Elektromotorrad Davinci DC 100: Das Versprechen einer riesigen Reichweite

Davinci Motor will mit seinen E-Motorrädern den Markt revolutionieren. Sie sollen autonom fahren, 357 km am Stück schaffen und auf Open Source setzen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 149 Kommentare lesen
Davinci Motor

(Bild: Davinci Motor)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Ingo Gach
Inhaltsverzeichnis

Chinesische Motorradhersteller drängen immer mehr auf den Weltmarkt, ganz besonders mit Elektromodellen. Für Aufsehen sorgt eine Marke mit dem hochtrabenden Namen Davinci – benannt nach dem italienischen Universalgenie – durch die Ankündigung, Roboter-Motorräder bauen zu wollen. Davinci Motor wurde 2013 gegründet und holte seine Entwicklungsingenieure von der Tsinghua Universität in Peking, einer der renommiertesten Hochschulen in China. Davinci erhebt den Anspruch, Roboterfahrzeuge zu entwickeln.

Im Juli 2021 präsentierte die Marke auf dem heimischen Markt das Elektromotorrad DC100, dessen Erscheinungsbild – vorsichtig ausgedrückt – sehr kontrovers diskutiert wurde. Natürlich haben Designer bei Elektromotorrädern die Freiheit, sich von etablierten Formen zu lösen, weil Bauteile wie Tank, Zylinder, Kurbelgehäuse usw. entfallen, aber jedes Design sollte Ästhetik ausstrahlen. Bei der DC100 sitzt zwischen Vorder- und Hinterrad ein riesiger, unförmiger Klotz. Er enthält die Batterie und die Elektrik, während der Elektromotor direkt das Hinterrad antreibt. An der Front sind zwei unterschiedlich große Rundscheinwerfer montiert – das gab es bereits 1999 an der BMW R 1150 GS.

Anfang November erklärte Rosanna Libia, International Business Manager bei Davinci Motor, auf der Eicma in Mailand, dass Davinci mit ihren "two-wheeled robots" auf den europäischen Markt will. Inzwischen hat die Marke ein zweites Modell entwickelt, die DC Classic, und nennt es einen "futuristischen Café Racer". In ihm hängt ein Quader mit Rippen, der eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Rimowa-Koffer hat. Vorne sieht das Gerät tatsächlich nach Motorrad aus, hinten fällt die voluminöse Einarmschwinge auf, die Davinci genau wie die Vorderradgabel mit reißfester Dyneema-Folie beklebt hat. In der breiten, mit einem 240er-Reifen bestückten Hinterradfelge sitzt der Elektromotor. Der ist ziemlich groß und dürfte so die ungefederten Massen deutlich erhöhen. Als Fahrersitz wählte Davinci einen mit französischem Kalbsleder bezogenen Single-Sattel, wie er eher zu einem Bobber passt. Das einzige, was an einen Café Racer erinnert, sind die Stummellenker.

Davinci verspricht viel: eine Beschleunigung von null auf 100 km/h in rund drei Sekunden, eine Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h, 100 kW (136 PS) Maximalleistung, heftige 850 Nm Drehmoment und eine Reichweite von 357 km im WLTP. Angeblich hat die Batterie eine Kapazität von 17,7 kWh, was aber vom Hersteller nicht offiziell bestätigt wird. Nur zum Vergleich: Eine vollverkleidete Zero DSR/X mit einer 17,3-kWh-Batterie kam im praxisnahen Test einer renommierten Motorradzeitschrift auf 159 km Reichweite. Da ist es eher unwahrscheinlich, dass die aerodynamisch nicht gerade ausgefeilte DC100 fast 200 km mehr(!) schafft. Immerhin verfügen beide Modelle über einen L3-Gleichstrom-Schnelllader, der die leere Batterie angeblich in 30 Minuten aufladen kann. Alternativ kann die Davinci auch über Ladegeräte mit geringerer Leistung geladen werden, entsprechend verlängern sich dann die Ladezeiten.

Laut Davinci enthalten die DC100 und DC Classic jeweils über 1000 Halbleiter-Chips und 200 Sensoren, die permanent Informationen über Umgebung, Fahrzustand, Straßenverhältnisse, Batterie, Motortemperatur, Schräglagenwinkel usw. liefern und verarbeiten. So soll das Motorrad unter allen Umständen die angepasste Leistung liefern, um das Fahren einfacher und sicherer zu machen. Auch wenn die Zahl der verbauten Chips beeindruckend ist, weckt die Bezeichnung "Roboter-Motorrad" übertriebene Hoffnungen.

Davinci Motor (7 Bilder)

Im vergangenen Jahr wurde die Davinci DC100 in China vorgestellt. Ihr Design führte zu kontroversen Diskussionen.

