Kommentar zur Chatkontrolle: richtiges Ziel, falscher Weg

Kindesmissbrauch ist im Internet ein verbreitetes Problem – die Chatkontrolle ist der falsche Weg, es anzugehen, meint Oberstaatsanwalt Markus Hartmann.

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Von
  • Markus Hartmann

Der Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission „zur Festlegung von Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern“ richtet aus Sicht der Strafverfolgung zu Recht auch europaweit den Blick auf die Bekämpfung des internetkonnexen Kindesmissbrauchs. Denn die Praxiserfahrung in diesem Deliktsbereich zeigt, dass es sich um ein soziodemographisch verbreitetes Kriminalitätsphänomen handelt, das kaum auf einen spezifischen Bereich des Internets einzugrenzen ist. Kindesmissbrauch und entsprechende Darstellungen finden sich nicht nur im sogenannten Darknet. Tatsächlich geschieht der weit überwiegende Teil solcher Straftaten im ganz normalen Internet, über Messenger, Chatplattformen und Dateihostingdienste.

Ein Kommentar von Markus Hartmann

Markus Hartmann ist Leitender Oberstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft Köln und Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW). Der Kommentar fasst seine Position als Sachverständiger für den Digitalausschuss des Deutschen Bundestags in der Anhörung vom 1.3.23 zur Chatkontrolle zusammen.

Zu begrüßen sind die in Einzelheiten sicher diskutable Stärkung der europäischen Zusammenarbeit durch ein EU-Zentrum und vor allem die Einführung einer Meldepflicht. Meldungen außereuropäischer Organisationen wie des US-National Center for Missing and Exploited Children sind für die Strafverfolgung essenziell. Daher ist es konsequent, ein europäisches Äquivalent einzurichten.

Damit verbleibt die Frage, aus welchen Quellen die Diensteanbieter ihre Meldegrundlagen beziehen sollen. Unproblematisch dürften Hinweise von Nutzerinnen und Nutzern der jeweiligen Dienste an die Anbieter sein. Rechtlich fraglich ist jedoch, ob und in welcher Intensität eigene Detektionsmechanismen angewandt werden können und sollen. Denn es gibt keine Strafverfolgung um jeden Preis. Auch wenn etwa Kameraüberwachung an öffentlichen Orten und Kriminalitätsschwerpunkten zulässig ist, um Straftaten zu bekämpfen, hängt man Kameras nicht per Gesetz in jede Wohnung. Denn der damit verbundene Eingriff in die Privat- und Intimsphäre wäre zu hoch. Anders gesagt: Das gesamtgesellschaftliche Interesse an einer funktionsfähigen Strafrechtspflege ist in einen sachgerechten Ausgleich mit den grundrechtlichen Positionen Betroffener zu bringen. Strafrecht ist angewandte Verhältnismäßigkeit.

Demnach leidet der Kommissionsvorschlag vor allem an zwei Defiziten: Die Hoffnung der EU-Kommission auf den Einsatz Künstlicher Intelligenz zur automatisierten Erkennung inkriminierter Inhalte wird nicht tragen. KI ist perfekt geeignet, einen bereits bestehenden Anfangsverdacht schnell zu verifizieren. KI ist jedoch ungeeignet, einen Anfangsverdacht zu begründen. Denn die False-Positives-Fehlerraten sind so hoch, dass unzulässig viele Betroffene in den Blick der Behörden gerieten. Daher sollten Scans – jedenfalls auf dem derzeitigen technologischen Stand – auf das Wiedererkennen bereits klassifizierten Materials über Hash-basierte Verfahren begrenzt werden.

Soweit die Kommission auch Ende-zu-Ende-verschlüsselnde Dienste zum Scannen der Nutzungsinhalte verpflichten will, kann das technisch nur durch einen Eingriff nach oder vor der Verschlüsselung, das heißt in den Apps und auf den Endgeräten der Nutzenden gelingen. Damit unterminiert die Kommission faktisch den wichtigsten digitalen Eigenschutz: Kompromittierte Verschlüsselung ist keine Verschlüsselung.

Ein so weitgehender Eingriff ist überdies nicht erforderlich. Denn es gibt ein milderes Mittel: Die Strafverfolgungsbehörden müssen national und im europäischen Kontext operativ und zielgerichtet gestärkt werden. Dann werden auf Basis der Hinweise aus serverseitigem, Hash-basierten Scannen und aus den Erkenntnissen der Ermittlungsverfahren selbst genügend Ermittlungsansätze generiert, um internetkonnexe Missbrauchstaten und -darstellungen wirkungsvoll und nachhaltig zu bekämpfen.

(fo)