Einordnung: Was das Urteil gegen den DNS-Resolver Quad9 für die Branche bedeutet

Ein Gericht bejaht die Haftung eines DNS-Betreibers für Urheberrechtsverletzungen. Das ist eine deutliche Warnung für Betreiber digitaler Geschäftsmodelle.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Stefan Hessel
  • Christina Kiefer
Inhaltsverzeichnis

Das Landgericht Leipzig hat in einem aktuellen Urteil den Betreiber eines DNS-Resolvers als Täter von Urheberrechtsverletzungen im Internet verurteilt. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, drohen dem Unternehmen bei Zuwiderhandlungen hohe Ordnungsgelder oder sogar Ordnungshaft für die Geschäftsführung. Das Urteil zeigt die allgemeine Tendenz der Rechtsprechung der letzten Jahre, die Haftung von Betreibern digitaler Geschäftsmodelle für Urheberrechtsverletzungen Dritter auszuweiten.

Ein Kommentar von Christina Kiefer und Stefan Hessel

Rechtsanwältin Christina Kiefer, LL.M. ist Associate in der Digital Business Unit bei reuschlaw. Rechtsanwalt Stefan Hessel, LL.M. ist Salary Partner und Head of Digital Business bei reuschlaw.

Beklagte des Rechtsstreits ist die in der Schweiz ansässige Stiftung Quad9, die als Alternative zu kommerziellen Anbietern einen kostenlosen DNS-Resolver betreibt. Ausgangspunkt des Rechtsstreits ist der Umstand, dass unter einer der Domains, zu denen Quad9 den Zugang vermittelt, Titel des Musikkonzerns Sony in urheberrechtsverletzender Weise zum Download angeboten wurden. Einer Aufforderung von Sony, den Zugang zu der Domain zu sperren, kam Quad9 nicht nach. Sony erhob daraufhin Klage und bekam nun Recht. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, ist Quad9 verpflichtet, sowohl reaktive Abhilfemaßnahmen, wie die Sperrung der beanstandeten Webseiten, als auch proaktive Maßnahmen, wie die Überprüfung der Angebote, zu denen der Zugang vermittelt wird, auf mögliche Urheberrechtsverletzungen zu ergreifen. Obwohl die Entscheidung unmittelbar nur für Quad9 gilt, hätte sie eine erhebliche Signalwirkung für den Rest der Branche.

Die Entscheidung des Landgerichts Leipzig bestätigt die in den letzten Jahrzehnten zu beobachtende Tendenz der Gerichte, die Haftung von Betreibern digitaler Geschäftsmodelle für Urheberrechtsverletzungen im Internet auszuweiten. So entschied der Europäische Gerichtshof, dass die bisher in der deutschen Rechtsprechung praktizierte Störerhaftung nicht mit den unionsrechtlichen Vorgaben des Urheberrechts vereinbar ist. Deshalb hat beispielsweise der Bundesgerichtshof in den letzten Jahren seine Rechtsprechung dahingehend geändert, dass Anbieter digitaler Dienste nicht mehr als Störer, sondern nunmehr als Täter zur Verantwortung gezogen werden können.

Auch wenn die Haftungsvoraussetzungen grundsätzlich gleichgeblieben sind, hat eine Verurteilung als Täter weitreichendere haftungsrechtliche Konsequenzen für ein Unternehmen. Diese können nun nicht nur auf Unterlassung einer konkreten Urheberrechtsverletzung, sondern auch auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus müssen urheberrechtsverletzende Inhalte nicht mehr nur auf Hinweis entfernt oder gesperrt werden, sondern die Diensteanbieter müssen proaktiv tätig werden und die über ihre Dienste vermittelten Inhalte auf Rechtsverletzungen überprüfen. Dies führt nicht nur zu einem erhöhten Compliance-Aufwand, sondern birgt auch die Gefahr der vorauseilenden Sperrung legaler Inhalte. Grundsätzlich stellt sich daher die Frage, inwieweit die Haftung für Urheberrechtsverletzungen ohne Kollateralschäden auf die Betreiber legaler digitaler Geschäftsmodelle und Infrastrukturbetreiber ausgedehnt werden kann.

Die weitere Entwicklung der Rechtsprechung zum Urheberrecht im digitalen Raum und den damit verbundenen Haftungsfragen für Betreiber bleibt abzuwarten. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf aktuelle Trends wie ChatGPT. Das KI-basierte Tool steht seit Beginn in der Diskussion um mögliche Urheberrechtsverletzungen, sowohl hinsichtlich der verwendeten Trainingsdaten als auch der generierten Ergebnisse. Die US-amerikanische Bildagentur Getty Images ist sogar schon einen Schritt weiter gegangen und hat die Betreiber des KI-Bildgenerators Stable Diffusion wegen Urheberrechtsverletzungen verklagt. Vor diesem Hintergrund könnte sich das bisweilen antiquiert anmutende Urheberrecht in Zukunft zu einem entscheidenden Faktor und Gatekeeper für digitale Geschäftsmodelle entwickeln.

(jvo)