Missing Link: Das Ende der Preußischen Optischen Telegraphenlinie

Die optische Telegrafie diente Anfang des 19. Jahrhunderts dem Staat Preußen etwa gegen vermeintlich Aufständische. Die Technik lebte jedoch nur kurz.

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Telegrafenstation auf dem Schloss Koblenz (Ausschnitt aus einem Gemälde von A. Witthof)

(Bild: Mittelrhein-Museum Koblenz, Information: Stadtarchiv Koblenz, P. KLEBER 05/2011, Montage: AH 12/2014)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Vor 170 Jahren wurde das letzte Teilstück der Preußischen Optischen Telegraphenlinie zwischen Köln und Koblenz eingestellt. Sie war nur 16 Jahre lang in Betrieb, bis sie von der elektromagnetischen Telegrafie abgelöst wurde.

"Er zieht durch die Luft, wie das stumme Geheimniß eines Telegraphen, der hoch über unseren Häuptern seine Verkündigungen den Wissenden mittheilt, während die Uneingeweihten unten im lauten Marktgetümmel leben und Nichts davon merken, daß ihre wichtigsten Interessen, Krieg und Frieden unsichtbar über sie hin in den Lüften verhandelt werden. Sieht Einer von uns in die Höhe und ist er ein Zeichenkundiger, der die Zeichen auf den Thürmen versteht, und warnt er die Leute vor nahendem Unheil, so nennen sie ihn einen Träumer und lachen ihn aus."

Das schrieb Heinrich Heine in seinem vierten Theater-Brief über die älteren französischen optischen Telegraphen der Gebrüder Chappe, doch lässt sich die Beschreibung ohne weiteres auf die Preußische Optische Telegraphenlinie übertragen, die von 1832 bis 1850 zwischen Berlin und Koblenz existierte. 1833 wurde der Bau der Linie abgeschlossen. Bereits 1832 war die Strecke zwischen Berlin und Magdeburg fertiggestellt und die Ausbildung der Telegrafisten begann. Die vom Militärischen Nachrichtenkorps betriebene Linie für die "Übermachung" von Nachrichten übertrug militärische Befehle und Nachrichten von Volksaufständen. Sie war besonders wichtig für die Sicherung der preußischen Herrschaft in der Rheinprovinz, die Preußen nach dem Wiener Kongress 1815 zugesprochen bekam. Mit Beginn der Märzrevolutionen von 1848 versuchten die Aufständischen, die Kommunikation zwischen der Rheinprovinz und Berlin zu zerstören. Belegt ist der Sturm auf die Station 43 in Iserlohn und die Unterstützung solcher Aktionen durch Karl Marx und Friedrich Engels.

Ebenfalls belegt ist eine Depesche aus Berlin nach Köln, die die Polizei anweist, alle Briefsendungen abzufangen, die an die Adressen von (Mathilde) Anneke, (Andreas) Gottschalk, Marx und Engels geschickt werden. "Hier sind revolutionäre Verbindungen entdeckt worden, es kommt zunächst darauf an, alle Briefe an die Adressen Anecke, Moll, Gottschal, Engel und Marx in Cöln eingehen, anzuhalten und sie an die Adressaten bis auf weitere gerichtliche Bestimmung nicht auszuliefern, indem wahrscheinlich gestern 9 Uhr früh ein wichtiger Brief von hier an eine der obigen Adressen abgegangen ist." Wenn man so will, ist dies eine frühe Form der Chatkontrolle mit Richtervorbehalt.

Optischer Telegraf (6 Bilder)

Ein Telegraph-Nachbau von 2009 mit eingeklappten Indikatoren.

Der Preußische Optische Telegraph war ein Flügeltelegraph mit drei jeweils 1,74 m langen Flügelpaaren (Indikatoren genannt) in drei Ebenen, die jeweils 16 Stellungen kennen. Einschließlich der Nullstellung konnten 16×16×16=4096 Signale dargestellt werden. Ausgehend von Berlin wurden die mindestens 6,30 Meter über einer Stationsplattform stehenden 61 Signalmasten bevorzugt auf Türmen, Berghöhen, Schlössern oder eben Kirchen auf königlichen Befehl hin errichtet. Letzteres war gar nicht gern gesehen, denn der laufende Betrieb eines knarrenden und quietschenden Telegraphen störte die Andacht erheblich. Die Telegraphen waren von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang in Betrieb, lediglich im Sommer gab es im Rheinland eine Mittagspause von 11 bis 14 Uhr, wenn die Luft zu stark flimmerte. Pausen gab es natürlich auch bei schlechten Sichtverhältnissen. Dann hingen die Depeschen (frz. dépêcher = die Füße von Hindernissen befreien) fest. Weil dies im auf dem letzten bzw. ersten Teil der Strecke vom Telegrafenberg in Potsdam nach Berlin häufiger vorkam, wurde diese Strecke bereits ab 1846 "galvanisch" mit einer Oberleitung betrieben.

In jeder Station arbeiteten mindestens zwei Telegrafisten, die aus dem Militärdienst zum 180 Mann starken Nachrichten-Korps gingen. Ein Telegrafist beobachtete ständig mit einem Fernglas die Nachbarstation und diktierte die Chiffre, die der zweite Telegrafist in einem Journal dokumentierte, ehe er sie an der eigenen Station einstellte. Anschließend wurde die gegenüberliegende Station beobachtet, ob sie das Signal richtig erkannt hatte. Der mit dem Bau der Telegrafenlinie beauftragte Generalmajor Franz August O'Etzel hatte parallel zum Bau der Stationen zusammen mit Flaggen-Signalisten der preußischen Marine ein zweistufiges Codesystem entwickelt. Das erste System der "Telegraphisten-Correspondenz" bestand aus 50 wichtigen Signalen, die jeder Telegrafist auswendig lernen musste, weil sie für die Verständigung der Stationen untereinander gebraucht wurden. So gab es ein Signal "Der Telegrafist kann den Telegrafen verlassen", ein Signal für "Es kommt eine Depesche entgegen" und eines für "schlechte Sicht". Weitere 2350 Signale etwa für Signalersatzteile, die eine Station benötigte, waren in dem Chiffrierbuch der Telegrafisten aufgeführt. Das entsprechende Chiffrierbuch war von niedriger Geheimstufe, musste aber unter Verschluss gehalten werden.

Das eigentliche Chriffrierbuch der Nachrichten war den 50 Obertelegafisten vorbehalten und streng geheim. Von ihm hat kein Exemplar überlebt. Es bestand aus zahlreichen Kürzeln für die Namen prominenter Personen, für Städte und Länder. A4.2 B5.1 C4.2 stand beispielsweise für Potsdam. Nur der Name des Königs Friedrich Wilhelm III. bzw. IV durfte nicht gekürzt werden und musste mit dem ebenfalls vorhandenen Alphabet ausgeschrieben werden. Ein drittes Chiffrierbuch war für Nachrichten, die mit berittener Post ins Ausland gingen.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.