Vieles, was die Marke an Innovationen anpreist, sind in Wirklichkeit alte Hüte. So gibt es eine "Hillstart-Control", also Berganfahrhilfe, schon seit vielen Jahren im Motorradbau. Wer elektronische Hilfe in Form des "Ride Assist" braucht, um bis sieben km/h sanft anzufahren, sollte sich Gedanken um seine Fähigkeiten als Motorradfahrer machen. Wozu man eine "Hill Descent Control" (Bergabfahr-Kontrolle) braucht, die sieben km/h zulässt, bleibt schleierhaft. Ein Rückwärtsgang mag hingegen sinnvoll sein, um aus engen Parklücken zu manövrieren, lässt aber auch auf ein hohes Gewicht der Davinci schließen.

Gebremst wird mit einem herkömmlichen Hebel am rechten Stummellenker, der über ein kombiniertes Bremssystem nicht nur auf die beiden radial angeschraubten Brembo-Bremszangen am Vorderrad wirkt, sondern auch die Rekuperation über den Elektromotor auslöst. Das eigene Smartphone soll zum Cockpit werden. Es lässt sich über eine Halterung am Lenker einklinken und per App mit dem Motorrad verbinden. Auf dem Display erscheinen dann die erwünschten Informationen, neben der zwingend erforderlichen Geschwindigkeitsanzeige auch Angaben über Batteriestand, Restreichweite usw.

Jedoch raten Handy-Hersteller davon ab, das empfindliche Gerät den Vibrationen und heftigen Erschütterungen an einem Motorrad auszusetzen. Apple warnt offiziell davor, weil der Bildstabilisator und die Autofokus-Funktion beschädigt werden können. Zwar produziert ein Elektromotorrad keine Vibrationen wie ein Verbrennungsmotor, doch Erschütterungen gibt es natürlich auch hier. Eine dämpfende Halterung sei hiermit ganz allgemein nachdrücklich empfohlen.

Einige der angepriesenen Features wie etwa die Schlupfregelung gibt es schon seit Jahrzehnten (1996 in der Honda Pan European). Heute verfügen so ziemlich alle aktuellen Motorräder der Mittel- und Oberklasse aus Sicherheitsgründen über eine, meist sogar einstellbare, Schlupfregelung. Auch das von Davinci angekündigte "Firmware over the air", also kabellose Software-Updates, kann längst jedes Smartphone. Zero Motorcycles bietet sogar eine App, mit der der Fahrer diverse Parameter wie z. B. Höchstgeschwindigkeit, Maximalleistung oder die Rekuperation frei einstellen kann.

Für die Zukunft kündigt Davinci Motor einige interessante Ausstattungen an. So soll die DC100 bald in der Lage sein, sich selbst auszubalancieren, also senkrecht zu stehen, ohne umzukippen. Zudem soll sie per Fernsteuerung zu einem vom Fahrer gesetzten Ziel folgen können, zum Beispiel um sie aus einer Parklücke zu manövrieren. Auch das ist nicht neu, Honda hat das schon 2017 und BMW 2019 auf der CES mit Prototypen demonstriert. Die Frage wird vielmehr sein, bis wann Davinci diese Features serienreif haben wird. Besonders die Fernsteuerung wirft zudem rechtliche Fragen im Straßenverkehr auf.

Davinci Motor (8 Bilder)

Das eigene Smartphone wird zum Cockpit. Es lässt sich über eine Halterung am Lenker einklinken und per App mit dem Motorrad verbinden. Ob das ein Smartphone lange mitmacht, darf bezweifelt werden.

Eine Ankündigung von Davinci lässt allerdings aufhorchen: Es soll eine "Open-Source Platform" eingerichtet werden. Der Hersteller will es "kreativen und zertifizierten Software-Entwicklern" ermöglichen, mittels eines "Application Programming Interface" neue, innovative Features zu entwickeln. Dass es Außenstehenden erlaubt sein wird, an der Software mitzuentwickeln, dürfte in der Tat neu sein. Ob sie es von Davinci finanziell vergütet bekommen, ist nicht bekannt, profitieren dürfte aber vor allem die Marke.

Davinci nimmt Vorbestellungen für die DC100 zum Preis von 26.000 Euro entgegen. Wann die DC Classic auf den Markt kommt ist noch nicht bekannt. Angeblich sollen die ersten DC100 bereits Ende des zweiten oder Anfang des dritten Quartals 2023 ausgeliefert werden. Ob sie dann auch alle angekündigten Ausstattungen enthält und konform mit EU-Recht ist (Stichwort Fernsteuerung), ist nicht bekannt.

(mfz)