Gegen Scheinselbständigkeit: EU-Parlament will Plattformarbeiter besser stellen

Wer für Plattformen wie Lieferdienste arbeitet, soll nicht schlechter gestellt werden als traditionelle Arbeitnehmer. Keiner soll "Sklave des Algorithmus" sein.

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(Bild: Clare Louise Jackson/Shutterstock.com)

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Das EU-Parlament hat am Donnerstag mit vergleichsweise knapper Mehrheit von 376 zu 212 Stimmen bei 15 Enthaltungen seine Position zur geplanten Richtlinie für bessere Bedingungen für Plattformarbeiter abgesteckt. Die Regeln sollen demnach helfen, die Scheinselbstständigkeit in diesem Sektor zu bekämpfen. Diese führte oft zu prekären Arbeitsbedingungen und mangelndem Sozialschutz, aber auch zu unlauterem Wettbewerb, begründen die Abgeordneten ihre Linie. Der von einem Plattformbetreiber wie Bolt, Deliveroo, LiveOps, Lyft, Uber oder Wolt definierte Beschäftigungsstatus soll daher vom Arbeitnehmer, einer Gewerkschaft oder einer nationalen Behörde angefochten werden können.

Gesetzlich ist dem Parlament zufolge zunächst davon auszugehen, dass etwa Fahrer fest angestellt sind. Im Falle eines Rechtsstreits soll die Plattform – und nicht der Arbeitnehmer – beweisen müssen, dass die entsprechende Person selbstständig ist. Die Abgeordneten haben auch eine Liste von Kriterien eingeführt, um den Beschäftigungsstatus zu bestimmen. Dazu zählen etwa ein festgelegtes Gehalt, eine bestimmte Arbeitszeit nach Plan, Bewertungssysteme, die Überwachung eines "Gig Workers", Regeln für das Erscheinungsbild oder das Verhalten. Eingeschränkte Möglichkeiten, für Dritte zu arbeiten, oder eine begrenzte Freiheit, eine Unfallversicherung oder ein Rentensystem zu wählen, sprechen ihnen zufolge ebenfalls für eine Festanstellung.

Verhindern will das Parlament, dass automatisierte Systeme wichtige Entscheidungen etwa zu Arbeitseinsätzen oder zur Bezahlung treffen. Die Mitgliedstaaten sollen sicherstellen, dass alle Schritte, die sich wesentlich auf die Arbeitsbedingungen auswirken, von Menschen überwacht werden. Für Plattformen wird dem Beschluss nach die Pflicht gelten, die Arbeitnehmer darüber zu informieren, wie die algorithmische Kontrolle genutzt wird und wie sie sich auf ihr Arbeitsverhältnis, ihre Gesundheit, ihre Sicherheit und ihre Arbeitsbedingungen inklusive Ausschlüssen, Beförderungen und Aufgabenzuweisungen auswirkt. Die Betreiber sollen ferner die Folgen automatisierter Entscheidungssysteme etwa auf die Grundrechte bewerten müssen.

Die Abgeordneten haben dem ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission auch Bestimmungen hinzugefügt, um den Informationsaustausch zwischen den zuständigen Arbeits-, Sozialschutz- und Steuerbehörden in grenzüberschreitenden Fällen zu intensivieren und abschreckende Sanktionen verhängen zu können. Sie unterstützen den Ansatz der Brüsseler Regierungsinstitution, dass die Regeln für alle digitalen Arbeitsplattformen gelten sollen, unabhängig vom Ort ihrer Niederlassung, solange die Tätigkeiten in der EU ausgeführt werden. Umfasst werden sollen auch Dienste, die Outsourcing oder die Vergabe von Aufgaben für eine große Zahl von Kunden online anbieten (Crowd-Working). Taxi-Betriebe sollen weiter national geregelt werden.

Miriam Lexmann von der konservativen Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) hatte die Empfehlung des federführenden Ausschusses für Beschäftigung und Soziales zunächst erfolgreich angefochten. Verbände wie der Delivery Platforms Europe (DPE) waren gegen das Vorhaben Sturm gelaufen. Letztlich fand die Ausschussvorlage aber doch eine Mehrheit. Berichterstatterin Elisabetta Gualmini von den Sozialdemokraten sprach von einem ausgewogenen Dossier. Plattformarbeiter würden nicht automatisch neu eingestuft, wie etwa Bolt noch am Morgen behauptet habe. Es dürfe aber keiner zum "Sklave des Algorithmus" werden: "Wir wollen nicht, dass Maschinen unseren Arbeitsmarkt beherrschen." Der Ausschuss kann nun die Verhandlungen mit dem Ministerrat aufnehmen, sobald dieser seine Position festgezurrt hat.

Update

Korrektur im letzten Absatz: Berichterstatterin Gualmini sprach vom Unternehmen Bolt, nicht Wolt.

(mho)