Polizei entsperrt Smartphone: Landgericht billigt erzwungenen Fingerabdruck

Die Polizei darf einen Fingerabdruck abnehmen, um ein Mobiltelefon zu entsperren, hat das Landgericht Ravensburg entschieden. Es hagelt Kritik von Anwälten.

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(Bild: Kitreel/Shutterstock.com)

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Dank biometrischer Erkennungsmethoden ist ein IT-Gerät wie ein Smartphone oder ein Laptop mit dem Auflegen eines Fingers oder dem Blick in die Kamera sekundenschnell entsperrt – ganz ohne Passworteingabe. Was für den Nutzer bequem ist, macht sich auch die Justiz zunehmend zunutze. So hat das Landgericht Ravensburg jetzt geurteilt, dass die Polizei im Rahmen einer erkennungsdienstlichen Maßnahme den Fingerabdruck eines Verdächtigen entnehmen, damit eine Vorlage mit dem biometrischen Merkmal anfertigen und diese als Sesam-Öffne-dich für ein Mobiltelefon verwenden darf (Az.: 2 Qs 9/23 jug.).

Die zweite Instanz bestätigte damit die Entscheidung des Amtsgerichts. In dem Fall hatte sich ein wegen des Verdachts der Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von und dem Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Beschuldigter gegenüber der Polizei geweigert, sein Smartphone selbst zu entsperren. Er war insbesondere nicht bereit, den passenden Finger auf den Sensor des Handys zu legen. Der Ermittlungsrichter ordnete daraufhin an, dass dem Mann Fingerabdrücke abgenommen werden. Mit damit gefertigten Prints verschafften sich die Beamten Zugang zu dem Mobiltelefon.

Der Verdächtige beschwerte sich über das Vorgehen beim Landgericht. Die 2. Strafkammer beschloss daraufhin mit dem jetzt vom Rechtsanwalt Detlef Burhoff veröffentlichten Urteil vom 14. Februar, dass die angefochtene Entscheidung "der Sach- und Rechtslage" entspreche. Die Anordnung zur Abnahme von Fingerabdrücken des Beschuldigten "auch gegen seinen Willen und erforderlichenfalls im Wege der zwangsweisen Durchsetzung" sowie die Anordnung zur Nutzung der hieraus resultierenden biometrischen Daten für Zwecke der Entsperrung des Mobiltelefons fänden ihre Grundlage in Paragraf 81b Absatz 1 Strafprozessordnung (StPO).

In der angeführten, schon etwas betagten Klausel geht es um erkennungsdienstliche Maßnahmen "für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens" oder des Erkennungsdienstes. Der Gesetzgeber wollte damit etwa auch den Aufbau des Europäischen Strafregisterinformationssystems ermöglichen. Als die Vorschrift in Kraft trat, stand der Abgleich von Fingerabdrücken mit Tatortspuren und Karteikarten oder die Identifizierung von Personen im Vordergrund. Smartphones und biometrische Erkennungssysteme gab es damals noch nicht.

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Das Landgericht ist aber überzeugt, dass es sich bei der Nutzung der festgestellten Fingerabdrücke für Zwecke des Entsperrens des Mobiltelefons des Beschuldigten um eine "ähnliche Maßnahme" zu den in Paragraf 81 StPO vorgesehenen handelt. Es sei zwar sicherlich der "klassische Fall", der dem Gesetzgeber vorgeschwebt habe. Dieser habe die Klausel aber offen formuliert. So "wird erreicht, dass sich der statische Gesetzeswortlaut an den jeweiligen Stand der Technik anpasst". Im Sinne dieses "technikoffenen" Ansatzes komme der Verwendung "der festgestellten Fingerabdrücke zum Entsperren eines Mobiltelefons auch eine Identifizierungsfunktion zu".

Die Abnahme und Verwendung von Fingerabdrücken für das Öffnen des Mobiltelefons sei für Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens "notwendig und mithin verhältnismäßig", begründen die baden-württembergischen Richter ihre Entscheidung. "Insbesondere bleibt das Grundrecht des Beschuldigten auf informationelle Selbstbestimmung hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafrechtspflege zurück." Damit werde auch die Hürde der Angemessenheit übersprungen. Die Maßnahme sei zudem "geeignet und erforderlich", um Erkenntnisse für die zu führenden Ermittlungen zu gewinnen.

Das Entsperren des Speichermediums sei "ein notwendiges Zwischenziel", führt die Kammer aus. Der Zugriff auf die auf dem Mobiltelefon gespeicherten Daten könne in der Regel "mit ähnlicher Begründung" auf andere Normen wie etwa Paragraf 110 StPO gestützt werden. Die Maßnahme sei auch deswegen erforderlich, weil der Beschuldigte den Code nicht freiwillig herausgegeben habe und etwaige Passwörter nicht auffindbar gewesen seien.

Der auf Straf- und IT-Recht spezialisierte Rechtsanwalt Jens Ferner kritisiert die Entscheidung als "mutlos" und "ein Stück weit traurig". Es handle sich um das "übliche Ergebnis, das entsteht, wenn man ergebnisorientiert 'argumentiert'". Problematisch sei dabei auch, dass mit der StPO "Zufallsfunde" möglich seien. Wenn Ermittler also wegen Verdachts auf Drogenhandel ein Handy durchsuche und verbotene andere Inhalte fänden, gebe es das nächste Strafverfahren. Das Smartphone als "ausgelagertes Gehirn" stehe dabei "vollständig zur Verfügung, das gesamte Leben wird durch Strafverfolger untersucht".

Die Richter hätten "wesentliche Literatur" außen vor gelassen und nicht hinreichend abgewogen, moniert Ferner. Damit würde sie "vollkommen Dimension und Tragweite derartiger Entscheidungen" verkennen. "Denn: Der Fingerabdruck ist der Anfang – wie will man damit umgehen, wenn das Smartphone vor das Gesicht gehalten wird und die Person nicht mitwirkt und Grimassen zieht?" Vielen sei nicht klar, dass hier ein Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte drohe. Damit wiederum nähme die grundrechtliche Debatte ganz neu Fahrt auf. Gleichwohl werde die Maßnahme wohl "Schule machen".

Dies befürchtet auch Rechtsanwalt Udo Vetter: Künftig werde man bei einem Polizeikontakt wohl nicht nur seinen Ausweis zeigen, sondern je nach Gesprächsverlauf auch noch seinen Fingerabdruck hergeben, damit die Beamten "mal auf das Handy schauen können". Dies fange schon "bei der durch andere Urteile entfachten Jagd auf Blitzer-Apps an". Dabei sei zu bedenken, dass Abnahme von Fingerabdrücken nicht mal unter Richtervorbehalt steht. Beide Anwälte raten daher, jegliche biometrische Entschlüsselung zu deaktivieren.

(tiw)