4W

Was war. Was wird. Von Generationen und ihren Perspektiven.

Es gibt viele Rätsel, die unaufgeklärt bleiben, auch, warum Leute, die in Deutschland als Philosophen gelten, so viel Unsinn reden, wundert sich Hal Faber.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 32 Kommentare lesen

Da denkt man so vor sich hin, und was passiert? Nichts. Dazu müsste man den Mund aufmachen. Dann aber passiert auch nichts. Manchmal sogar weniger als nichts, oder, um es negativ dialektisch auszudrücken, die angeblichen Philosophen haben ihre Adorno-Lektüre vergessen: "Es handelt sich um den Entwurf einer Philosophie, die nicht den Begriff der Identität von Sein und Denken voraussetzt und auch nicht in ihm terminiert, sondern die gerade das Gegenteil, also das Auseinanderweisen von Begriff und Sache, von Subjekt und Objekt, und ihre Unversöhntheit, artikulieren will." Manche Worte und viele Wörter kennt keine Rechtschreibprüfung, was aber keine Entschuldigung für selbsternannte Philosophen ist.

(Bild: Hung Chung Chih / Shutterstock.com, Skulptur: Auguste Rodin, Der Denker)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** "Was wussten 1914, nach fast einem halben Jahrhundert, die großen Massen vom Kriege? Sie kannten ihn nicht, sie hatten kaum je an ihn gedacht. Er war eine Legende, und gerade die Ferne hatte ihn heroisch und romantisch gemacht." Diese Sätze schrieb Stefan Zweig kurz vor seinem Freitod in Brasilien, seine Erinnerungen an ein untergegangenes Europa erschienen 1944 unter dem Titel Die Welt von gestern in Stockholm. Als Zitat stehen Zweigs Sätze nun in einem Buch, das der Philosoph und Leiter der Parmenides Foundation, Julian Nida-Rümelin, herausgegeben hat. "Perspektiven nach dem Ukrainekrieg" erscheint am Montag und wäre damit ein Fall für die Sparte "Was wird", doch ist der Philosoph ein Medienkundiger und hat sich schon im Vorfeld vernehmen lassen. Unter anderem behauptete er, dass es im April ein unterschriftsfähiges Waffenstillstandsabkommen zwischen Russland und der Ukraine gegeben habe, das aber vom Westen blockiert worden sei. Als Beleg zitierte er den Satz von Boris Johnson. "It is not the time for negotiations. It is the time for victory."

Vor lauter Generationen verliert man schnell den Überblick. Vor allem darüber, was das alles denn bedeuten soll.

Ein kleiner Faktencheck über Boris Johnson hätte ausgereicht, das Missverständnis zu klären, doch darum geht es nicht, denn das Verständnis des Philosophen für eine Friedensordnung ist übermächtig. Schließlich beklagt Nida-Rümelin bereits im Vorwort einen tiefgreifenden Generationenkonflikt. Auf der einen Seite sieht er die Generation derer, die den kalten Krieg und die Kubakrise 1962 erlebt hatten. Auf der anderen Seite stehen jüngere:
"Diejenigen, die nach 1990 politisch sozialisiert wurden, halten dagegen an der Idee einer westlich geprägten Weltordnung fest, die die USA und die NATO durch humanitäre Interventionen und Sanktionen, notfalls auch durch Militäraktionen gestalten. Die Erfahrung eines Jahrzehnte währenden Kalten Krieges, in dem sich hochgerüstete Nuklearmächte gegenüberstanden und Konflikte wie die Kubakrise 1962 jederzeit zu einem heißen Krieg mit der Gefahr eines weltvernichtenden Atomkrieges eskalieren konnten, ist verblasst." Die Generation zwischen den Kalten Kriegern und den ahnungslosen Jungmenschen ist für den Philosophen gefüllt mit "stabilisierenden Elementen" und Abrüstungsverhandlungen, für andere mit großen Demonstrationen gegen den NATO-Doppelbeschluss. So hat jede letzte Generation ihre Geschichten, aus denen dann genau nichts gelernt werden kann. Denn wie soll eine Friedensordnung mit Besatzern aussehen, die mit mechanischer Erstickung auf Kritik reagiert? Wie folgt auf einen gerechten Krieg der gerechte Friede?

