Verfassungsschützer: Desinformation im Internet verfängt bei vielen

Extremisten suchen immer mehr die Mitte der Gesellschaft im Internet, um Desinformation zu verbreiten, meint der niedersächsische Verfassungsschutzpräsident.

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(Bild: sdecoret/Shutterstock.com)

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  • dpa

Dder Umgang mit Desinformationen ist nach Einschätzung von Niedersachsens Verfassungsschutzpräsident Bernhard Witthaut eine zentrale Herausforderung für die Sicherheitsbehörden. "Desinformation ist ein wichtiger Bestandteil der hybriden Kriegsführung Russlands. Und diese Vorgehensweise verfängt leider bei erschreckend vielen Menschen", sagte Witthaut auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur in Hannover.

Insbesondere Rechtsextremisten und die sogenannte Querdenker-Szene verbreiteten beispielsweise die Verschwörungstheorie, dass es in Kürze zu einem totalen Blackout in Europa kommen werde, der dazu führe, dass die staatliche Ordnung zusammenbreche, sagte der Verfassungsschutzpräsident. "Diesen Leuten geht es darum, die Gesellschaft und das politische System insgesamt zu destabilisieren. Es soll gezielt Hass und Angst geschürt werden, um diese Emotionen für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren."

Derartiges Gedankengut verbreite sich online – das habe ganz konkrete Folgen in der realen Welt, weil es so zu gefährlichen Radikalisierungsprozessen komme, sagte Witthaut. "Nach meiner Auffassung ist in diesen Zeiten der Umgang mit Desinformation eine der zentralen Herausforderungen für unsere Sicherheitsbehörden."

Witthaut ist seit 2019 Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Ende des Monats geht der 67-Jährige in den Ruhestand. Wer sein Nachfolger wird, ist noch nicht bekannt.

Witthaut sagte, seit seinem Amtsantritt habe sich die Welt durch die Coronapandemie oder den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine deutlich verändert. "An Fragen wie dem Tragen von Schutzmasken und Impfbereitschaft oder aktuell zur Bewältigung der Inflation und zu den gestiegenen Energiepreisen haben sich heftige innergesellschaftliche Debatten entzündet." Es sei sichtbar geworden, dass in Deutschland eine gesellschaftliche Minderheit für einen demokratischen Diskurs kaum mehr zu erreichen sei – wie etwa in Teilen der Proteste gegen die staatlichen Coronamaßnahmen. "Die Unzufriedenheit mit der Demokratie und mit demokratischen Entscheidungen hat sich in einem Teil der deutschen Bevölkerung fest etabliert, und sie birgt die reale Gefahr, dass sich die Wut gegen 'das System' auch leicht bei anderen Themen aktivieren lässt."

Witthaut sagte, ihn bereiteten zwei Dinge besondere Sorge: die Tendenz, dass sich Extremismus entgrenze, und dass sich Verläufe extremistischer Radikalisierung zunehmend in die digitale Welt verlagerten. "Die Zeiten, in denen sich Extremistinnen und Extremisten in klar abgrenzbaren Gruppierungen organisierten, sind längst vorbei."

Extremistische Akteure suchten verstärkt und gezielt den Kontakt zur Mitte der Gesellschaft, mobilisierten mit Themen, die aktuell gesellschaftlich breit diskutiert würden und suchten neue Allianzen. "Diese Entwicklung lässt sich in allen Phänomen-Bereichen feststellen, vor allem aber im Rechtsextremismus, wie uns in den vergangenen Monaten das Zusammenwirken von Rechtsextremisten und Reichsbürgern mit sogenannten Querdenkerinnen und Querdenkern und Corona-Leugnerinnen und Corona-Leugnern gezeigt hat."

Extremisten nutzten das Internet, um mit Kampagnen auch außerhalb der eigenen Szene an Reichweite zu gewinnen. "Sie nutzen darüber hinaus die Möglichkeit, sich in private Chaträume zurückzuziehen, um sich mit Gleichgesinnten auszutauschen oder im schlimmsten Fall Attentate zu planen und diese sogar live im Internet zu zeigen." Die Sicherheitsbehörden müssten die digitale Welt auch künftig im Blick behalten und wie weitere Entwicklung genau beobachten, mahnte er.

(olb)