Gigabit: EU-Kommission will Glasfaserausbau unkonventionell beschleunigen

Neben schnellen Genehmigungsverfahren setzt die EU-Kommission auf temporär höhere Preise für Kupferleitungen von Telekom & Co. und breite Mitnutzungsansprüche.

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(Bild: ChiccoDodiFC/Shutterstock.com)

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Mit einem Gesetzespaket für den Ausbau von Hochgeschwindigkeitsnetzen im Telekommunikationssektor will die EU-Kommission einen Teil ihrer Versprechen "für die digitale Dekade wahr machen und allen Bürgern in den Mitgliedsstaaten einen schnellen Internetzugang verschaffen. Die Kommission hat dazu am Donnerstag einen Entwurf für eine Gigabit-Infrastrukturverordnung sowie für eine zugehörige Empfehlung vorgelegt. Herausforderer der Altmonopolisten sehen sich massiv benachteiligt und warnen vor Einschränkungen des Wettbewerbs.

Angesichts der zunehmenden Verbreitung digitaler Technologien wie Cloud, KI oder virtuelle Realität sieht die Kommission einen "dringenden Bedarf an mehr Bandbreite mit schnelleren Geschwindigkeiten, um intelligentere, flexiblere und innovativere Dienste für Bürger, Unternehmen und wichtige öffentliche Sektoren zu ermöglichen". Mit dem Vorschlag für einen "Gigabit Infrastructure Act" (GIA) zielt sie darauf ab, "die Herausforderung des langsamen und kostspieligen Aufbaus der zugrunde liegenden physischen Infrastruktur zu überwinden".

Das Gigabit-Infrastrukturgesetz soll die Bürokratie sowie die Kosten und den Verwaltungsaufwand beim Bau von Glasfasernetzen verringern. Genehmigungsverfahren für Ausbauvorhaben will die Kommission vereinfachen und digitalisieren. Die Behörden sollen verpflichtet werden, die Vollständigkeit eines Antrags innerhalb von 15 Tagen nach dessen Eingang zu bestätigen. Zudem soll eine "Genehmigungsfiktion" greifen: Anträge, die nicht innerhalb von vier Monaten beantwortet werden, gelten als stillschweigend bewilligt. Die Bundesregierung sah das schon in Entwürfen für ihre Gigabitstrategie vor, entschied sich aber letztlich gegen diesen Weg.

Die Betreiber sollen zudem in der Lage sein, alle Informationen über bestehende Infrastrukturen und geplante Bauarbeiten online abzurufen sowie Bauanträge digital übers Internet zu stellen. Der GIA soll auch die Koordinierung der Bauarbeiten zwischen den Netzbetreibern verbessern. Dabei will die Kommission sicherstellen, dass alle Akteure Zugang etwa zu Leerrohren und Masten erhalten. Diese Arbeiten machen bis zu 70 Prozent der Kosten für den Netzausbau aus, argumentiert sie.

Die Kommission schlägt auch vor, dass Netzbetreiber den zunehmenden Überbau durch Mitnutzung bereits vorhandener Glasfaser-Infrastruktur nur verhindern können, wenn sie Dritten einzelne Leitungen überlassen. Konkurrenten könnten etwa verlangen, eigene Fasern in neuverlegte Rohre einbringen zu können. Nach den Vorstellungen der Kommission könnte ein Netzbetreiber das nur verweigern, wenn er dem Wettbewerber eine eigene Faser überlässt. In Deutschland ist das bisher im Telekommunikationsgesetz (TKG) so geregelt, dass ein Netzbetreiber einem Dritten lediglich einen Zugang auf Bitstrom-Basis gewähren muss. Hier würde eine EU-Verordnung das TKG aushebeln, fürchten Branchenvertreter.

Der Normenkontrollrat der Kommission selbst warnt in seiner Stellungnahme: Die Kommission "sollte detaillierter auf Aspekte eingehen, die den Wettbewerb in Bezug auf die bestehende physische Infrastruktur innerhalb des elektronischen Kommunikationssektors sowie mit anderen Netzbetreibern betreffen". Zwischen der Notwendigkeit der gemeinsamen Nutzung von Infrastrukturen und dem Risiko eines Überbaus mit unnötigen Kapazitäten müsse stärker abgewogen werden.

Der Entwurf der Gigabit-Empfehlung, der bereits im Vorfeld für Empörung bei Konkurrenten der alten Platzhirsche führte, konzentriert sich auf die Vorgabe neuer Leitlinien für die nationalen Regulierungsbehörden über die Bedingungen für den Zugang zu den Netzen der Betreiber, die über beträchtliche Marktmacht verfügen. Neue Gigabitnetze sollen demnach nicht mit gleicher Intensität und vorab reguliert werden wie die aus den ehemaligen Monopolen erwachsenen Kupfernetze. Die Kontrolleure könnten so auf Eingriffe wie eine vorherige Preisvorgabe für spezielle Produkte und spezifische Vorschriften gegen Diskriminierung verzichten.

Größter Stein des Anstoßes: Angestammte Konzerne wie die Telekom oder Orange in Frankreich sollen die Preise für Kupfer-Zugangsprodukte auf der Vorleistungsebene in Gebieten erhöhen dürfen, in denen Wettbewerber und Endkunden tatsächlich die Möglichkeit haben, auf ein Netz mit sehr hoher Kapazität zu wechseln. Dies helfe, "die wirtschaftlichen Ineffizienzen zu berücksichtigen", die sich aus der parallelen Aufrechterhaltung zweier Netze ergeben.

Die Kommission will den alteingesessenen Betreibern so einen Anreiz geben, "einen Stilllegungsplan vorzulegen" und baldmöglichst umzusetzen. "Alt-Technologien" sollen "ohne unangemessene Verzögerung" abgestellt werden, also innerhalb von zwei bis drei Jahren. Eine "Annäherung" der Preise für kupferbasierte Dienste wie DSL mit Vectoring an die für Glasfaser & Co. könnte zudem Endnutzer und Zugangsinteressenten dazu treiben, eine Gigabitofferte anzunehmen. Die Verteuerung soll "eine vorübergehende Maßnahme sein" und mit "angemessenen Schutzmaßnahmen einhergehen, um den Wettbewerb zu erhalten".

Den Empfehlungsentwurf leitete die Kommission dem Gremium der europäischen Regulierungsbehörden (Gerek) zur Konsultation weiter, die zwei Monate dauern wird. Breton erläuterte, das Geschäft der Netzbetreiber ändere sich. Sie würden zu Plattformen, auf denen Konnektivität und Edge-Computing die Datenverarbeitung näher ans Zentrum der Netzwerke bringe. Immer wichtiger würden Programmierschnittstellen, um den Wettbewerb auf der Dienstebene zu beflügeln.

Der Bundesverband Breitbandkommunikation (Breko) vermisst bei dem Vorhaben den "erhofften Schub für den weiteren Glasfaserausbau in Europa". Stattdessen setze der Vorschlag "Anreize für einen strategischen Doppelausbau von Glasfasernetzen". Durch die Ausgestaltung des Gesetzesvorschlags als Verordnung werde den Mitgliedsstaaten zudem der Spielraum genommen, die Vorschriften auf die unterschiedlichen Bedürfnisse in den einzelnen Ländern anzupassen. Die Mitgliedsstaaten und das EU-Parlament müssten daher dringend nachbessern. Der Branchenverband VATM kritisierte Bretons Plan schon vorab als "fatal", da der Telekom schon jetzt Überrenditen zugestanden würden und "künstlich hohe Preise" nicht zu mehr Glasfaserausbau führten.

(vbr)