Missing Link: "Wir brauchen einen Internet-Effekt fĂĽr die Energiewirtschaft"
Seite 2: "Das Zielbild ist eine offene IoT-Plattform"
Gibt es zumindest gemeinsame Hard- und Software-Lösungen? Oder vielleicht auch schon eine übergreifende Plattform für das Internet of Things (IoT) für diesen Bereich?
Im Kern ist der Stand im Energiesektor wie im Telekommunikationsbereich vor 25 Jahren. Es gibt immerhin eine Redispatch-Plattform. Dabei geht es um die Koordination von Eingriffen in die Erzeugungsleistung von Kraftwerken, um Leitungsabschnitte vor einer Überlastung zu schützen. Das ist digitalisiert. Es ist aber alles proprietäre Software, die meist relativ kleine Dienstleister in Deutschland bauen. Es gibt einen eingeschränkten, sehr kleinen Anbietermarkt von wenigen Software-Anbietern, die spezifische Lösungen für die Energiewirtschaft verkaufen. Die wollen den Status quo erhalten und keine offene Plattform. Die Produkte reden zwar prinzipiell miteinander, aber Änderungen brauchen ewig.
Was sind die Folgen?
Sollte die Politik beispielsweise ihre Überlegungen weiterverfolgen, das Strommarktdesign zu ändern, würde die Implementierung in IT-Systeme sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Die Betreiber müssten Aufträge an die Software-Hersteller vergeben, die ändern das in ihrer Blackbox, dann kann es eingespielt werden. Das muss man dann auch so synchron machen über alle Netzbetreiber hinweg.
Was wäre eine Alternative?
Das Zielbild ist eine offene IoT-Plattform. Sie würde eine viel größere Flexibilität bieten – wie mittlerweile im Telekommunikationsbereich. So würden wiederum die Kosten sinken. Wir brauchen eine Art Internet-Effekt für die Energiewirtschaft. Zusammen mit unserer Mutterfirma, der belgischen Elia-Gruppe, wollen wir so eine Open-Source-Plattform bauen. Die Anfänge sind aber eher schmerzhaft für manche Beteiligte. Auch bei den bisherigen Telekommunikationsausrüstern wie Alcatel SEL oder Siemens musste mit dem Boom des Internets die bestehende Betriebstechnologie offenen, IP-basierten Systemen weichen. Es geht nun auch hier in der Energiebranche um eine vergleichbar umfassende Transformation.
Resilienz und anwendernahe Datenverarbeitung
Was genau steckt hinter der geplanten offenen Plattform? Wie soll sie technisch aussehen?
Wir brauchen unten einen "Cloud Native"-Stack. Also ein Instrument für eine Multi-Cloud-Umgebung, um eigene Anwendungen laufen und kleinere Dienste bündeln zu können. Es ist für uns keine Option, zu den Hyperscalern wie Amazon Web Services (AWS), Microsoft oder Google zu gehen. Der erste Grund dafür ist die digitale Souveränität: nötig ist ein offenes europäisches System. Zum anderen lässt sich ein Energienetz nicht direkt aus der Cloud fahren. Käme es zu einem Blackout, würden auch die Rechenzentren der Hyperscaler nicht mehr laufen. Das wäre nicht sinnvoll.
Gibt es weitere Vorteile?
Eine offene Plattform kann zudem helfen, die Resilienz zu stärken. Ich möchte ein Edge-System haben, mit dem die Datenverarbeitung möglichst nah an den Anwendern erfolgt, nicht zentral in Rechenzentren. In jeder Solarfarm sollte so eine Mini-Cloud mit dem Ausführungsstack laufen, in jedem Umspannwerk. Bei Störungen müssten solche Anlagen Systemzugriff haben, damit das lokal weiterlaufen kann.
Herstellerunabhängigkeit mit "Google Cloud Platform"-Stack
Was ist weiter geplant? Wie sieht die Basistechnik aus?
Wir erfinden das Rad nicht neu. Wir nutzen den "Google Cloud Platform"-Stack (GCP) und erweitern ihn so, dass er vor Ort, also "on premise" auch ohne Verbindung nach außen laufen kann (Air Gap). Das Management erfolgt dabei nicht über den US-Konzern. Warum haben wir diesen überhaupt ausgewählt? Google hat als einziger Anbieter einen vollständigen Open-Source-Stack. Die denken da groß. Bei anderen Anbietern hat man dagegen immer irgendwelche proprietären Sachen. Die versuchen die Kunden mit Lock-in-Effekten einzufangen. Nachher explodieren dann die Kosten. Kriege ich dagegen den Netzbetreiber dazu, den offenen TCP-Stack zu verwenden, eröffnen sich ganz viele Möglichkeiten, ohne dass ich direkt auf dieser grundlegenden Ebene Geld verdiene.
Das heiĂźt, Sie wollen versuchen ein Ă–kosystem zu schaffen?
Genau. Den Stack werden wir dazu mit Dritten teilen. Google macht dafür Änderungen etwa an der Cloud-Plattform Anthos, damit das Ding laufen kann vor Ort ohne ständige Verbindung nach außen. Das haben wir direkt mit den Zuständigen in Mountain View besprochen. Das ist quasi die Laufumgebung. Darunter liegt Hardware. Die haben wir definiert, die ersten vier Racks laufen auch schon seit ein paar Tagen. Das ist ein standardisierter Server-Schrank, wo alles drin ist, was ich dann horizontal skalieren kann. Auch das Design davon werden wir als Open Source veröffentlichen, damit andere das nutzen können.
In einem großen Datenzentrum sollen dann mehrere Racks zum Zug kommen, etwa in einem Umspannwerk aber eben nur eins. Das muss jetzt keiner so nehmen, aber wir stellen das Ganze kostenlos zur Verfügung und sagen: "Guck mal, hier sind die Bauteile, so steckst du sie zusammen. Die Komponenten kannst du kaufen beispielsweise von Cisco, Dell, HP und Juniper, damit wir auch hier herstellerunabhängig bleiben."
Gibt es dafĂĽr schon eine Blaupause?
Es gilt noch Fragen zu klären wie Haftung, Support und Lizenz, da kommen jetzt die Juristen zu Wort. Aber da wollen wir hin als Netzbetreiber. Warum? Unsere Aufgabe ist es, die Energiewende hinzukriegen. Das können wir nicht allein. Wenn wir das mit der Plattform schaffen und diese etwa Stadtwerken zur Verfügung stellen, können sie die Technik selber einbauen oder auf Dienstleister wie Capgemini, Accenture oder ein lokales Systemhaus setzen, die ihnen das auf Basis unseres Musters implementieren. So wollen wir in dem Ökosystem auch Geschäftsmodelle für andere schaffen.