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Was war. Was wird. Vom Boss-Sein oder Amboss sein.

Sind nur die wirklich Boss, die Macht über die Kekse haben? Oder haben die eh alle einen am Keks? Bei manchen Bossen liegt das nahe, meint Hal Faber.

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Nein, das sind keine Kekse. Manche Bosse hält man aber nicht mal nach mehreren Flaschen Wein aus. Kekse hin oder her.

(Bild: BLACKDAY / Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Bekanntlich soll man die Tage feiern, wie sie fallen. Das gilt auch für den heutigen Feiertag, zumindest in den USA. Dort wird heute in einigen Bundesstaaten der Boss Day gefeiert. Man geht vor seinem Boss auf die Knie oder macht einen Liz Truss-artigen Knicks und bedankt sich für, ja wofür eigentlich? Sollen die Leute wirklich Geschenke für jemanden kaufen, der Macht über ihren Lebensunterhalt hat, wie das die rattenschlaue Wikipedia formuliert? Und wer ist hier der Boss? In großen Firmen, wo die Boss-Frage etwas unübersichtlich ist, sollen die Geschenke an die Personalabteilung gehen.

Oder gibt es nur einen Boss und sein Name ist Elon Musk? Dann könnte man gleich den Boss-Day umtaufen und Musk Friedensverhandlungen mit Putin führen lassen, so von Boss zu Boss. Andererseits wäre es peinlich, wenn Putin nur mit dem Boss verhandeln will, der den "Keks" hat, die Codekarte in einem Spezialgehäuse, mit deren Hilfe der US-Präsident einen Atomangriff befehlen kann. Wobei auch das nicht immer eindeutig ist: Jimmy Carter schickte seinen Keks im Anzug aus Versehen zur chemischen Reinigung; und Bill Clinton brachte das Kunststück fertig, seinen Keks zu verlieren. Wie die Kekse gebacken wurden, zeigt jetzt das Nationale Kryptologie-Museum der NSA. Genutzt wurde ein DEC AlphaServer, der unter Tru64-Unix die Schlüssel generierte und eine Maschine namens MP37, die dann die Karten produzierte.

*** Auf seine Weise ist Karl Lauterbach ein Boss. Zumindest ist er der Chef des Gesundheitsministeriums, das seit einer Reform durch Jens Spahn die Mehrheit an der Projektgesellschaft Gematik hält. Boss Lauterbach könnte sich also gegen die Stimmen der Gesellschafter, der Arzt- und Apothekerverbände durchsetzen und den unsinnigen Plan stoppen, die Konnektoren der telematischen Infrastruktur des Gesundheitswesens auszutauschen. Der Austausch ist nach Erkenntnissen des Chaos Computer Clubs überflüssig. Soll das 300 Millionen teure Spektakel durchgezogenen werden, weil sich ein Industrie-Oligopol noch einmal am Gesundheitstopf bereichern will, ehe die elektronische ID der "TI 2.0" kommt? Immerhin ist Lauterbach dieser Tage Boss genug gewesen, als er zugab, dass das E-Rezept einige Sicherheitsprobleme hat. Karl Lauterbach sollte Boss genug sein, die von der Gematik erhoffte Duldung beim E-Rezept kurzerhand abzulehnen. Am heutigen Boss Day beginnt in Berlin übrigens der World Health Summit, für den dem Direktor des afrikanischen Zentrums für Pandemiebekämpfung trotz gültigen Visums in Frankfurt/Main die Einreise verwehrt wurde. Ein Machtwort gefällig?

*** Ein anderer Boss ist in Nöten, weil er Boss sein will, aber leider Gottes weisungsgebunden ist. Das ist nicht gut. Zunächst stolperte Arne Schönbohm durch eine lustige Geschichte, die der Komiker Jan Böhmermann seinem Publikum präsentierte, doch nun sieht es aus, als ob da noch ein ganz besonderes Nachspiel droht. Der von ihm mitgegründete Cyber-Sicherheitsrat-Deutschland e.V. wird inzwischen von seinem Freund Hans-Wilhelm Dünn geführt, einem ausgesprochen russlandfreundlichen Lobbyisten. Nun wurden dem Spiegel im Zuge der Böhmermann-Recherche Informationen zugespielt, dass der Verfassungsschutz Hans-Wilhelm Dünn mit einer Telekommunikationsüberwachung begleitete. Im Rahmen diese TKÜ-Maßnahme wurden auch Gespräche mit Schönbohm abgehört. Was mögen die beiden wohl besprochen haben, was wiederum der Vorgesetzten von Schönbohm zu Ohren gekommen ist? Abgründe tun sich auf. Im Bundesinnenministerium (Boss: Nancy Faeser) suchen sie jetzt nach einem adäquaten Posten. Das Statistische Bundesamt bietet sich an, wo vielen zum Heulen zumute ist. Von der Sicherheit in der Informationstechnik zur Statistik ist es namensmäßig nur ein kleiner Schritt. Viel wichtiger die Frage, wer nun Kalif anstelle des Kalifen werden soll – für das BSI aus Sicht von Sicherheitsexperten eine entscheidende Frage angesichts all der Begehrlichkeiten von Sicherheitsparanoikern nach auswertbaren Daten und ausnutzbaren Sicherheitslücken.

