Schon kleine Anzahl an guten Radwegen bringt mehr Sicherheit

Längst nicht alle Straßen brauchen Radwege, um eine fahrradfreundliche Stadt zu bekommen. Ein neuer Algorithmus ermittelt die neuralgischen Routen.

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(Bild: Halfpoint/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Jan Oliver Löfken

Velorouten, Fahrradstraßen, Pop-Up-Bike-Lanes: Viele Großstädte verbessern nach und nach ihre Infrastruktur für den klimafreundlichen und ressourcenschonenden Radverkehr. Doch die Entwicklung hin zu ausreichenden Radwegenetzen für ein flottes und sicheres Radeln erfordert noch viel Zeit. Und nicht selten verzögert ein schmales Budget die dazu notwendigen Umbaumaßnahmen. Einen neuen Ansatz für die Radwegeplanung verfolgen nun theoretische Physiker um Malte Schröder an der Technischen Universität. Sie entwickelten einen ausgeklügelten Algorithmus, der Aspekte wie echte und gefühlte Sicherheit, das Verkehrsaufkommen im Radverkehr und schließlich zur Verfügung stehende Finanzmittel berücksichtigt.

Zu Beginn der virtuellen Planung eines Radwegenetzes gingen Schröder und Kollegen von einer idealen Fahrradstadt aus: Alle Straßen waren dabei mit guten Fahrradwegen ausgestattet. In weiteren Schritten wurden aus diesem idealen Netzwerk einzelne Radwege – Straße für Straße – wieder entfernt. Bei jedem Schritt ermittelte das Modell mehr oder weniger veränderte Routen, die die Radfahrer in einer Stadt nahmen.

Als Maßstab für die gewählten Routen wählte die Arbeitsgruppe die möglichst kurze Entfernung zwischen zwei Orten A und B. Allerdings nutzte sie nicht die pure geografische Entfernung, sondern eine vom Fahrradfahrer gefühlte. So zeigten bereits ältere Studien, dass sich eine Strecke auf einer stark von Autos befahrenden Straße für Fahrradfahrer um ein Vielfaches – bis zum Faktor 7 – länger anfühlt als die reale Entfernung. Im Unterschied dazu entspricht die gefühlte Strecke auf einer breiten Fahrradstraße durch einen Park tatsächlich der geografischen Entfernung. Dank dieses Ansatzes floss ein wesentlicher Parameter – die gefühlte Sicherheit – in die Routenwahl mit ein.

Diesen Algorithmus wendeten die Wissenschaftler nun auf Dresden und Hamburg an. Aus beiden Städten nutzten sie reale Bewegungsdaten von Radfahrern – gewonnen über dort verfügbare Bike-Sharing-Angebote. Diese Daten gaben das Radverkehrsaufkommen wieder und damit den Bedarf an Fahrradwegen zwischen einer Vielzahl von Orten – die Leihstationen für die Leihfahrräder.

Die Routenwahl von Radfahrerinnen und Radfahrer unterliegt diversen Entscheidungsfaktoren. Je nachdem, ob Straßen mit viel Autoverkehr (dicke Kanten) mit dedizierten Radwegen ausgestattet sind (blau) oder nicht (grau), nehmen Radfahrende die direkte Route (schwarzer Pfeil, unten links), nehmen Umwege in Kauf, um auf Radwegen zu bleiben (unten Mitte) oder über kleine Nebenstraßen (dünne Kanten) zu fahren (unten rechts).

(Bild: Christoph Steinacker)

Das Ergebnis dieser Modellierung war erstaunlich. Schon mit einer relativ geringen Anzahl gut ausgebauter Radwege kann eine Stadt eine hohe Fahrradtauglichkeit – von den Forschern "Bikeability" genannt – erreicht werden. Der Höchstwert von 1 entspricht dabei einer idealen Stadt mit Radwegen auf allen Straßen. Aber sowohl Dresden wie auch Hamburg erreichten schon mit vom Algorithmus ermittelten Radwegen entlang von 40 Prozent der Straßen sehr hohe Werte von mehr als 90 Prozent Fahrradtauglichkeit. So müssten also nicht so viele Straßen wie möglich, sondern nur eine bestimmte Auswahl davon mit guten Fahrradwegen ausgestattet werden, um einen sicheren und schnellen Radverkehr zu fördern. "Mit kleinem Investment der Kommunen kann man schon viel erreichen", sagt Malte Schröder.

Die Verkehrsplaner der beiden Städte hat Schröder allerdings noch nicht kontaktiert. Denn das Dresdner Bikeability-Modell berücksichtigt noch längst nicht alle für den Radverkehr wichtigen Parameter wie etwa Steigung, Straßenbelag, Art des Fahrrads (E-Bikes etc.), Baumbestand, Ampelschaltung oder verfügbarer Platz. Doch auch daran arbeiten die Physiker und ergänzten in einer neueren Version ihres Algorithmus beispielsweise die Steigung einer Straße, um diese bei der Routenwahl mit zu berücksichtigen.

Schröder will mit den Modellierungen aber nicht die Arbeit von Stadtplanern ersetzen. Vielmehr könnte der Algorithmus ein weiteres Werkzeug sein, um einen effizienten und möglichst günstigen Ausbau eines urbanen Radwegenetzes zu erleichtern. Analysen von weiteren Städten mit verfügbaren Bike-Sharing-Daten wie New York oder Rostock bestätigten ihm die Leistungsfähigkeit der Modellierungen. Überall ähnelten sich die Ergebnisse, dass mit relativ geringem Aufwand eine hohe Bikeability erzielt werden könnte.

(jle)