Startprobleme beim Netzsperren-Gesetz

Das heftig umkämpfte "Zugangserschwerungsgesetz" kann nicht planmäßig zum 1. August in Kraft treten, da der Entwurf dem Bundespräsidenten noch nicht zur Prüfung vorliegt.

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Das heftige umkämpfte "Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen" kann nicht planmäßig zum 1. August in Kraft treten. Dazu hätte das Normenwerk am heutigen Mittwoch im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden müssen, was aber nicht der Fall ist. Bevor die offizielle Veröffentlichung erfolgen kann, muss das Gesetz vom Bundespräsidenten unterschrieben werden. Im Präsidialamt kann derzeit mit der Prüfung des Vorhabens aber noch nicht einmal begonnen werden. Wie ein Sprecher Horst Köhlers gegenüber heise online bestätigte, "ist das Gesetz noch nicht bei uns gelandet".

Das vom Bundestag Mitte Juni beschlossene und vom Bundesrat am 10. Juli abgesegnete Gesetz befindet sich demnach noch auf dem Weg durch die Instanzen. Bevor es beim Bundespräsidialamt aufschlägt, wird es von den zuständigen Fachministerien noch einmal gegengelesen. Zur Zeit befinde es sich im Notifizierungsverfahren bei der EU-Kommission, erläuterte ein Sprecher der Familienministerin. Bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens seien parallel aber die Verträge des Bundeskriminalamts (BKA) mit fünf großen Providern gültig. Die Frist für den Prüfprozess in Brüssel läuft bis Anfang Oktober. Als Starttermin für die Web-Sperren haben Zugangsanbieter wie die Deutsche Telekom oder Vodafone Mitte Oktober im Visier.

Der Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur hatte Köhler bereits gleich nach der Bestätigung der Initiative durch die Länder dazu aufgefordert, das Gesetz zu stoppen. Es sei aus formalen und inhaltlichen Gründen offensichtlich nicht verfassungskonform, warnten die Kritiker des Aufbaus einer allgemeinen Zensurinfrastruktur. Auch Juristen haben schwere Bedenken angemeldet. Von der Leyen will Web-Sperren dagegen auch nach der Bundestagswahl im Herbst unbedingt vorantreiben.

Michael Rotert, Vorstandsvorsitzender des Verbands der deutschen Internetwirtschaft eco, hat derweil in der "taz" einen "erschreckenden Ausblick" auf die Zukunft der Internetzensur gegeben. Er fürchtet, dass die Filterlisten künftig nicht nur kinderpornographische Seiten beinhalten. Wenn semantische Verfahren erst einmal weiterentwickelt seien, könnten Kontrolleure "auch nach beliebigen Inhalten per Beschreibung" suchen. Allerdings seien die Verfahren noch nicht für den Einsatz direkt im Datenstrom geeignet. Zusätzlich müsse dann auch die Infrastruktur überwacht werden, "damit ja nichts am Staat vorbeigeht".

Die Anzahl der Einträge in eine Sperrliste ist laut Rotert zudem endlich: "Irgendwann geht die Bandbreite in die Knie, weil das Netz nur mit Nachschauen beschäftigt ist, ob der Eintrag umgelenkt werden muss." Den Befürwortern des Zugangserschwerungsgesetzes warf er vor, das sensible Thema und die Opfer für den Wahlkampf zu missbrauchen. Bei dem Vorstoß handle es sich um eine "Verhöhnung" der Wähler, da mit den Blockaden "nicht einmal Opferschutz oder Täterverfolgung" geboten würden.

Der Bundesvorstand der Grünen hat sich unterdessen von den Äußerungen des Fraktionsvorsitzenden der Grünen in der Bremischen Bürgerschaft, Matthias Güldner, distanziert, wonach sich Gegner des Zugangserschwerungsgesetze für die "Rechtsfreiheit" des Cyberspace stark machen würden. Das Vorhaben von der Leyens und der großen Koalition, den Aufbau einer umfassenden Sperrinfrastruktur umzusetzen, "haben wir klar abgelehnt", heißt es in der Erklärung. (Stefan Krempl) / (vbr)