Abschiedsquatsch: Twitter verlassen, aber Facebook bespielen
Behörden, Organisationen und Personen: Viele verlassen Twitter, weil dort seit der Übernahme Hass und Hetze herrschen. Oder?
(Bild: Koshiro K/Shutterstock.com)
Twitter ist einfach nicht mehr dasselbe. Seit Elon Musk die ganzen Irren wieder freigelassen hat, liest man nur noch verqueres Zeug. Selbst Donald Trump bekommt wieder eine Bühne auf der Plattform. Ach nee, der ist ja trotzdem bisher gar nicht zurückgekommen. Aber Kanye West, also Ye, der hat gleich mal große Haufen auf Twitter hinterlassen. Okay, dafür wurde er dann doch wieder gesperrt.
Andrew Anglin ist zurück, ein Nazi auf der Flucht, weil er wegen einer Hasskampagne gegen jüdische Einwohner 14 Millionen US-Dollar Strafe zahlen muss. Er ist nicht der einzige Rechtsextreme, der dank Musks Quasi-Amnestie wieder tweeten darf. Das ist unschön. Mindestens. Stimmt. Behörden und Regierungen kündigen nun an, nicht mehr neben dem ganzen Hass und der Hetze stehen zu wollen. Moment, umrahmen jetzt Amtsmitteilungen Todesdrohungen und Beleidigungen? Sind die nicht verboten?
Blasen blubbern trotz des Chaos
Seit April, also seit die Übernahmepläne bekannt sind, wird ein regelrechtes Drohszenario aufgebaut. Elon Musk durfte selbst lange Zeit nur betreut twittern. Wenn er die Plattform übernimmt, wird sie zu Sodom und Gomorrha. Ja, seither ist einiges passiert, das äußerst chaotisch war und nicht im Sinne vieler Nutzerinnen und Nutzer. Es hat sicherlich einen gewissen Braindrain gegeben, kluge Köpfe sind abgewandert. Mastodon hat einen Hype erlebt und erlebt ihn noch. Werbetreibende haben kurz- oder längerfristig ihre Ausgaben auf Twitter eingestellt. Wir wissen zumindest, dass Apple recht schnell zurückkam. Eigentlich müssten wir uns doch alle freuen, wenn es weniger Werbung auf Twitter gibt.
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Tatsächlich dürfte es für viele Twitterer aber einfach kaum einen Unterschied in der täglichen Nutzung geben. Musk betont immer wieder, dass mehr aktive Nutzerinnen und Nutzer derzeit auf der Plattform unterwegs sind. Die Richtlinien verbieten nach wie vor Hass und Hetze. Es gibt Moderatoren und automatisiertes Löschen von Inhalten, die gegen diese verstoßen. Auch die Abwanderung zeichnet sich oft dadurch aus, dass Menschen einen Zweitaccount auf Mastodon eröffnen. Twitter wird nicht zwangsläufig gelöscht. Was zwar bei Mastodon absolut unerwünscht ist, geschieht dennoch nicht selten: Das gleichzeitige Posten von Beiträgen auf den beiden Plattformen. Viele Blasen blubbern noch und auch Medien und Unternehmen kommunizieren nach wie vor über Twitter.
Ein Quatsch-Abgang mit Pauken und Trompeten
Die Niedersächsische Landesregierung reiht sich nun zwischen Organisationen, Behörden und auch Personen, die ihren Abschied ankündigen. Sie soll nur stellvertretend genannt sein. Der Abschiedstweet klingt so: "Im Laufe des morgigen Tages werden wir den Account der Nds. Landesregierung löschen. Fehlende Kontrollen & mangelnde Verifizierung führen zunehmend zur Verbreitung von Hass & Hetze, Falschinformationen & Verschwörungserzählungen. Das ist für uns nicht länger hinnehmbar." Liebes Social-Media-Team in der Niedersächsischen Staatskanzlei und der vielen anderen Ministerien und Behörden, warum seid ihr noch bei Facebook? Gab es da nicht diesen Skandal, nein, diese vielen zahlreichen Skandale und Probleme mit Hass und Hetze?
Ich möchte auch nicht neben einem menschenverachtenden Idioten sitzen – bei Twitter ist die Chance dazu größer geworden. Die Auflösung der Teilung "die bei Parler" und "wir bei Twitter" mag seine Schwierigkeiten mit sich bringen. Aber zu behaupten, Twitter sei nun der Abgrund geworden und man müsse sich mit Pauken und Trompeten verabschieden, weil man sich damit gefühlt auf die Seite der Guten stellt, ist auch Quatsch. Wichtiger wäre es dann, einen Weg zu finden, in sozialen Netzwerken unsere Gesetze durchzusetzen. Denn Hass und Hetze sollten nirgends Platz haben und gehören bekämpft.
(emw)