*** Was war das für eine Woche, oder, um es in marktliberaler Sicht zu beschreiben: Mehr als 950 Milliarden Dollar an Marktkapitalisierung wurden vernichtet. Dabei ist Twitter in den Zahlen noch gar nicht enthalten. In vielen Meldungen dieser Woche wurde gerätselt, was Elon Musk mit dem Erwerb von Twitter betreibt. Denn am Ende der ersten Musk-Woche fällt die Bilanz recht nüchtern aus. Mit Kündigungen im großen Stil droht ein Twexit erster Güte, wenn Musk damit droht, seine 110 Millionen Follower zu einem thermonuklearen Angriff auf die US-amerikanischen Werbetreibenden einzusetzen, die ihre Werbung suspendierten. Vieles spricht dafür, dass Twitter zu einer weiteren, aber sehr großen Variante von Parler und Truth Social der libertären Rechten mutiert, während irgendwo anderes ein neuer Platz für die Kreuzung aus Nachrichtendienst und Einsprengseln der Sozialgraph-Folger entsteht. Musk hat das komplette META-Team, das Machine learning Ethics and TrAnsparency-Team gefeuert, von dem die wichtigsten Innovationen stammten. Doch wer weiß das schon. Vögel legen immer mehrere Eier, das gilt auch für das blaue Vögelchen. Was bleibt, sind die Erinnerungen an eine Zeit, in der 140 Zeichen genug waren und in der der russische Präsident Putin dem US-Präsidenten Barack Obama zu seiner Wahl mit einem Tweet gratuliert. Heute ist Putins Konto längst gesperrt. Aber dafür haben wir ja unseren Bundeskanzler auf Twitter, der mehrsprachig twitterte: "Verlässlichkeit und Vertrauen - diese beiden Werte spielen in der 🇩🇪 und 🇨🇳 Kultur eine wichtige Rolle. Sie sind gleichzeitig Grundlage für diplomatische Beziehungen und politische Partnerschaften. Es ist gut, dass wir uns persönlich getroffen und gesprochen haben."

"Lo-Po, die Rote Rübe" aus dem Kursbuch 24 von 1971. Ja, ja, all diese revolutionäre Pädagogik in China, den Schwachsinn verbreiteten auch sich als revolutionär verstehende Spinner in Deutschland.

Ja Olaf, alter Juso, da schwelgste wohl von diesem Kursbogen im Kursbuch, wo das Kinderkollektiv Lo-Po die rote Rübe aus der Erde zieht. Süß. Oder auch nicht.

*** Innenministerin Nacy Faeser hat in dieser Woche von versperrten Rettungswegen fantasiert und vollstes Verständnis für das harte Durchgreifen der Polizei geäußert, die zwei Fahrspuren bei einer Schilderbrücke sperrte, auf der oben sich Klima-Aktivisten festgeklebt hatten. Bei ihrem erratischen Tweet hat sich Faeser voll und ganz auf Falschaussagen verlassen, die in der unmöglichen Debatte voller konstruierter Zusammenhänge auf- und wieder abgeführt wurden. Die schnelle Verurteilung erinnert an den schnellen Abgang, mit dem BSI-Chef Arne Schönbohm kaltgestellt wurde. In beiden Fällen hat sich Nancy Faeser unnötig in Schwierigkeiten gebracht, die von Juristen und von dem Social Media-Team nun geduldig weggebügelt werden müssen. Was Betonmischer und Betonarbeiter anbelangt, so hat sich Nancy Faeser derweil in Katar informieren lassen dürfen. Dort findet bald eine ausgesprochen seltsame Kickerei statt. Die vielen Besuchern die da also "feiern, tanzen und singen" werden, müssen bei der Einreise die Ehteraz genannte App auf ihrem Smartphone installieren, die wiederum eine katarische SIM-Karte zur Voraussetzung hat. Dazu kommt noch die Hayya Card für eben diese SIM-Karte, die Stadiontickets und den ÖPNV. Sie bringt auch Vorteile für den Besuch der authentischen Heimat Arabiens gleich nebenan. Ein fieser Überwachungstraum wird Wirklichkeit.

Düsseldorf in der authentischen Heimat Nordrhein-Westfalen ist auch ganz schön. Die Kicker dort führen gar das Glück im Namen. Wie es das Schicksal will, startet dort demnächst die Medica, die Messe für Medizintechnik, Pharmazubehör und einem Krankenhaustag. Sie wird vom Fahrradfan und Fleischverächter, dem Gesundheitsminister Karl Lauterbach eröffnet, der sich gerade darüber freuen durfte, dass sich die letzte Testregion Westfalen-Lippe aus dem Test des E-Rezeptes verabschiedet hat. Dieses Rezept sollte mit der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) in der Apotheke eingelöst werden können, was nach den Erfindern dieses Einlösungsweges erst Mitte 2023 möglich sein wird. Aber dann wird alles gut, versprochen, denn dann greift die neue Digitalstrategie in Sachen Gesundheit, an der aktuelle 140 Experten herumbosseln. Man schaue sich nur die ersten zwanzig Minuten des Videos an, in denen Lauterbachs Abteilungsleiterin Susanne Ozegowski von der kommenden elektronischen Patientenakte mit einer Opt-Out-Lösung erzählt. Bald – also 2025 – werden 80 Prozent aller Versicherten so eine Patientenakte haben, ganz easy peasy, ohne all den lästigen Sicherheitskrimskrams wie Identifizierung und mit der Eingabe einer PIN zur Authentifizierung. Oh schöne neue Welt der Medizin, du kommst, wenn ich gebrechlich bin.

(jk)