Wissenschaftszeitvertragsgesetz:​ Wird es es für Doktoranden wieder einfacher?​

Die Abbrecherquote unter Doktoranden ist sehr hoch, weil es keine verlässlichen Verträge für die Zeit der Promotion gibt. Das könnte sich bald ändern.

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(Bild: Iakov Filimonov/Shutterstock.com)

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Von
  • Peter Ilg
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Doktoranden hangeln sich an Deutschlands Hochschulen von einem zum nächsten Zeitvertrag, um ihre Promotion eventuell abschließen zu können. Zwei Drittel geben laut Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs auf. "Die hohe Abbruchquote hat mit den Kurzzeitverträgen zu tun, die häufig nicht verlängert werden, und mit der Abwanderung zu anderen Arbeitgebern, bei denen bessere Bedingungen angeboten werden", sagt Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW und Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung. Die befristeten Kurzarbeitszeitverträge der Hochschulen für wissenschaftliche Mitarbeitende passen nicht mehr in eine Zeit mit massivem Fachkräftemangel.

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84 Prozent aller wissenschaftlichen Mitarbeitenden an Universitäten und 78 Prozent an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften sind befristet beschäftigt. Das hat die Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ergeben, die im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, BMBF, erstellt und im Mai vergangenen Jahres vorgestellt wurde. Leider ist nicht bekannt, wie sich diese befristeten Beschäftigungsverhältnisse auf Doktoranden und Postdocs verteilen. "Wir gehen davon aus, dass der Befristungsanteil dieser Gruppen bei weit über 90 bis nahezu bei 100 Prozent liegt", sagt Keller. Die GEW fordert die Hochschulen auf, Verträge mit einer Regellaufzeit von sechs Jahren anzubieten. Das wäre vernünftig, denn dann hätten die Promovierenden die Sicherheit einer Stelle während ihrer Promotionsdauer.

Laut Statistischem Bundesamt waren zum Jahresende 2021 rund 200.000 Doktorandinnen und Doktoranden in Deutschland als Promovierende eingeschrieben. Sie alle waren oder sind mehr oder weniger permanent auf der Suche nach einem Anschlussvertrag. Das ist ein immenser organisatorischer Aufwand für die Doktoranden selbst sowie für die Forschungs- und Personalabteilungen der Hochschulen. Denn die durchschnittlichen Laufzeiten der Zeitverträge liegen laut Evaluationsbericht an den Universitäten bei 18 Monaten, an den Hochschulen für Angewandten Wissenschaften sind es 15 Monate. Bei einer durchschnittlichen Promotionsdauer von 5,7 Jahren führt es dazu, dass vier bis fünf Arbeitsverträge notwendig sind, um die Doktorarbeit abzuschließen. Das haben 2021 rund 28.000 geschafft, zeigen aktuelle Daten des Centrum für Hochschulentwicklung CHE. Ohne die hohe Hürde häufige Zeitarbeitsverträge und unattraktiver Arbeitsbedingungen an den Hochschulen wären es höchstwahrscheinlich viel mehr gewesen.

In den vergangenen 20 Jahren hat sich an der Anzahl erfolgreicher Promotionen kaum etwas geändert. Sie liegt konstant bei rund 27.500. Spitzenreiter ist die Medizin mit im Mittel 6832 jährlich abgeschlossenen Doktorarbeiten zwischen 2019 und 2021. Dahinter folgen mit deutlichem Abstand Biologie (2125), Chemie (2098) und Physik (1625). In der Informatik sind es 824 gewesen. Das Fach rangiert damit auf Platz 8. Im genannten Zeitraum ist die Anzahl der in Informatik Promovierten nur leicht von 778 auf 815 gestiegen. Im Vergleich dazu stieg die Zahl der Informatikstudenten um etwa 70 Prozent an. Von dieser starken Zunahme der Studierenden ist bei den Promovierenden nichts zu sehen. Promotionen scheinen wenig attraktiv bei Informatikern, denn Absolventen finden leicht einen interessanten Job in der Wirtschaft, in den allermeisten Fällen unbefristet.

Rechtliche Grundlage für die Zeitverträge von wissenschaftlichen Mitarbeitern ist das 2007 eingeführte Gesetz über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Es regelt die Befristung von Arbeitsverträgen für wissenschaftliches Personal mit akademischer Ausbildung an Hochschulen. Hintergrund dieses Gesetzes für diese Beschäftigtengruppe ist, dass in der wissenschaftlichen Arbeitswelt eine gewisse Rotation erwünscht ist. Das Promotionssystem baut auf Befristung auf, damit möglichst vielen die Chance zur Promotion gegeben wird.

Im Gesetz wurden aber keine Aussagen über die Länge der Vertragsbefristungen getroffen. Deshalb kam Kritik auf und das Gesetz wurde mit einer Novellierung 2016 hinsichtlich der Vertragslaufzeiten und deren Befristungen angepasst. Für 2020 war eine Evaluierung der Gesetzesnovelle vorgesehen, sie sollte zeigen, was sich geändert hat. Es dauerte zwei Jahre länger als geplant. Schließlich wurde im Mai 2022 der Abschlussbericht an das BMBF übergeben.

Die Hochschulrektorenkonferenz HRK begrüßt nach Aussage seines Präsidenten, Peter-André Alt die Ergebnisse: Besaßen befristete Arbeitsverträge an den Universitäten 2015 noch eine mittlere Laufzeit von 15 bis 17 Monaten, so sind diese Mittelwerte bereits 2017 auf 21 bis 22 Monate gestiegen. Maßgeblich dafür sei eine Zunahme dreijähriger Verträge gewesen, mit der die Hochschulen die Vorgaben zur Festlegung angemessener Vertragslaufzeiten umsetzen. Die GEW kontert: Die Laufzeiten der Zeitverträge fielen nach einem vorübergehenden Anstieg wieder auf das Niveau vor 2017 zurück. Geändert habe sich nichts.

Nach Angaben der HRK sind dreijährige Verträge eine angemessene Vertragslaufzeit. Auch die GEW fordert keine Dauerstellen für Doktorandinnen und Doktoranden, sondern Laufzeiten der Verträge, die der voraussichtlichen Promotionsdauer entsprechen. Das Gesetz regelt die Hälfte dieser Zeit, die Gewerkschaft will sie vollständig abdecken. Geschehen muss und wird etwas.

Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt, die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft zu verbessern und dazu das Wissenschaftszeitvertragsgesetz auf Basis der Evaluation zu reformieren. "Die Ergebnisse der Evaluation liegen auf dem Tisch, jetzt muss eine gründliche Bewertung durch das Ministerium in enger Abstimmung mit den betroffenen Interessengruppen erfolgen", sagt Alt. Auf dieser Basis könne der Bundestag über weitere mögliche Anpassungen befinden. Ende Juni vergangenen Jahres wurde die womöglich nächste Reform des Gesetzes gestartet.

Das BMBF hat noch für diesen Winter einen Gesetzentwurf angekündigt. "Wenn es dabei bleibt, könnte die Gesetzesänderung vor der Sommerpause des Bundestags beschlossen werden und in Kraft treten", sagt Keller. Die Gewerkschaft fordert neben Mindestlaufzeiten für Zeitverträge unter anderem Dauerstellen für Daueraufgaben, etwa für Postdocs.

(axk)