedenen Fachverfahren, die alle nicht miteinander können". Das Ressortprinzip werde nicht durchbrochen, das Bund-Länder-Problem schon gar nicht gelöst. Angesichts solcher systematischen Fehler sei der öffentliche Sektor nicht in der Lage, "mit den Herausforderungen umzugehen". So faxten Gesundheitsämter weiter und ein Nachfolger für das 9-Euro-Ticket sei nicht in Sicht.

"Man kann uns auch in der Digitalpolitik Versäumnisse vorwerfen", räumte der CDU-Bundestagsabgeordnete und Ex-Senator in Berlin ein. Zumindest hätten die Konservativen aber eingesehen, es anders machen zu müssen. Zum Stichwort Antriebswende erklärte Heilmann, er würde derzeit nicht in E-Fuels investieren. Es gelte, die verfügbaren Fortbewegungsarten "verursachergerecht" zu bepreisen und dann zu sehen, "wo die Innovationen sind". 50 Prozent der Technologien für Klimaneutralität seien noch nicht marktreif. Mit einer reinen Verzichtspolitik ließen sich die Klimaprobleme nicht lösen.

Aspekte wie Nachhaltigkeit und Open Source spiegelten sich in der Strategie nicht hinreichend wider, gab Maik Außendorf zu, Sprecher für Digitalpolitik der Grünen im Bundestag. Die Koalitionsfraktionen hätten erst spät zum Start der Sommerpause einen Entwurf bekommen und dann zumindest noch Punkte wie ein Umweltdatenportal eingebracht. Insgesamt sei auch er mit dem Ergebnis nur "mäßig zufrieden". Die stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft hätten Vertreter der Ampel bei ihren wöchentlichen Treffen mit den Ministerien jedes Mal gefordert. Leider sei es so, dass Vertreter finanziell gut gepolsterter Konzerne "sehr aktiv an die Tür" klopften, während die Volksvertreter auf die Zivilgesellschaft selbst immer aktiv zugehen müssten.

Im Rahmen der Ressortbefassung erhielt die Digitalstrategie zumindest noch einen Abschnitt zur "digitalen Zivilgesellschaft". Demnach will die Regierung "Infrastrukturen, Förderprogramme, Initiativen, Projekte und Communities so vernetzen, dass daraus ein starkes Fundament für das Gemeinwohl wird". Die öffentliche Hand soll zudem mit Open Source digital souverän werden, wozu konkrete Schritte aber Mangelware sind. Weiter heißt es in dem Papier: "Auch beim Schutz unserer natürlichen Umwelt und der Bekämpfung des Klimawandels kann die Digitalisierung einen wesentlichen Beitrag leisten, wenn es uns zugleich gelingt, sie insgesamt nachhaltig zu gestalten."

Dafür müssten Hebel aber auch konsequent umgelegt werden, verdeutlichte Bernd Hirschl vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). Bislang springe die Waage zwischen Effizienz und Energieverbrauch durch Digitalisierung immer wieder bei letzterem nach unten, da etwa Künstliche Intelligenz "wahnsinnig aufwendige Rechenprozesse" erfordere. Im Energiebereich handle es sich bei sinnvollen Entwicklungen wie flexiblen Verbrauchern, dynamischen Tarife, virtuellen Kraftwerken, Batterie-Pooling und Smart Grids bislang um "unwirtschaftliche Nischen". Einschlägige Tests würden nach Auslaufen der Förderung wieder eingestampft. Wenn Smart Meter in Haushalten aber einen stärkeren volkswirtschaftlichen Nutzen hätten als einen betriebswirtschaftlichen für den Einzelnen, müsse der Staat einen hohen Anteil an den Kosten übernehmen.

Wer "neue grüne Technologien" als Wunderwaffe im Kampf gegen die Klimakrise bezeichne, sollte genauso behandelt werden wie ein Klimawandel-Leugner, verlangte Patsy Islam-Parsons von Fridays For Future. Es gebe in dem aktuellen Rennen gegen die Zeit Kipppunkte, die sich etwa durch technische Verfahren zum Einfangen und Abscheiden von CO2 nicht mehr rückgängig machen ließen. Das Wissen sei mittlerweile hinreichend verbreitet: "Wir müssen die Emissionen runterfahren und den Verbrauch fossiler Energieträger stoppen." Es fehle aber am politischen Willen, daraus die nötigen Schlussfolgerungen abzuleiten und "uns aus dem Sumpf zu ziehen".

(acb)