Geschenk an die Telekom: EU-Kommission will alte Kupferleitungen teurer machen

EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton drängt auf "Regulierung light", um Gigabit-Netze zu fördern. Herausforderer der Alt-Monopolisten laufen dagegen Sturm.

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Kabelrollen stehen neben einem offenen Schacht

Verlegungsarbeiten in der kanadischen Stadt Lethbridge

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

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Die EU-Kommission will den Wechsel auf Gigabit-Netze wie Glasfaser mit einem ungewöhnlichen Mittel beschleunigen: mit höheren Preisen. Netzinhaber mit beträchtlicher Marktmacht wie die Deutsche Telekom in Deutschland oder Orange in Frankreich sollen die Mieten für Kupferleitungen, die Mitbewerber für deren Nutzung zahlen müssen, erhöhen dürfen – sofern Konkurrenten und Endkunden die Möglichkeit haben, auf ein Netz mit sehr hoher Kapazität zu wechseln.

"Dies würde es ermöglichen, die wirtschaftlichen Ineffizienzen zu berücksichtigen, die sich aus der parallelen Aufrechterhaltung zweier Netze ergeben", schreibt der federführende EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton in einem heise online vorliegenden Entwurf für eine Empfehlung der Brüsseler Regierungsinstitution zur "regulatorischen Förderung der Gigabit-Konnektivität". Den alteingesessenen Betreibern werde so ein Anreiz gegeben, "einen Stilllegungsplan vorzulegen" und baldmöglichst umzusetzen. Eine "Annäherung" der Preise für kupferbasierte Dienste wie DSL mit Vectoring an jene für Glasfaser & Co könnte Endnutzer und konkurrierende Internet Service Provider dazu drängen, auf ein Gigabit-Netz zu wechseln.

Eine solche Entgelterhöhung, die nationale Regulierungsbehörden wie die Bundesnetzagentur wohlwollend in Betracht ziehen sollen, müsste laut Kommissar Breton "eine vorübergehende Maßnahme sein" und mit "angemessenen Schutzmaßnahmen einhergehen, um den Wettbewerb zu erhalten". Der Kommissar will damit auch "den inflationären Auswirkungen der Migration der Kunden" von Kupfer- zu Glasfasernetzen auf die Kosten des Betriebs der alten Leitungen Rechnung tragen. Momentan vermietet etwa allein die Telekom noch millionenfach Kupferanschlüsse an die Wettbewerber. Für sie könnte dieses Geschäft der Initiative zufolge innerhalb der vorgesehenen Übergangszeit noch einmal deutlich lukrativer werden.

In Anbetracht des Tempos des Übergangs hält es Breton für wichtig, allen Betreibern mit Investitionen in Gigabit-Netze "ein gewisses Maß an Flexibilität bei der Preisgestaltung einzuräumen". Dies sei nötig, "damit Betreiber mit beträchtlicher Marktmacht Preispunkte testen und eine angemessene Preisgestaltung für die Marktdurchdringung vornehmen können".

Zudem schlägt der Kommissar vor, dass sich die Altmonopolisten mit ihren Leitungsmietern "einen Teil des Investitionsrisikos teilen", indem sie die Vorleistungsentgelte nach dem von den Mietern gewählten "Verpflichtungsgrad" differenzieren. Er hält niedrigere Preisen für langfristige Verträge mit Mengengarantien für sinnvoll. Ferner könnten die Provider mit unterschiedlichen Tarifen auf dem Endkunden-Breitbandmarkt "den Verbraucherpräferenzen besser gerecht" werden.

Bei Hochgeschwindigkeitsnetzen sollen die nationalen Regulierer zugleich erwägen, die sonst verpflichteten Preiskontrollen nicht durchzuführen oder auszusetzen, "sofern ausreichende Wettbewerbsgarantien vorhanden sind". Schutzvorkehrungen seien aber weiter erforderlich, um zu verhindern, dass die ins Spiel gebrachte Flexibilität zu überhöhten Preisen und kartellrechtlich bedenklichen Praktiken führe.

Generell will Breton bei den Vorgaben Spielräume im Europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation nutzen. Neue Gigabit-Netze sollen nicht mit gleicher Intensität reguliert werden wie die aus den ehemaligen Monopolen erwachsenen Kupfernetze. Die Kontrolleure könnten auf Eingriffe wie vorherige Preisvorgabe für spezielle Produkte und spezifische Vorschriften gegen Diskriminierung verzichten. Bisher unterliegen die Anschlussleitungen der Platzhirsche der sogenannten Ex-ante-Regulierung, die sehr detailliert ist. Künftig sollen Entgelte meist nur noch bei Auffälligkeiten im Nachhinein überprüft werden. Die Bundesnetzagentur ist mit einem solchen Kurs bereits vorgeprescht.

Die geplante EU-Empfehlung konzentriert sich vor allem auf die Teilnehmeranschlussleitung (TAL) auf Vorleistungsebene, also die "letzte Meile" des Netzes zum Endkunden. Kommerzielle Vereinbarungen über den Zugang dazu, Ko-Investitionen und Open-Access-Absprachen werden dem Vorschlag zufolge häufiger vorkommen. Solche freiwilligen Übereinkünfte sollten von den Regulierern bei der Bewertung der Wettbewerbsdynamik berücksichtigt werden. Wenn sie auf Dauer angelegt und nachhaltig seien, könnten sie "zu der Schlussfolgerung beitragen, dass ein bestimmter Großhandelsmarkt keine Vorabregulierung mehr rechtfertigt".

Bei Telekom-Herausforderern kommen die skizzierten Leitlinien für Regulierungsbehörden nicht gut an. Was Breton plane, "wäre für Deutschland fatal, da hier der Telekom jetzt schon mit die höchsten Überrenditen im gesamten europäischen Markt zugestanden werden", moniert Jürgen Grützner, Geschäftsführer des Branchenverbands VATM, "Die Kunden werden über die Vorleistungspreise der Telekom schon heute dazu gezwungen, für uralte, längst abgeschriebene Kupferleitungen fiktive Neubaupreise" wie für eine Glasfaserleitung zu zahlen. Laut einem Gutachten überstiegen die von den Wettbewerbern gezahlten Entgelte zwischen 2011 und 2025 die tatsächlichen Kosten der Telekom um mehr als acht Milliarden Euro.

Allein der Wettbewerb beim Glasfaserausbau und nicht solche "künstlich hohen Preise" zwangen die Deutsche Telekom laut Grützner "endlich zum strategischen Umdenken". Die Querfinanzierung aus den Überrenditen ermögliche es der Telekom heute, die auf Glasfaser setzenden Unternehmen zu überbauen "und aus dem Markt zu drängen". Der Vorschlag sei zudem politisch brisant, da Breton selbst einmal Chef von France Télécom (Orange) war und den Ansatz als Empfehlung am EU-Parlament vorbeischleusen wolle.

Auch der EU-Dachverband ECTA ist entsetzt über das "undemokratische" Vorhaben. Dieses würde sich sehr negativ auf Wettbewerb und Investitionen in Gigabit-Netze auswirken. Dazu kämen höhere Preisen für die Verbraucher, die die Inflation anheizten. Bretons Empfehlungen würden zudem den bestehenden Regulierungskodex in vielen Punkten außer Kraft setzen.

(ds)