Was war. Was wird. Im Jahr des Wasserhasen

Hal Faber grübelt über den Radikalenerlass und die Aufgaben der Generationen und wirft seine Glaskugel hinter den e-Rezept-Enthusiasten her.

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Die Murmelmanie der Reichen kennt keine Grenzen.

(Bild: SokolovsPhotography/Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Heute fängt ein neues Jahr an, jedenfalls in China. Willkommen im Jahr des Wasserhasen. Die einen sehen mit "Hongtu Dazhan", dass große Pläne voranschreiten, die anderen sehen Ruhe und Harmonie auf uns zukommen. Dann gibt es noch welche, die in dieser Woche nach Davos schauten und China im großen Aufbruch sahen. Doch was heißt das schon? Wie schreibt das Fachblatt für Märkte und Murmeln: "Auch dieses Jahr war Davos eine Versammlung von 3000 Menschen, die gemeinsam in ihre Glaskugeln schauen und gleichzeitig versuchen, unauffällig einen Blick in die Glaskugel der Sitznachbarn zu erhaschen." Die Murmelmanie der Reichen kennt keine Grenzen und so klingt es wunderbar in den Ohren, wenn im Jahr des Wasserhasen die Volksrepublik auf ihren normalen Wachstumspfad zurückkehrt. Die Weltbank und der Industrieverbandspräsident sind beglückt, meldet nd-aktuell, wo man Journalismus von links betreibt.

*** So geschrieben in einer Zeitung, der Bundesolaf ein großes Interview gibt, mit dem Ratschlag, doch bitteschön lieber dagegen zu demonstrieren, dass es sechs Jahre braucht, bis eine Windkraftanlage genehmigt wird. Das Ziel müsse sein, jeden Tag drei bis vier große Windkraftanlagen in Deutschland aufzustellen, verkündete der oberste Sozialdemokrat, nur um tags darauf nach Lubmin zu reisen: Innerhalb von wenigen Monaten "wurden die Terminals geplant, genehmigt und gebaut". Da sind Windkraftanlagen von einem ganz anderen Kaliber. Das eigentliche Problem sind nicht die Windkrafträder und diese Hippies da in Lützerath, sondern die Verhandlungen mit RWE, die von den grünen WirschaftsministerInnen Habeck und Neubaur im Geheimen geführt wurden. Das in Kombination mit dem angeblichen Riesenerfolg bei diesen Verhandlungen, wie es die Parteispitze darstellt, ist harter Tobak für eine Partei, die sich dem Umweltschutz verschrieben hatte.

*** Dann gibt es noch den Journalismus von links unten. Der hat in diesen Tagen dazu geführt, dass ein schlichter Link in einem Artikel als Anlass für eine Durchsuchung herhalten musste, was als Einschüchterungsversuch der Presse kritisiert wurde. Mit dem Link habe das Radio Dreyeckland als verlängerter Arm einer verbotenen "Vereinigung" eben diesen Verein unterstützt. Besonders apart ist dabei die Begründung mit dem Foto einer Hauswand mit dem Slogan "Wir sind alle Linksunten/Indymedia". Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft argumentierte, dass das "bildliche Statement von dem angesprochenen Leserkreis als eine sich die unterstützende Tendenz zu eigen machende Meinungsäußerung der Verfasser verstanden werden" müsse. Wie der "angesprochene Leserkreis" aussehen mag, ob klein wie der Stuhlkreis in einer Kita oder groß wie der Leserkreis Daheim wurde nicht gesagt. Irgendwo dazwischen liegt mein Leserkreis und der weiß seit dieser Wochenschau, dass schon die zum Verbot getätigte Gleichsetzung von Indymedia (linksunten) mit Altermedia (rechtsaußen) ziemlich fragwürdig war. Wie schrieb ich damals: "Die kleine Frage, ob ein Link zu einer extremistischen Seite strafbar ist, steht wieder einmal im Bällebad und will abgeholt werden." Da steht sie heute noch, denn Frage der Strafbarkeit blieb nach der Aktion off, weil der Autor des Dreyeckland-Artikels von sich aus zu Protokoll gab, dass er den Artikel verfasst hat. Zwei Privatwohnungen und der Radiosender wurden durchsucht und das Fazit ist ernüchternd: "Der Eingriff in die Grundrechte der Beschuldigten ist allerdings so oder so erfolgt, selbst wenn sich die Maßnahme hinterher als unverhältnismäßig erweisen sollte."

