Missing Link: "Wir brauchen einen Internet-Effekt für die Energiewirtschaft"

Mit einer Open-Source-Plattform als "Trafo" will der Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz die Digitalisierung der Stromwirtschaft und die Energiewende beflügeln.

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(Bild: SOMKID THONGDEE/Shutterstock)

Lesezeit: 21 Min.
Inhaltsverzeichnis

Michael von Roeder merkt man die Ungeduld an, wenn es um die Digitalisierung der Elektrizitätswirtschaft und das Meistern der Energiewende geht. Der Digital- und IT-Chef des Berliner Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz sieht die Strombranche bei der digitalen Transformation weit zurück hinter dem Telekommunikationssektor. Die massiven Auswirkungen, die das Internet und die Umstellung auf IP-Telefonie für letzteren gebracht haben, werden ihm zufolge aber auch schon bald in ähnlicher Form die noch behäbigere Welt der Energiewirtschaft und ihrer industriellen Ausrüster durcheinanderwirbeln.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Der studierte Technologie-Manager, der auch bereits bei der auf das Internet der Dinge spezialisierten Firma Sensorberg, Iconmobile und Vodafone führend tätig war, hält die Digitalisierung der Stromnetze und des Energiesystems für unerlässlich. Denn wie sollten sonst tausende neue Erzeuger erneuerbarer Energien mit Solaranlagen auf dem Dach und Windrädern einbezogen werden?

Zusammen mit dem Mutterkonzern, der belgischen Elia Group, will von Roeder daher eine Plattform schaffen für das Internet of Things (IoT) der Energiebranche. Die soll im Kern komplett offen und Open Source sein, um Lock-in-Effekte von Anfang an zu vermeiden und dem Anspruch der digitalen Souveränität gerecht zu werden. Stefan Krempl sprach für heise online mit dem Macher und Linux-Fan über das ambitionierte Vorhaben und erste Reaktionen darauf auch von Siemens Energy, GE & Co., die in diesem Bereich eigene, dem Internetmodell weniger gerecht werdende Pläne verwirklichen wollen.

heise online: Wie ist der Stand der Digitalisierung in der Energiewirtschaft?

Michael von Roeder, Chief Digital and IT Officer bei 50Hertz

Michael von Roeder: Wir sind noch ziemlich weit am Anfang. Es wird dazu zwar viel analysiert, geplant und diskutiert, aber nur ganz wenig implementiert. Beispielsweise tauschen die Kraftwerksbetreiber die Einsatzfahrpläne nach wie vor per E-Mail aus. Das ist zwar schon ein kleiner Fortschritt im Vergleich zu früher, wo sie angerufen oder gefaxt haben. Per Mail sind so wenigstens ein paar mehr Daten drin. Aber wir brauchen ein Echtzeit-System, um den Bedarf effektiv abzubilden.

Was genau leisten diese Fahrpläne?

Die Netzbetreiber treffen darin Aussagen, welche Leistung auf Basis von Wetterprognosen und anderer Parameter zu einem bestimmten Zeitpunkt erbracht werden soll. Die Erneuerbaren haben grundsätzlich einen gesetzlichen Vorrang. Wenn deren Einspeisung nicht ausreicht für das, was am Markt sozusagen bestellt worden ist, kommen die konventionellen Kraftwerke zum Zuge.

Grundsätzlich gibt es im Norden Deutschlands Überschüsse bei den Erneuerbaren, da dort mehr Wind weht. Im Süden ist dagegen der Verbrauch meist höher. Nur reichen die Leitungen oftmals nicht aus, um den produzierten Strom dorthin zu bringen. Viertelstundenweise erfolgt über die Pläne so ein Update, welches Kraftwerke was produzieren soll und wie Netzengpässe durch das Hochfahren von konventionellen Kraftwerken entschärft werden.