Internet Governance Forum: Freiheitsprinzipien mit Geburtsfehler

Die Entstehung der "Erklärung zur Zukunft des Internets" widerspricht ihren eigenen Prinzipien. Das und mehr wurde auf dem IGF kritisiert.

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(Bild: intgovforum.org)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Monika Ermert
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Die "Erklärung zur Zukunft des Internet", die die US-Regierung zum Internet Governance Forum (IGF) im vergangenen Jahr vorgelegt hatte, steht auch auf der derzeitgen IGF-Konferenz in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba in der Kritik. Die deutsche Cyber-Botschafterin Regine Grienberger sieht darin eine "harte Kost". Manche Länder kritisieren, nicht ausreichend beteiligt worden zu sein.

Die Erklärung zur Zukunft des Internets haben momentan 60 Staaten unterzeichnet. Sie verpflichten sich damit, Grundrechte im Netz zu sichern, an einem globalen Netz festzuhalten, für bezahlbaren Zugang für alle zu sorgen und die Grundlagen für Vertrauen ins digitale Ökomsystem zu schaffen. Das Netz solle Kommunikation, Innovation und Handel begünstigen. Die Erklärung richtet sich gegen den Einsatz von Algorithmen zur Überwachung von Bürgern, etwa über Sozialkredit-Systeme und Manipulation von Wahlen. Visionen eines demokratischen Internets seien in den vergangenen Jahren von "einigen autoritären Regierungen" in Frage gestellt worden, digitale Werkzeuge würden für Überwachung und Repression eingesetzt.

Unterzeichnet haben die Erklärung auch die EU-Mitgliedsländer, nachdem sie an dem US-Entwurf Hand angelegt hatten, berichtete Grienberger. Unter anderem hatten sie darauf gedrängt, die Erklärung in Bezug zu anderen Grundsatzdokumenten zu setzen. Außerdem sollte die Rolle nicht-staatlicher Stakeholder geklärt und aufgewertet werden. Die waren während der Entwicklung des Dokuments ebenso vergessen worden wie Länder außerhalb des westlichen Blocks. Damit wandten sich die Europäer gegen eine Ungereimtheit, denn ein Prinzip in der Zukunftserklärung besagt, dass Netzpolitik keine reine Staatsaffäre, sondern von den Multi-Stakeholdern getragen sein sollte.

Selbst Ungarn, dessen Demokratiefestigkeit auf dem Prüfstand steht, unterzeichnete schließlich die Erklärung. Die Europäer seien nach eigenen Beratungen – die parallel zu jenen über die "Europäische Erklärung zu Rechten und Prinzipien für das digitale Jahrzehnt" stattfanden – zu der Überzeugung gelangt, dass die Grundlagen eines freien, demokratischen Internet dringend bekräftigt werden sollten.

Grienberger sieht die Zukunftserklärung als Signal nach außen, aber auch nach innen. Denn für manche Ministerien seien einzelne Prinzipien der Erklärung "schwer zu akzeptieren", zum Beispiel Innenministerien. Auch gebe es "Fragen, die von Zeit zu Zeit neu gestellt werden müssen, etwa die Ausbalancierung der Rollen von öffentlicher Hand und privaten Akteuren, und dabei auch die zwischen Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft; aus europäischer Sicht auch die zwischen Big Tech und alternativen Ökosystemen", ergänzte die Cyber-Botschafterin.

Indien, Südafrika oder Brasilien haben sich der Erklärung wegen deren Entstehungsumständen nicht anschließen könnten, sagten IGF-Teilnehmer aus diesen Ländern. Inhaltlich könnte auch eine südafrikanische Regierung das Dokument durchaus unterstützen, erklärte etwa Anriette Esterhuysen von der Association for Progressive Communication. Sie kritisierte aber, dass Südafrika zur Abfassung nicht einbezogen worden zu sein. Ein Mangel, den Alan Davidson, Chef der US National Telecommunications and Information Agency, einräumte.

Inhaltlich sei etwa der Begriff like-minded partners fraglich. "Das wird für Blöcke genutzt und hat kaum etwas zu tun mit Grundsätzen und Werten, die auf nationaler Ebene durchgesetzt werden", meine Esterhuysen. Auch die von den USA und der EU initiierte Freedom Online Coalition von 2011 habe ihre Mitglieder nicht dazu bringen können, die unterzeichneten Online-Rechte zu garantieren. Davidson betonte, er würde es begrüßen, wenn die Zivilgesellschaft die Regierungen für Verstöße zur Rechenschaft ziehen würde.

Dass die Zukunftserklärung als Ansage gegen den nicht-demokratischen Teil der Welt aufgefasst werden könne, sei gewollt, sagte Davidson. "Wir wollten ein Dokument mit Zähnen. Die Unterzeichner wollten kein Dokument, das jedes Land unterschreiben kann", bekräftigte er. Grienberger hingegen hatte zuvor erklärt, es gehe nicht um ein "wir gegen die".

Sie verwies auf den Global Digital Compact (GDC), für den dann wieder alle um ihre Meinung befragt werden sollen. Mit dem GDN versucht UN-Generalsekretär Antonio Guterres, ein Grundsatzdokument für die digitale Welt im Konsens aller 193 Staaten zu entwickeln. Deutschland werde diesen Prozess in den kommenden Monaten als Gastgeber von Konsultationen in Kenia, Mexiko und Indien unterstützen, kündigte Grienberger an. In den Konsultationen sollen auch die nicht-staatlichen Akteure zumindest gehört werden.

(anw)