*** Nicht weit vom Dreyeckland entfernt ist dieser Tage etwas passiert, was überfällig war. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat einen offenen Brief an die Betroffenen des Radikalenerlasses geschickt und sich für den Erlass seitens The Länd entschuldigt: "Sie haben zu Unrecht durch Gesinnungsanhörungen, Berufsverbote, langwierige Gerichtsverfahren, Diskriminierungen oder auch Arbeitslosigkeit Leid erlebt. Das bedauere ich als Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg sehr." In gewissen Grenzen gehörte Kretschmann selbst zu den Opfern des Erlasses, der in Baden-Württemberg besonders streng ausgelegt wurde. Er hatte zeitweilig ein Berufsverbot, doch das wurde nach Fürsprache von Georg Turner, dem Präsidenten der Universität Hohenheim aufgehoben. Kretschmann studierte in den 70er-Jahren an der damaligen Agrarhochschule Biologie und war Mitglied des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW). Erst vor kurzem feierte der Grüne seine Universität als "Silicon Valley der deutschen Agrarwirtschaft". Im offenen Brief schreibt Kretschmann über die Demokratie als lernende Veranstaltung: "Zugleich muss die Demokratie immer auch den liberalen Grundsinn ihrer Ordnung beachten. Dazu gehört auch das Wissen, dass Menschen sich ändern und dazulernen können. Das genau ist ja ein Grundsinn von Freiheit – sich auch anders entscheiden und Dinge anders und besser machen zu können. Menschen, die heute abwegige und irrige Positionen vertreten, sind in fünf oder zehn Jahren vielleicht klüger geworden und denken anders. Solche Lernprozesse muss die liberale Demokratie nicht nur zulassen, sondern auch fördern und wertschätzen. Ich selbst bin heute noch dankbar dafür, dass die Demokratie mir diese Chance gegeben hat." Aus dem roten Pascha ist ein guter Landesvater geworden, freilich einer mit schwäbischer Sparsamkeit: Eine Rehabilitation oder gar Entschädigung kostet, gibt es also nicht.

*** Heute beginnt nicht nur das Jahr des Wasserhasen in China, heute darf auch in Europa gefeiert werden. Denn heute vor 60 Jahren wurde die deutsch-französische Freundschaft mit Élysée-Vertrag besiegelt. Unterzeichnet wurde der Vertrag von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle. Grund genug für eine Zeitung, einen Gartenzwerg mit einem Baguette im Arm zu zeichnen, der Rest ist zl,ng bzw tl,npl. De Gaulle weigerte sich seinerzeit, Adenauer zu umarmen und schob Pompidou und Adenauer zusammen, wie Kinder, die sich vertragen sollen. Grund genug für Olaf Scholz und Emmanuel Macron, einen Besinnungsaufsatz in der Zeitung für kluge Köpfe zu veröffentlichen. Weil beide arme Schlucker sind, steht der Text hinter einer Euro-Wall, also her mit dem Zitatrecht für den bewegenden Schluss: Unsere Generation hat die Aufgabe, mit ihren Träumen die Zukunft der nächsten Generation zu gestalten. Europa zu vervollständigen, zu verbessern und zu stärken, erfordert Anstrengungen gigantischen Ausmaßes; doch haben uns die vergangenen sechzig Jahre gelehrt, dass nichts unmöglich ist, wenn wir Seite an Seite stehen." Klingt gut, doch wenn man Seite an Seite steht, muss man einander zuhören und gelegentlich gemeinsam sprechen, etwa bei den Panzerlieferungen an die Ukraine zur Verteidigung und Vervollständigung Europas. Da ist es schon witzig, dass der neue Verteidigungsminister (ja, ich habe mich hier geirrt, die Parität ist eine Papiertigerin) erst einmal nachzählen muss, wie viele Leoparden eigentlich herumstehen. Kann es sein, dass unsere Bundeswehr eine Art Wirecard-Armee ist?

*** Jetzt ist jemand gegangen, der sich beinahe die Haare abgeschnitten hatte, aber bis zum Schluss die Matte trug und jemand, den man Terroristenanwalt nannte und der doch Kinderbücher schrieb, über das Pferd Huppdiwupp und andere lustige Geschichten. Das Beste aus den 60er und 70er-Jahren gibt es nur noch bei manchen Radiosendern und die hören sich ganz grauenvoll an.

So werden Erfolgsstorys geschrieben: Eine Million e-Rezepte sind eingelöst worden in diesem unseren Land, in dem jährlich 500 Millionen Rezepte von Ärzten und Zahnärzten verordnet werden. Letztere sind etwas angefressen und laufen mit geplatztem Kragen herum, weil sie den Erfolg nicht sehen. Dann gibt es noch die e-Rezept-Enthusiasten, eine Aktivistengruppe, die sich am kommenden Mittwoch vor dem Bundesgesundheitsministerium auf die Straße kleben wollen, weil das Ministerium die Rezept-Digitalisierung blockiert. Oder so. Der arme Doktor Lauterbach, der hat doch genug Probleme. Da ist seine Impfkampagne "Ich schütze mich" ausgelaufen und nun stellt sich heraus, dass die Auftragsvergabe für sie nicht rechtmäßig gewesen sein könnte.

(bme)