Programmieren: 600 Studierende lernen "Sprache der Zukunft" an der 42 Berlin

In Berlin hat ein Ableger der internationalen Programmierschule "42" geöffnet. Dort gelten nur Talente, keine Zeugnisse, was das Bildungssystem herausfordert.

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(Bild: Stefan Krempl)

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Vertreter aus Wirtschaft und Politik haben am Donnerstag die gebührenfreie Programmierschule "42 Berlin" in Neukölln auf dem Areal der ehemaligen Geyer-Werke eröffnet. Das "42"-Konzept ist unkonventionell: Lehrer, Klassen und Bücher gibt es auf dem Campus nicht. Abitur oder andere Abschlüsse sind nicht nötig als Lernvoraussetzung. Die Macher setzen vor allem auf "projektbasiertes Peer Learning". Durch eigenständiges Arbeiten an praxisbezogenen Problemstellungen soll dabei "die ganze Bandbreite der IT erlernbar" sein.

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Für das etablierte Bildungssystem der Bundesrepublik sei der Ansatz durcaus "eine Herausforderung", erklärte Ralph Linde, Leiter der Volkswagen Group Academy und der deutschen 42-Gruppe, beim virtuellen Durchschneiden des roten Bands. "Ich brauche nur Talent, kein Zeugnis." Am Ende stehe auch kein staatlicher Abschluss, "aber Kompetenz". Damit gehe eine "Bildungsdisruption" einher. Einer der Nachteile für die Studenten sei nur, dass sie kein Bafög beantragen könnten.

Die 42 Berlin, die nun ihren Lernbetrieb mit bis zu 600 Studierenden aufnimmt, war bereits im November 2021 gegründet worden. Sie wird unter anderem von Volkswagen, Bayer, SAP, Microsoft, T-Systems und Capgemini jeweils im sechs- bis siebenstelligen Bereich unterstützt. Die Einrichtung setzt das vom französischen Unternehmer Xavier Niel entwickelte Konzept "42" einer privaten, gemeinnützigen und gebührenfreien IT-Schule um.

Weltweit arbeiten über 40 weitere dieser Ausbildungsstätten in 26 Ländern nach dem Lernkonzept. Im Mai 2021 hatte hierzulande bereits der Ausbildungsbetrieb der "42 Wolfsburg" begonnen, wo Volkswagen Sponsor ist.

Nukleus ist die 2013 in Paris gegründete École 42. Die Zahl im Titel ist eine Hommage an das Werk "Per Anhalter durch die Galaxis" des Science-Fiction-Autors Douglas Adams und der darin enthaltenen Antwort eines Supercomputers auf das große Ganze. In Deutschland gibt es einen weiteren Ableger in Heilbronn, den die Stiftung von Dieter-Schwarz, dem Eigentümer von Kaufland und Lidl, fördert.

Vordenker und Macher im Bereich der Digitalisierung "seien höchst gefragt", betonte Volker Wissing, Bundesminister für Digitales, in einem Video-Grußwort. Nach Branchenangaben fehlten hierzulande rund 137.000 IT-Experten. Dies sei "das Haupthindernis bei der digitalen Transformation, die wir so dringend brauchen". Potenziale von Schlüsseltechnologien wie Künstlicher Intelligenz (KI), Blockchain und Quantencomputing könnten so nicht voll ausgeschöpft werden. Die Hauptstadt und die Republik seien daher "mehr als bereit für die ersten Absolventen von 42 Berlin".

Es sei wichtig, dass die Schule "einen anderen Weg" aufzeige, "wie Bildung stattfinden kann", freute sich Berlins Wirtschaftsstaatssekretär Michael Biel über den Neuzugang. "Sie können programmieren", wandte er sich an die Schulanfänger. Dies sei "die Sprache der Zukunft". Der SPD-Politiker begrüßte, dass die Macher Diversität, Nachhaltigkeit und Gemeinwohlorientierung stark in den Fokus rückten – gerade in einer Gegend, die auch eine gewisse Härte der Hauptstadt zeige. Der Fachkräftebedarf habe auch etwas Positives: "Wir haben auch in Berlin Jobs zu vergeben", vor zehn Jahren habe dies noch ganz anders ausgesehen.

Die Absolventen könnten sich einen Arbeitgeber aussuchen, ließ VW-Personalvorstand Gunnar Kilian die Studierenden wissen. Sie würden hier nur nach ihren Fähigkeiten beurteilt. Der Talentmarkt habe sich "total gedreht", bestätigte Birgit Bohle, Vorstandsmitglied der Deutschen Telekom. "Sie wählen uns aus, nicht mehr andersrum." Der Bedarf sei riesig, da "alles Software" werde. Die Telekom wolle etwa wissen, "wann der Router wahrscheinlich kaputtgehen wird. Dafür brauchen wir Daten, Intelligenz und Menschen, die das programmieren können."

Unterstützende, Management und Studierende

(Bild: Stefan Krempl)

"Vor hundert Jahren war dieser Ort einer der Technologievorreiter", erinnerte Max Senges, Chef der 42 Berlin, an die Geschichte der Geyer-Werke. Bei Post-Production und Vervielfältigung seien diese führend gewesen, selbst Leute aus Hollywood seien rübergekommen. Diese Tradition gelte es fortzuführen und auch die hier spürbare Energie "in die Politik zu tragen".

Wer bei einer der 42-Schulen dabei sein will, muss zunächst einen spielerischen Eignungstest durchlaufen, der beim Bestehen zu einem Bootcamp führt. In diesem "Piscine" (Schwimmbecken) sollen Bewerber die Grundlagen des Programmierens erlernen und ein Gespür dafür bekommen, dass das eigentliche Studium vor allem selbstbestimmtes Lernen ausmacht. Beim Einstiegsmonat und im Kernstudium setzen die Macher hauptsächlich auf C als Grundlagen- und Lernsprache. Es können aber auch viele andere Programmiersprachen erlernt und in Projekten genutzt werden.

(mho)