*** Ich muss gestehen, dass ich alter Sack den Aktivismus junger weißer Frauen nicht verstehe, die Tomatensuppe auf Bilder kippen und sich an die Wand kleben. Soll der Protest von Just stop Oil Ölgemälde treffen, weil irgendwie Öl im Spiel ist? Die Frage, ob Kunst mehr wert ist als Leben, klingt in meinen Ohren wie ein Vergleich von Äpfeln und Birnen. Antworten gibt es keine, denn wenn man auf den Link zur letzten Generation als deutschem Zweig der Protestbewegung klickt, wird man zu einem Zoom-Meeting eingeladen. Aufklärender ist da eine Rezension über ein Buch über die Generation Fridays for Future. Jedenfalls ist die Generation FFF nach Meinung des Buchautors die Generation "Anpassung", nicht mehr die Generation "Selbstoptimierung" (90er-Jahre) oder die Generation "Selbstverwirklichung" (die schlimmen 68er). Im lieblichen Singsang der Soziologie schreibt der Autor: "Ein aktualisiertes Verständnis von Anpassung skizziert eine eigene Perspektive der Freiheit. Denn mit dem Primat der Selbstentfaltung können auch spätmoderne Selbstverwirklichungszumutungen in den Hintergrund treten." Kein Rattenrennen mehr auf dem Weg zum Boss, der in Las Vegas Pilzsuppe aus dem Himalaja schlürfen darf. Und leider auch: mehr Wissenschaft statt mehr Demokratie. Deswegen also die Tomatensuppe auf Glas als Zeichen des zivilen Ungehorsams und der Empörung über die Untätigkeit der besitzstandswahrenden Generation? Isso. Aber was ist dann mit diesem "Krypto-Unternehmer" Martin Mobarak, der ein Bild von Frida Kahlo verbrannt haben soll, damit sein per NFT zu irgendeiner Art von Original erklärtem digitalen Abbild dieses Bildes an Wert gewinnt?

*** Bekanntlich ist alles anders, wenn Damien Hirst der Boss ist. Er verbrannte in der Londoner Newport Gallery Hunderte seiner Punkt-Gemälde, die er für 2000 Dollar verkauft hatte. Jede Besitzerin und jeder Besitzer musste sich zwischen dem Bild oder einer NFT-Kopie des Bildes entscheiden. Eine knappe Mehrheit hielt an den Bildern fest, während die anderen darauf spekulierten, dass die NFTs an Wert gewinnen werden. "Die von ihren Besitzern verworfenen materiellen Werte landen im Laufe der Woche in einem der sechs Brennöfen, die den Saal aufheizen und unangenehme Assoziationen wecken, deren sich der Provokateur Hirst nur zu bewusst sein dürfte. Während Hirst in silberner feuerfester Hose auftrat, sahen seine Gehilfen in orangefarbenen Overalls aus wie Guantánamo-Sträflinge. Bei jedem Blatt sicherstellend, dass es mit dem NFT übereinstimmte, bevor er es in den Ofen warf, sagte Hirst, viele glaubten, er verbrenne Millionen. Dabei vollziehe er bloß die Umwandlung physischer Kunstwerke in virtuelle." Darauf eine Tomatensuppe. In einer anderen britischen Kunstinstallation vergammeln Liz Truss und ein Eisbergsalat um die Wette. Ihr Schatzkanzler Kwasi Kwarteng war 38 Tage lang im Amt.

Altmodisch, wie Kolumnen nun einmal sind, sind auch Demonstrationen wie die zum solidarischen Herbst, die am kommenden Samstag in mehreren deutschen Städten anstehen. Auch Fridays for Future gehört zu den Unterstützer:innen. Die Organisatoren schreiben: "Ob es in diesem Winter gelingt, unsere Gesellschaft vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren und gleichzeitig die klimapolitischen Weichen zu stellen – das hängt entscheidend davon ab, wie viel Solidarität die Ampel einzufordern bereit ist. Sie hat es in der Hand, wie dieser Winter wird: Einer der Verzweiflung und Wut. Oder einer mit neuer Zuversicht für eine sozial gerechtere, ökologische und lebenswerte Zukunft." Das sind deutliche Worte aus einer Realität, an die wir uns anpassen müssen.

Für alle, die mit positiven Bürgertests oder eben ohne vorzuweisenden Bürgertest zu Hause bleiben müssen, sei noch einmal die Tagung FIfFKon22 unter dem Motto >make install PEACE empfohlen, die vom der Streamcrew des Chaos Computer Club gestreamt wird. Vor Ort wollen sich die Teilnehmer damit beschäftigen, "welche Rolle Informationstechnik bei Friedensfragen spielt und welche Verantwortung der ihr zugrundeliegenden Wissenschaft – der Informatik – zukommt." Das ist eine wohltuende Abweichung von der sonst üblichen informatorischen Politikblindheit, in einer Woche, die mit einem Offenen Brief der Gesellschaft für Informatik gegen die Chatkontrolle begann. Auf der FIfFKon wird übrigens Julian Assange mit dem Joseph Weizenbaum-Preis ausgezeichnet.

(jk)