KI: Wie Darwin den Grundstein für die Emotionserkennung legte

Vor 150 Jahren veröffentlichte Charles Darwin ein Buch über den Ausdruck von Emotionen bei Mensch und Tier – und sorgte damit für Wirbel.

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(Bild: Fractal Pictures/Shutterstock.com)

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Im Jahr 1872, also 13 Jahre nach seinem Hauptwerk über die "Entstehung der Arten", veröffentlichte Charles Darwin das Buch "Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren" – im englischen Original: "The Expression of the Emotions in Man and Animals".

Die zentrale These in diesem Buch war nicht minder revolutionär als seine Evolutionstheorie: Der Naturforscher postulierte darin, dass Menschen ihre Emotionen von frühen tierischen Vorfahren geerbt haben, Emotionen also gewissermaßen evolutionäre Überbleibsel sind. Hass, Zorn, aber auch Liebe, Freude oder Scham würden durch uralte Teile unseres Nervensystems als Reaktion auf bestimmte Auslöser hervorgerufen und wiesen einen spezifischen, einheitlichen Ausdruck, eine Art Fingerabdruck, auf.

Diese Fotos aus Darwins Buch über Emotionen sollen Verachtung, Missfallen und Ablehnung illustrieren.

(Bild: The Expression of the Emotions in Man and Animals / Oscar Gustave Rejlander )

Das Buch wurde ein Bestseller, war allerdings umstritten. Denn nachdem Darwin bereits in seinem ersten Buch den Menschen als ganz gewöhnliche Art und nicht als die Krone der Schöpfung gezeichnet hatte, sprach er nun Tieren Emotionen zu – die sich noch dazu nicht wesentlich von denen der Menschen unterscheiden sollten. In wissenschaftlichen Zirkeln wurde sein Buch deshalb missachtet und geriet in Vergessenheit. Erst in den 1960er-Jahren wurde es neu entdeckt.

Vor allem der Psychologe Paul Ekman verfocht Darwins Theorie. Er wollte technische Methoden entwickeln, um Emotionen messbar zu machen. Ekman postulierte Basisemotionen wie Freude, Wut, Ekel, Furcht, Verachtung, Traurigkeit und Überraschung. Ganz im Sinne von Darwin glaubte er auch, dass diese Emotionen direkt auf die Bewegung sogenannter Action Units – Muskelgruppen im Gesicht – wirken. Sekundäre Emotionen wie Scham, Liebe, Eifersucht würden sich aus einer Überlagerung von Basisemotionen bilden.

Das Modell war beliebt bei Wissenschaftlern, die Emotionen aus Videos oder Fotos erkennen wollten – vor allem im Zuge des Aufschwungs von Künstlicher Intelligenz. Vor einigen Jahren formierte sich jedoch Widerstand: Im Juli 2019 veröffentlichten Psychologen beispielsweise in der Zeitschrift der Association for Psychological Science eine Metastudie über den Ausdruck von Emotionen. Sie bezogen dabei auch Menschen aus verschiedensten Kulturkreisen oder Säuglinge und Kleinkinder mit ein. Ihr Fazit: Menschen zeigten eine "sehr viel höhere Variabilität" beim Ausdruck von Emotionen, als bislang postuliert. Es gebe "keine ausreichenden wissenschaftlichen Beweise" für die These, man könne allein aus Gesichtsausdrücken "zuverlässig auf die grundlegenden emotionalen Zustände" eines Menschen schließen. Ihre Schlussfolgerung: Technologie zur Emotionserkennung, die zum Beispiel auch von den US-Grenzschutzbehörden eingesetzt wurde, sei eine "Pseudowissenschaft", die jeglicher Grundlage entbehre.

Die wissenschaftliche Debatte um die Natur menschlicher Emotionen und die Frage, ob sie tatsächlich messbar sind, ist jedoch nicht eindeutig entschieden. Unter dem Druck kritischer Wissenschaftler, etwa dem AI Now Institute, Datenschutz-Aktivisten und einer zunehmend misstrauischen Öffentlichkeit gerieten Entwickler dieser Technologie jedoch zunehmend unter Druck. Microsoft etwa stellte den Vertrieb der entsprechenden Software komplett ein. In verschiedenen US-Bundesstaaten und in Kanada wurde der Einsatz von Gesichtserkennung und der Einsatz von Emotionserkennung verboten.

(jle)