Prokrastination: "Aufschieben ist genauso falsch, wie alles gleich erledigen"

Wer ständig wichtige Aufgaben verschiebt, prokrastiniert. Das Gehirn zwingt solche Leute in einen Teufelskreis, der sie immer wieder zum Aufschieben verleitet.

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(Bild: Adam Van Spronsen / Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Peter Ilg

Wer wichtige Arbeiten immer wieder aufschiebt, muss nicht zwangsläufig faul sein. Dieses Verhalten kann in mangelnder Impulskontrolle liegen. Solche Menschen lassen sich leicht ablenken, mitunter, weil es ihr Gehirn erlernt hat, dass Aufgaben verschieben glückseliger macht, als sie zu erfüllen. Jeder fünfte Berufstätige prokrastiniert, erledigt nicht, was wichtig ist. Jede Anfrage sofort zu beantworten, ist genauso falsch, sagt der Wirtschaftspsychologe Florian Becker. Der Professor für Organisationspsychologie rät dazu, Aufgaben zu priorisieren. Das hilft gleich doppelt: gegen prokrastinieren und auch gegen ein rein reaktives Verhalten.

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Wie wahr ist das vielzitierte Sprichwort: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen?

Wenn wir auf die Auswirkungen schauen, die eintreten, wenn jemand prokrastiniert, steckt viel Wahrheit in dem mahnenden Satz. Denn das grundlose Hinauszögern wichtiger Aufgaben führt zu Schuldgefühlen, Sorgen, Stress, weil man weiß, dass es nicht richtig ist, etwa den Beginn eines Projekts mit Deadline unnötig zu verzögern.

Was ist die Konsequenz aus dem Verschieben und Vermeiden von Aufgaben?

Einmal das schlechte Gefühl. Prokrastinieren hat zudem harte Konsequenzen. Studien zeigen, dass Menschen, die ständig Arbeiten vor sich herschieben, weniger erfolgreich sind im Beruf, weil sie weniger leisten und deshalb letztendlich weniger verdienen.

Prokrastination schadet Menschen, viele wissen das. Warum gehen sie dann immer wieder wichtigen Aufgaben bewusst aus dem Weg?

Meist verschieben wir unangenehme Aufgaben, die zwar keinen Spaß machen, aber dennoch erledigt werden müssen. Dieses Wissen erzeugt Druck auf uns und führt zu einem Teufelskreis: Unser Gehirn lernt, dass es diesen Druck durch Ablenken mit einer anderen Aufgabe betäuben kann, die unmittelbaren Erfolg verspricht. Schreibtisch aufräumen – und er ist aufgeräumt. Ein Post auf Social Media – der führt postwendend zu Likes. Diese Erfolge setzen im Gehirn Belohnungsstoffe frei und es lernt ein dysfunktionales Verhaltensmuster: Wenn Druck aufkommt, dann lenke dich mit Nebensächlichem ab. Prokrastinierende haben sich ein solches Verhalten angewöhnt. Pseudo-Erfolge halten sie vom Wesentlichen ab. Das ist ihr Problem

Welcher Typ Mensch ist anfällig fürs Aufschieben, welcher immun?

Jüngere Menschen sind von Prokrastination stärker betroffen als ältere. Die Hälfte der Studierenden leidet darunter, weil sie etwa nicht rechtzeitig beginnen zu lernen und sich schwertun mit der Motivation. 50 Prozent ist schon eine richtig große Hausnummer. Im Laufe ihres Lebens entwickeln Menschen aber Strategien, um mit bestimmten Situationen umzugehen. Deshalb nimmt Aufschieben mit zunehmendem Alter ab. Gefährdet sind auch Menschen mit schwacher Impulskontrolle. Solche Personen sind nicht in der Lage, ihre augenblicklichen Bedürfnisse zu kontrollieren, obwohl sie wissen, dass diese ihnen schaden. Kontrolle bedeutet stets, im Moment etwas zu opfern, um in Zukunft etwas zu gewinnen. Selbstdisziplin ist schwierig, aber notwendig, auch gegen Prokrastination. Bei den Erwachsenen leidet etwa jeder Fünfte unter schwerer Prokrastination und zwar so sehr, dass sie handlungsunfähig sind. Menschen mit psychischen Problemen wie depressiven Stimmungen sind darüber hinaus gefährdeter als andere.

Gibt es Berufsgruppen, die besonders häufig unter Prokrastination leiden?

Wer an den willkommenen Quellen der Ablenkung sitzt – das sind Computer, Handys, Internet – ist ständig der Gefahr ausgesetzt, sich abzulenken. Fließbandarbeit schließt das eher aus. Je eigenständiger und hochqualifizierter die Arbeit ist, desto größer ist das Risiko von Prokrastination. Viele unterbrechen ihre Arbeit selbst: Sie lesen E-Mails, obwohl sie etwa anderes machen sollten. Sie schauen, was auf Social-Media los ist und aufs Smartphone. Alle vier Minuten werden Wissensarbeiter in ihrem Tun unterbrochen, überwiegend von Innen. So verlieren sie über zwei Stunden Arbeitszeit pro Tag.

Ab wann ist Verschieben gefährlich?

Eine subjektive Größe ist der Punkt, ab dem Betroffene leiden und sich unwohl fühlen. Objektiv betrachtet ist er erreicht, wenn jemand am Arbeitsplatz nicht mehr handlungsfähig ist, etwa Fristen versäumt. Wer sich regelmäßig damit schwertut, eine wichtige Aufgabe pünktlich zu beginnen, wer zwar beginnt, dann aber aufhört oder wer halbe Sachen abliefert, der sollte wissen, dass dies Alarmzeichen dafür sind, dass Prokrastination seinen Alltag bestimmen will.

Wie lässt sich Verschieben für Gefährdete vermeiden? Geben Sie bitte drei Tipps.

Erstens. Alles was ablenken kann abstellen. Pop-up-Nachrichten am Computer deaktivieren, feste Zeiten definieren, in denen E-Mails gelesen werden, das Handy außer Sichtweite legen und lautlos stellen. Zweitens: Falsche Glaubenssätze ablegen. Wer sagt, er arbeite unter Druck am besten, unterliegt einem dysfunktionalen Glaubenssatz, weil er dazu führt, dass zu spät begonnen wird. Das ist Prokrastination. Und drittens: einfach anfangen. Das ist ein zwar ein triviales, aber wirksames Instrument gegen Aufschieben, denn wer etwas beginnt, macht meistens weiter.

Zurück zum Anfang unseres Gesprächs: Haben es diejenigen leichter, die immer alles sofort erledigen, also nichts auf morgen verschieben?

Nein. einfach alles, was kommt, sofort erledigen – das ist ebenso kein guter Ansatz. Richtig ist es zu priorisieren, auch bewusst einmal nein zu sagen oder Unwichtiges nach hinten zu schieben. Eine sinnvolle Erholungspause einzulegen, anstatt eine unwichtige Nachricht zu posten. Oder sich vorher gründlich zu überlegen, was man macht, bevor man anfängt. Das alles ist kein Prokrastinieren. Wer immer alles sofort erledigt, ist rein reaktiv, fremdbestimmt und kommt überhaupt nicht mehr dazu, die Sachen zu tun, die wirklich wichtig sind. Das ist genauso schädlich wie prokrastinieren.

(axk)